Wie im Theater: Anna Karenina, Joe Wrights Verfilmung von Leo Tolstois Ehebruch-Roman, läuft nun in den Kinos an.

Stuttgart - Vorhang auf! Diese Verfilmung des Tolstoi-Romans will nämlich nicht hinaus, sondern nach innen, sie lässt sich zunächst nieder in einem Theatersaal, zieht das große, rote Tuch hoch und bringt das Geschehen auf die Bühne. Nach und nach nimmt diese „Anna Karenina“ dann das ganze Haus in Beschlag, die russische Gesellschaft des Jahres 1874 bespielt nun dessen Räume bis hinauf zum Dachboden, bewegt sich dabei in aufwendigen Kulissen und kreist immerwährend um sich selber. Alles bloß Theater?! Aber ja, sagt der Regisseur Joe Wright, der eine These des Historikers Orlando Figes wörtlich nimmt: Diese russische Gesellschaft habe damals tatsächlich wie auf einer Bühne gelebt und sich dabei auch noch beobachtet.

 

Aber Wright und sein Drehbuchautor Tom Stoppard brechen das Drama von der Ehebrecherin Anna Karenina noch weiter auf, vertiefen mutwillig die Kluft zwischen dem Leseerlebnis und der Kinorezeption, vergrößern also den Abstand zum Schicksal der Heldin. Annas Bruder Oblonski (Matthew Macfayden) etwa, ein backenbärtiger Lebemann, geht hier nicht einfach zwischen den Pulten seines Kontors hindurch, er tänzelt in einer einstudierten Choreografie herum und wird dabei auch noch eingekleidet, und dies alles zu Tönen, die ein Musical versprechen. Und wenn dann jener Wronski (Aaron Taylor-Johnson) auftritt, in den Anna (Keira Knightley) sich sehr sterblich verlieben wird, tut er das in einer cremig-weißen Paradeuniform, die schon für Franz-Léhar-Operetten zu kitschig gewesen wäre, trägt zu seiner blass-blasierten Miene ein Aufreißer-Schnurrbärtchen und schaut so lüstern unter verhangenen Lidern hervor, dass man früher mal von einem Schlafzimmerblick gesprochen hätte.

Der Film treibt ein ironisches Verfremdungsspiel

Wird aus dieser „Anna Karenina“ gar eine Komödie? Der Film treibt sein ironisches Verfremdungsspiel ja noch weiter: Die große Ballszene, bei der Anna und Wronski Walzer tanzen, dreht sich auf absichtlich kitschige Weise in das vielleicht künstlichste aller Kino-Genres hinein, nämlich in den Ballettfilm. Und in diesem Moment führt Joe Wright die Geschichte der Anna Karenina nicht mal mehr auf, da führt er sie nur noch vor. Dies allerdings mit gewissem Erkenntnisgewinn: Die Gesellschaftsdamen und -herren von Sankt Petersburg und Moskau wirken in seinem opulenten Schau- und Showstück wie Figuren einer Spieluhr, sie sind eingebunden in eine unbeirrt abschnurrende Mechanik. Als könnte man diesen Film immer wieder von Neuem aufziehen und ablaufen lassen

Das Faszinierende ist nun aber, wie die Geschichte sich gegen ihre Stilisierung, gegen ihre extreme Künstlichkeit zu behaupten sucht. Annas Affäre mit Wronski ist eben auch ein Störfall im Getriebe, diese als selbstbewusste, aber nicht unbedingt sympathisch gezeigte Frau fällt sozusagen aus der Rolle. Das Begehren, gar die Liebe sind hier so etwas wie der nicht zähmbare, wohl aber sanktionierbare Teil der Gesellschaftsmaschine – jedenfalls was ihren weiblichen Teil betrifft.

Die Heldin will ja auch kein Doppelleben, sie beichtet alles ihrem ernst-steifen Mann (gegen den Strich besetzt: Jude Law), sie zwingt ihn schließlich zu einer Reaktion. Schon bevor sich Anna Karenina vor den einfahrenden Zug wirft, stirbt sie deshalb in einem Opernsaal den sozialen Tod: Vor allem die Damen im Publikum, so als bräuchten sie selber ein warnendes Beispiel, brechen den Kontakt mit dieser Frau ab, die sich offiziell von ihrem Mann getrennt hat.

Die prächtigen Kostüme sind ein Augenschmaus

An dieser Stelle hat sich der emotionale Abstand des Filmpublikums zur Heldin nun doch sehr verringert. Ihr Schicksal geht uns nahe, auch und gerade weil sie nicht herauskann aus einem Gesellschaftsraum, den Joe Wright und Tom Stoppard als luxuriösen Käfig vorführen. Die prächtigen Kostüme sind ein Augenschmaus, wobei die vielen Pelze für eine Organisation wie Peta wohl auch einer Aufforderung zum Sprühen gleichkommen. Auch öffentliche Ereignisse wie das Eislaufen, das Pferderennen oder das leitmotivisch eingesetzte Eisenbahnfahren inszeniert der Regisseur übrigens als Indoor-Sequenzen, filmt sie mit einer eleganten und beweglichen Kamera und oft mit filmischer Bravour: Da stürzt auch mal spektakulär ein galoppierender Gaul ins Parkett!

Eine Person aber führt dieser Film, der die Vorlage verschlankt und die Handlungsstränge reduziert, schließlich doch ins Freie: Es ist der Großgrundbesitzer Lewin (Domhnall Gleeson), der von seiner geliebten Kitty (Alicia Vikander) zunächst abgewiesen wird und sich nun auf das in jedem Sinn richtige Land zurückzieht. Er überschreitet also – genauso wie der Film! – eine Grenze, lässt den dekadenten und für alles außerhalb seiner selbst blinden Gesellschaftsbetrieb hinter sich, schwingt nun zusammen mit seinen braven Bauern die Sense, vergießt echten Schweiß. Dieser Lewin, in dem auch ein Tolstoi-Selbstporträt steckt, wird in diesem Drama also zur großen und auch ein wenig utopischen Gegenfigur. Wobei Joe Wright und Tom Stoppard es sich nicht verkneifen können, auch ihn mit ein wenig Ironie einzusalben.