Vor 30 Jahren haben Hannelore Kober und Jonnie Döbele die Filmschule StuttgART eröffnet. Das Projekt scheiterte. Ein Rückblick.

Stuttgart - Ende der 1960er Jahre ist in Stuttgart eine kreative Szene entstanden, die sich an den avantgardistischen Undergroundfilmen orientierte. Ihr Idol war der amerikanische Künstler Andy Warhol. Warhols Filme, die zum Teil als pornografisch galten und in Deutschland mit einem Aufführungsverbot belegt waren, wurden in den Stuttgarter Kinos heimlich gezeigt, nachts, wenn das offizielle Programm beendet war.

 

Als Folge dieser Strömung gab es zunehmend junge Menschen, die selbst das Filmemachen lernen wollten. Aber wo? Der Südwesten Deutschlands war, was die cineastische Ausbildung anbelangte, eine Wüste. Lediglich an der Stuttgarter Kunstakademie kam Filmkunst im Studienverzeichnis vor – als Nebenfach.

Das Ehepaar Hannelore Kober und Jonnie Döbele erkannte dieses Manko. Die beiden Stuttgarter Filmemacher hatten unter anderem in London an der St. Martin’s School of Art und in New York am Department for Cinematic Arts and Television an der Parsons School of Design studiert und anschließend mit ihren Kurzfilmen an internationalen Festivals teilgenommen. Mit ihrem Erfahrungsschatz, den sie in England und den USA gesammelt hatten, gründeten sie die Filmschule StuttgART, eine Abendschule für Filmgestaltung, -theorie und -produktion.

Finanzielle Schwierigkeiten

Im Frühjahr 1985 begann der Unterricht. Geplant war, die Einrichtung langfristig in eine Ganztagsschule umzuwandeln. Ihre Beziehungen zum Department for Cinematic Arts and Television an der Parsons School of Design in New York wollten Kober und Döbele für einen kooperativen Austausch beider Schulen nutzen. Zuerst sollten für das Eröffnungstrimester maximal 20 Studenten aufgenommen werden. Weil der Andrang so groß war, wurden es jedoch 34, die auf zwei Klassen aufgeteilt wurden.

Das erste Domizil der Filmschule StuttgART war das Künstlerhaus in der Reuchlinstraße, heute noch eine bekannte Adresse im Stuttgarter Westen, das Kreativen Ateliers und Werkstätten zur Verfügung stellt und regelmäßig Ausstellungen veranstaltet. Wenige Monate nach Gründung der Filmschule zog sie in die Alexanderstraße im Süden der Landeshauptstadt um. Die Ausbildung sollte zwei Jahre dauern, unterteilt in sechs Trimester, nach englischem beziehungsweise amerikanischem Vorbild. Pro Trimester war eine Studiengebühr von 210 Mark (inklusive Filmproduktionsmaterial) zu entrichten, die im Jahr darauf auf 395 Mark erhöht wurde.

Von Anfang an stand die Filmschule von Kober und Döbele finanziell auf wackeligen Beinen – obwohl es sich bewahrheitete, dass man in Stuttgart und Umgebung auf eine Einrichtung wie diese gewartet hatte. Die Zahl der Studenten stieg rasch auf 85. In nunmehr fünf Klassen lernten sie, wie aus einer Idee ein Storyboard und schließlich ein Drehbuch wird, wie man einen Film schneidet und optisch nachbearbeitet. Die Unterrichtseinheiten hießen „Kamera- und Tontechnik“, „Beleuchtung“, „Animationsfilm“, „Synchronaufnahme“ oder „Filmsprache“.

Das Kulturpflänzchen vertrocknet

Der Stuttgarter Kulturamtsleiter Fritz Richert (zuvor StZ-Innenpolitikchef) bewilligte einen jährlichen Zuschuss von 10 000 Mark – die höchste Summe, die er in eigener Verantwortung vergeben konnte, also ohne Zustimmung des Gemeinderats. Dieser städtische Beitrag reichte bei Weitem nicht aus, um das Projekt am Laufen zu halten. Und schon gar nicht, um bei steigender Studentenzahl Dozenten einzustellen, neues Equipment anzuschaffen oder größere Räume anzumieten. Also baten Kober und Döbele das Land um Unterstützung: 55 000 Mark pro Jahr, so ihre Kalkulation, würden reichen, um die Filmschule StuttgART am Leben zu halten.

Es fanden sich einige Fürsprecher in der Politik, etwa der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Wetter und dessen Büroleiter Christoph Palmer (der spätere Staatsminister). Palmer schrieb im Auftrag seines Chefs an das Ministerium für Wissenschaft und Kunst, dieser sei „von der Konzeption und der Zielsetzung der Filmschule außerordentlich angetan“. Aber letztlich gaben die entscheidenden Regierungsmitglieder dem Kulturpflänzchen keine Chance und ließen es vertrocknen, noch ehe es sich voll entfalten konnte. „Tod durch finanzielle Auszehrung“, titelte die StZ am 24. Juli 1986.

Dabei gab es in jenen Jahren durchaus Filmförderung in Baden-Württemberg. Doch war diese eher eine Abspielförderung: Sie floss hauptsächlich in Kommunale Kinos und Filmkunsttheater. Das Zeigen von Filmen wurde unterstützt, am Machen von Filmen hatten ausgerechnet die schaffigen Schwaben wenig Interesse.

Noch immer kreativ und kritisch

Einen letzten Weg glaubte das Ministerium für Wissenschaft und Kunst den rührigen Filmschulbetreibern ebnen zu können. Alexander Kluge, einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films, betrieb in Ulm sein Institut für Filmgestaltung. Die Einrichtung wurde vom Land jährlich mit 200 000 Mark gefördert. Kluge sollte als eine Art Gewährsmann dem Stuttgarter Paar Kober/Döbele zur Seite gestellt werden, so der Gedanke des Ministerialrats Klaus Bessey. Das Land würde dann Kluges Förderung erhöhen, und dieser könne dann seinerseits die Filmschule unterstützen. Nach diesem Strohhalm greifend, schrieben Kober und Döbele den vermeintlichen Retter Kluge an. Sie erhielten nicht einmal eine Antwort. Der Plan war damit schnell wieder vom Tisch, für die Filmschule StuttgART gab es keine Zukunft mehr.

„Schulschluss“ lautete die Überschrift eines Kommentars von Harald Martenstein, in den 80er Jahren Kulturredakteur der Stuttgarter Zeitung, zu der Schließung der Filmschule. Martenstein, heute unter anderem Kolumnist beim „Zeit-Magazin“, konstatierte: „Es besteht offenbar ein Missverhältnis zwischen der öffentlich beteuerten Bedeutung des Films und der Wertschätzung, die sich in Etats niederschlägt.“

Für das Ehepaar Kober/Döbele ging das Berufsleben nach Schließung ihrer Schule ungebremst weiter: Sie organisierten zahlreiche Ausstellungen und Festivals. 1989 folgten Kober und Döbele einer Einladung der University of Michigan, wo sie drei Jahre lang Film und Kunst unterrichteten. Auch heute sind die beiden Stuttgarter noch kreativ tätig. Hannelore Kober dreht Filme und hat sich mit ihrem eigenen Schnittstudio auf die Konzeption und die Postproduktion von Filmen spezialisiert, außerdem ist sie als Performance-Künstlerin unterwegs. Jonnie Döbele arbeitet als Filmemacher, Videokünstler, Fotograf und Kameramann. Im vergangenen Jahr zeigte das Ehepaar im Rahmen der Projektwochen „Just – Episoden in der Calwer Passage“ noch einmal seine zum Teil preisgekrönten Kurzfilme aus den 1970er und 1980er Jahren.

Und die beiden legen noch immer den Finger in die Wunde, kritisieren, dass die Politik nach wie vor zu träge auf die rasanten Veränderungen in der Medienlandschaft reagiert. „Immer mehr Filme gestalten und beeinflussen unseren Alltag, ob als Werbeclip in der Seitenleiste unseres Browsers oder als Talkshow am Feierabend“, sagt Hannelore Kober. „Nur durch Wissen über Funktion und Ausdrucksform der Medien ist diese Überschwemmung zu bewältigen. Filmsprache sollte deshalb dringend Einlass in den Lehrplan der Schulen finden.“ Vielleicht wird auch diese Idee irgendwann Wirklichkeit.

Das Feuer für den Film lodert noch

1991 jedenfalls, fünf Jahre nach dem Ende der Filmschule StuttgART, wurde die Filmakademie in Ludwigsburg gegründet. Zu hundert Prozent gehört sie dem Land. „Die Politiker haben damals plötzlich den Glamour-Effekt des Kinematografischen für ihr Image entdeckt“, sagt Jonnie Döbele. „Seither pumpen sie jährlich viele Millionen in Filmschulen, ohne je den Bedarf dieser Branche zu bemessen. Es ist jedoch kaum mehr zu verheimlichen, dass sich Talent auch mit sehr viel Geld nicht vermehren lässt. Es gibt zu viele Filmschulabgänger, die den Existenzkampf in der Branche weiter verschärfen.“

Kober und Döbele blieben vom Tag der Gründung ihrer Filmschule StuttgART bis zur Auflösung nicht mal zwei Jahre, um ihr Wissen weiterzugeben. Keiner ihrer Studenten konnte die Ausbildung beenden. Das Projekt ist gescheitert. Doch wenn man verfolgt, wie die Karrieren der Schüler von 1985/86 verlaufen sind, ist auch ein anderer Schluss möglich: Das Duo Kober/Döbele hat ein Feuer für den Film entfacht. In vielen der damaligen Studenten lodert es bis heute.