Der Stuttgarter Filmwinter kommt in diesem Jahr im neuen Stadtmuseum unter. Von Donnerstag bis Sonntag sollen Filme, Performances und Netzkunst vor Augen führen, wie Algorithmen zunehmend die Wahrnehmung steuern.

Stuttgart - Der Stuttgarter Filmwinter will raus aus der Komfortzone: „Inside the Fluffy Filter Bubble“ steht in schlierigen Buttermilchbuchstaben auf den Festivalplakaten, daneben die Abbildung einer Katze, die in ulkigen Verrenkungen versucht, die Milchwörter aufzuschlecken. Süß, diese tapsigen Vierbeiner, oder? Doch hinter der drolligen Fassade steckt für das Festival eine ernste Botschaft. Denn nicht nur „Surprised Kitty“ und „Talking Cat“ beeinflussen tagtäglich unsere Wahrnehmung im Netz. Wenn Sie in Ihrer Timeline plötzlich Werbeanzeigen für schicke Abendkleider finden, nachdem Sie das Verlobungsfoto einer alten Schulfreundin gelikt haben, stecken Sie schon mittendrin: Die Filterblase ist unsere virtuelle Komfortzone. Rein kommt nur, was wir sowieso schon gut finden und was uns der Algorithmus deshalb zielsicher in den Newsfeed spült. Wer auf den sozialen Plattformen wie Facebook gerne Likes an progressive Medien oder seine linksliberalen Freunde verteilt, bekommt in Zukunft vor allem Artikel mit ähnlicher politischer Ausrichtung vor die Nase gesetzt.

 

Am Ende entsteht so ein personalisierter Wirklichkeitsstream, der uns die Welt nach unseren scheinbaren Interessen vorfiltert. Und gerade darin liegt die Gefahr: Durch die Filterblase werde man intellektuell isoliert, schreibt der Online-Aktivist und Medientheoretiker Eli Pariser, der den Begriff prägte. Man bekomme eine Realität vorgegaukelt, in der es „eine unsichtbare Autopropaganda gibt, die uns mit unseren eigenen Ideen indoktriniert“. Inhalte, die mit unseren Interessen nichts zu tun haben, werden im Gegenzug nämlich einfach ausgeblendet: Willkommen im voll automatisierten Weltbildgenerator.

„It’s all about the cats“, meint daher auch Marija Milovanovic, die dem Hype um die vierbeinigen Youtube-Stars im Rahmenprogramm des 31. Filmwinters auf den Grund geht: Katzen, die zu Medienstars werden; Medien, die plüschige Vierbeiner zum Serienhit machen.

Das Programm der Kuratorin des Cat Video Festivals Vienna gräbt sich tief in die vielleicht klassischste Filterblase der Netzkultur – und offenbart so nicht nur die Dimensionen des fluffigen Popkulturphänomens, sondern auch die Art und Weise, wie es unsere Wahrnehmung mit seiner Dauerpräsenz beeinflusst.

Kunst abseits einer glatten Traumwelt

„Unsere Besucher sollen realisieren, mit welchen Wahrnehmungsblasen sie tagtäglich konfrontiert werden. Wir wollen so den Blick auf die Wirklichkeit weiten und aus unserer Blase treten“, erklärt Marcus Kohlbach, der das Festival gemeinsam mit Ivonne Richter und Giovanna Thiery leitet.

Ganz so offensichtlich wie bei Milovanovic’ Katzenprojekt wird dieses Anliegen bei einem Blick ins Programmheft jedoch längst nicht immer – und das mit Absicht: Denn statt Botschaften wie auf einem Lkw von A nach B zu transportieren, wolle man während der Festivaltage lieber Kunst zeigen, die sich selbst reflektiere und abseits einer glatten Traumwelt funktioniere, sagt Giovanna Thiery. Aus verschiedenen Blickwinkeln erforschen sie und ihr Team vom Trägerverein Wand 5 so die Frage, wie Film, Medien- und Netzkunst den Wahrnehmungskosmos ihrer Betrachter prägen.

Für den Besucher kann das schon mal zur organisatorischen Herausforderung werden: Während sich manche Programmpunkte konkret mit dem Phänomen der virtuellen Informationsblasen auseinandersetzen, sollen andere schlicht einen Einblick in verschiedene Welten geben, die der allgegenwärtige Algorithmus einem sonst wohl eher vorenthalten würde. So lassen sich die rund siebzig Beiträge, die das Festival für seinen Internationalen Kurzfilmwettbewerb ausgesucht hat, auch nur schwer in einen Topf werfen: Komplexe Flüchtlingsthematiken wie in Mariola Brillowskas Animationsprojekt „Schwarze Welle“ prallen auf poppige Projekte wie die süffisante Ode an die weibliche Beinbehaarung „I love my #hairlegs“ von Charlotte Funke. Und dann wäre da auch noch das Produktionsland Portugal, das in diesem Jahr mit einigen experimentellen Formaten wie Leonor Teles’ „Ballade der Batrachian“ besonders gewürdigt wird.

Das Stadtmuseum wird zum „Filmwinter-Palais“

Für dieses breit gefächerte Programm hat das Festival, das in der Vergangenheit immer wieder den Standort wechseln musste, in diesem Jahr ein besonderes Zuhause gefunden. Das Stuttgarter Stadtmuseum, das vor seiner offiziellen Eröffnung ja bereits zum Hip-Hop- und Techno-Tempel geworden ist, verwandelt sich nun vom 8. bis 11. Februar in das „Filmwinter-Palais“ und benennt dabei nicht nur seine Säle nach berühmten Videokünstlerinnen um.

Es sei schön, dass man das Gebäude ganzheitlich bespielen könne, freut sich Thiery über die diesjährige Festivalheimat. Während im Erdgeschoss das Filmprogramm stattfinden soll, wird das obere Stockwerk des Museums für die Medien- und Netzkunstausstellung „Expanded Media“ genutzt. Zwölf gesellschaftskritische Werke, die sich auf konträre Art und Weise mit der virtuellen Realität auseinandersetzen, sind dort zu sehen. Dazu kommen neben einem eigens eingerichteten Virtual-Reality-Raum auch die Wettbewerbe „Medien im Raum“ und „Network Culture“, in denen Formate zwischen Videokunst, Performance und Installation gegeneinander antreten.

Dem Konzept des Museums kommt diese interdisziplinäre Zwischennutzung gerade recht. Mit seiner lebendigen Festivalatmosphäre reiht sich der Filmwinter zielsicher in die bisherigen Projekte des Hauses ein. Jung, vielseitig und hip präsentierte man sich in den vergangenen Monaten dort – zumindest vor der eigentlichen Eröffnung. Staubtrocken will das Museum, das den Namen Stadtpalais tragen soll, jedoch auch zukünftig nicht sein, betont der Museumsleiter Torben Giese: „Das Haus soll ein Ort werden, am dem Kultur auf ganz verschiedene Arten stattfinden kann.“