Vor ausverkauftem Haus hat Chris Kraus zum Auftakt der Landesfilmschau im Metropol-Kino sein stachliges Holocaust-Werk „Die Blumen von gestern“ gezeigt.

Stuttgart - Darf man im Zusammenhang mit dem Holocaust lachen? Gerade jetzt, da Populisten Tabus aller Art aufbrechen, um Ressentiments zu schüren? Der Filmregisseur Chris Kraus hat es gewagt: Er zeigt in „Die Blumen von gestern“ zwei Spätgeborene, traumatisiert von Holocaust-Familiengeschichten, die sich in bester Screwball-Manier aneinander abarbeiten, und dazu eine herrlich spöttische Überlebende.

 

Zum Kringeln ist das Dank origineller Dialoge und starker Hauptdarsteller: Lars Eidinger darf sich austoben als Neurotiker und Holocaust-Verwalter Totila Blumen, der die Schuld des Nazi-Opas durch aggressiven Gedenkeifer wettzumachen versucht. Über ihn kommt wie eine Naturgewalt die französische Praktikantin Zazie in Gestalt der wunderbaren Adéle Haenel, die für den Film eigens Deutsch gelernt hat. Zazie, das Herz auf der Zunge und ihre tote jüdische Oma im Herzen, lockt Totila aus der Reserve, bis er sein Schneckenhaus verlassen muss.

„Ich lasse gerne Improvisieren, und hier habe ich vieles davon verwendet“, würdigt Kraus seine Schauspieler und erklärt: „Ich wollte weg von der Belastung dieses Themas gerade durch die Art, wie in Deutschland Filme darüber gemacht werden.“ Das ist ihm gelungen, doch irgendwann hat ihn wohl die Angst vor der eigenen Courage gepackt: Gegen Ende verliert der Film seine Leichtigkeit und sich selbst in dramatischer Überlänge, wo dem Autorenfilmer vielleicht ein kreativer Partner fehlte, der ihm die richtigen Fragen hätte stellen können.

Mehr Marktanalyse könnte Filmproduzenten helfen

Kraus ist ein treuer Freund Baden-Württembergs, nach „Vier Minuten“ 2006 und „Poll“ 2010 ist es bereits seine dritte Filmschau-Eröffnung. Er hat auch für „Die Blumen“ viele Motive im Raum Stuttgart gedreht, entscheidend war die Mitfinanzierung durch die MFG-Filmförderung.

An der hängt nach wie vor viel am Filmstandort Südwest. Und so wiederholt MFG-Chef Carl Bergengruen bei einer vorgeschalteten Podiumsdiskussion im gut besetzten Metropol 2 gebetsmühlenartig, es müssten mehr Produktionen stattfinden, „die wir nicht fördern, mit verschiedenen TV-Sendern als Partner.“ „Das Geld vom Carl“ wird kurz zum Running Gag in der Runde, die Wieland Backes in launiger NachtcaféManier moderiert, in der es aber nicht nur deshalb erstaunlich kuschlig zugeht.

Vor 20 Jahren forderte Ex-Minister Christoph Palmer auf so einem Podium den damaligen SWR-Intendanten Peter Voss dazu auf, einheimischen Filmproduzenten Aufträge zu geben, und musste sich belehren lassen: Der Sender spiele in einer anderen Liga, das sei nicht seine Aufgabe. Heute sagt die SWR-Kulturchefin Martina Zöllner, der Sender habe „die Türen weit aufgemacht“, suche gezielt Talente, gebe ihnen Chancen und gehe Risiken ein. „Unsere linearen Zuschauer werden immer älter, wie kommen wir ans junge Publikum?“, fragt Zöllner, „welche Stoffe müssen wir erzählen, um relevant zu bleiben?“ Produzenten berücksichtigten das zu wenig, sie betrieben „zu wenig Marktanalyse“. An Spezialisierung mangle es zudem, etwa bei Geschichts- und Wissenschafts-Dokus oder bei komödiantischen Stoffe.

Strahlkraft entwickeln, Abgewanderte zurückholen

Die neue Kulturstaatssekretärin Petra Olschowski fordert eine gemeinsame Anstrengung und kündigt an: „Wir evaluieren die alte Landesfilmkonzeption, entwickeln daraus eine neue und setzen die dann auch um.“ Noch sei die Abwanderung vieler Filmschaffender ein Problem, aber „50 Prozent können sich vorstellen, zurückzukommen, denen müssen wir etwas anbieten“. Sie betrachtet Kunst gerne ganzheitlich, möchte die kulturelle Szene insgesamt stärken, um Strahlkraft zu entwickeln: „Es gibt keine Künstlerkneipe in Stuttgart – in Berlin weiß ich genau, wo die sind.“

Auch der Ludwigsburger Erfolgsproduzent Jochen Laube moniert: „Hessen hat keine Ausbildungsstätte, aber einen Filmpreis, bei dem in der Frankfurter Oper mit Gästen wie Bruno Ganz gefeiert wird, dass es jeder mitbekommt.“ Die Filmschau wäre der richtige Anlass, man müsste ihr nur eine Gala finanzieren – vielleicht mit Sponsoren.

So lange Konzepte anbieten, bis einer Mitleid hat

Thomas Schadt, Direktor der Ludwigsburger Filmakademie, fordert überhaupt bessere Kontakte zur einheimischen Wirtschaft sowie „zwischen Kultur- und Wirtschaftspolitik“. Aus eigener Erfahrung als Dokumentarfilmer rät er: „Man muss mobil sein, überall Konzepte anbieten, so lange, bis einer Mitleid hat.“ Zöllner bekräftigt: „Es ist wichtig, Stoffe nicht nur dem SWR anzubieten, sich breiter aufzustellen.“

Das hat Andrea Block mit den Stuttgarter Luxx Studios getan, Effekte für Roland Emmerichs „Independence Day 2“ und Wes Andersons „Grand Budapest Hotel geliefert. Die Animations- und Effektbranche ist das Aushängeschild der Region, aber Block warnt: „Wir brauchen eigene Produktionen, originäre Geschichten, die wir hier entwickeln.“ Auch hier legt Luxx vor mit dem Animationsfilm „Manou, die Schwalbe“, der bald ins Kino kommen soll.

Wie der Filmstandort Südwest 2030 aussieht? Block: „Er wird bedeutend sein und Stuttgart ein Luftkurort.“ So viel Optimismus war selten. Backes ironisiert den Ist-Zustand zum Abschluss mit einem Bonmot von Karl Kraus: „Ich bin berühmt, aber es hat sich noch nicht herumgesprochen.“