Fall im Kreis Ludwigsburg Abfindung verjubelt und offene Rechnungen – Junge Frau steckt in Schuldenfalle

Manche Menschen sind verzweifelt, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können. Foto: Adobe Stock/Gina Sanders

Eine 30-Jährige aus dem Kreis Ludwigsburg berichtet, wie ihr die Kontrolle über ihre Finanzen entglitten ist – obwohl sie einen gut dotierten Job hatte.

Wenn Rainer Bauer von der Diakonischen Bezirksstelle Marbach Frauen und Männer in seinem Büro am Bahnhof empfängt, wachsen vielen die Schulden bereits über den Kopf. Mit den Betroffenen arbeitet Bauer als Allererstes an einem Haushaltsplan. Die goldene Regel für ein gesundes Wirtschaften lautet dabei: Die Fixkosten für Miete, Lebensmittel und Co. sollten maximal die Hälfte des Einkommens verschlingen. 30 Prozent können nach Lust und Laune verwendet werden, 20 Prozent werden am besten auf die hohe Kante gelegt.

 

Bei Simone Müller (Name von der Redaktion geändert) liegt der Anteil der Fixkosten bei 92 Prozent. Der 30-Jährigen, die im Landkreis Ludwigsburg lebt, steht damit finanziell gesehen das Wasser bis zum Hals.

Man verliert leicht den Überblick, wenn die junge Frau erzählt, wo sie bei wem in der Kreide steht und stand. Auch sie selbst kommt angesichts der offenen Flanken ins Schlingern. „Ich weiß nicht, wie viele Krankenkassenbeiträge ich seit Ende letzten Jahres nicht bezahlt habe. Das müssten aber 1000 bis 2000 Euro sein“, sagt sie.

„Dazu kommen einzelne Rechnungen wie bei der Hausverwaltung, Versicherungsgesellschaften und anderes“, erklärt Simone Müller. Bei der Miete sei sie zwei Monate im Rückstand, bei American Express seien 1000 Euro offen. Die Stromrechnung hätte sie ebenfalls nicht begleichen können. Die Diakonie sprang ein, beglich den Fehlbetrag aus einem Notfalltopf.

Diakon Rainer Bauer sagt, Verschuldete müssten sich vor allem vergegenwärtigen, dass die Ausgaben mit den Einnahmen nicht mehr Schritt halten. Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

„Ich schaue, dass ich das, was brennt oder gerade dringend ist, abbezahle“, erklärt sie zu ihrer Strategie. Simone Müller hat in Notlagen auch schon Bekannte und Familienmitglieder angepumpt. Aber manchmal rinnt ihr das Geld einfach durch die Finger.

Von ihrem früheren Arbeitgeber hat die 30-Jährige vor ein paar Jahren eine satte Abfindung bekommen, eine Summe im sechsstelligen Bereich. Einen Teil davon hat sie nie angerührt, einen anderen Teil dafür investiert, gesundheitliche Probleme in den Griff zu bekommen. „Aber vieles habe ich auch mit meinem Freund verjubelt. Da war schnell nichts mehr übrig“, sagt sie. Sie führte mit ihrem Partner ein Leben auf der Überholspur, inklusive Drogen und Partys.

Problematische Partner

Jetzt könnte man zu dem Urteil kommen, dass Simone Müller an dem Dilemma selbst schuld ist und schlicht nicht mit Geld umgehen kann. Aber so einfach ist es nicht. Die junge Frau hat laut eigener Aussage das Pech, immer wieder mit destruktiven Partnern verbandelt zu sein. Solche Typen scheine sie magisch anzuziehen, sagt sie. Außerdem habe sie in der Familie psychische und körperliche Gewalt erlebt. Gut möglich, dass sie bis heute das eine oder andere unbewältigte Trauma mit sich herumschleppt.

Gleichwohl startete sie beruflich durch. Sie hatte einen gut bezahlten Job, strich monatlich fast 4000 Euro netto ein. Als Geldanlage leistete sich Simone Müller im Jahr 2021 sogar eine Eigentumswohnung und vermietete diese. Für die Immobilie und ein privates Coaching nahm sie einen Kredit über 165 000 Euro auf.

Diese Investition ging nach hinten los. „Ich wusste damals nichts von einer Mietpreisbindung der Stadt. Zudem wurde das Hausgeld in den vergangenen Jahren erhöht“, erklärt Müller. Das Ende vom Lied war, dass sie in die Wohnung mehr Geld stecken musste, als ihr lieb war – und die Mieteinnahmen die Ausgaben bei Weitem nicht deckten.

Dazu gesellten sich Mitte 2022 gesundheitliche Probleme. Zunächst setzte sie eine Corona-Erkrankung matt. Sie sei zudem teilweise depressiv gewesen, sagt sie. Dazu habe sie unter einem ungesunden Arbeitsklima gelitten. „Irgendwann ging es nicht mehr. Ich war erschöpft, meldete mich krank“, erklärt Simone Müller. Sie konsultierte verschiedene Ärzte, bekam unterschiedliche Diagnosen. Klar schien nur: Ihre Psyche musste aus dem Gleichgewicht geraten sein. Wahrscheinlich habe sie ADHS und eine bipolare Störung.

Ein Teufelskreis begann. Die Einnahmen sanken, die Fixkosten blieben auf hohem Niveau. Irgendwann bezog sie nur noch Kranken-, dann Arbeitslosengeld. Jetzt hat Simone Müller Bürgergeld beantragt. Alles lief aus dem Ruder. „Ich habe am Rande der Gesellschaft gelebt, alles war mir egal. Ich habe Geld verprasst, vor allem, um anderen zu helfen“, sagt sie. Selbst ein Verkauf der Wohnung würde Simone Müller keine Beinfreiheit verschaffen, obwohl die Immobilie ein Klotz am Bein ist. Dadurch würde sich die Situation sogar verschlimmern, weil sie ein Verlustgeschäft machen würde.

Wer in einer finanziellen Notlage ist, kann sich beraten lassen, um einen Ausweg zu finden. Foto: Archiv (Angelika Warmuth/dpa)

Müller hält sich aktuell mit Aushilfsjobs über Wasser. Aber auf Dauer? „Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Von irgendwo kommt immer ein Lichtlein her“, hofft sie im Berufsleben wieder Fuß zu fassen. „Das ist aber nicht so einfach. Mir wurde wegen meiner psychischen Probleme eine Behinderung attestiert. Ich habe das Gefühl, deshalb bei möglichen Arbeitgebern von vornherein durchs Raster zu fallen“, erklärt sie.

Rainer Bauer wünscht ihr, dass sich ihre Vorstellungen erfüllen. „Wichtig ist, dass jeder in dieser Situation weiß, dass er das nicht allein durchstehen muss“, sagt der Geschäftsführer der Diakonie in Marbach. Zudem gehe es darum, sich zu vergegenwärtigen, dass die Ausgaben im Vergleich zu den Einnahmen davongaloppiert sind.

Anschließend müsse man überlegen, wie das Verhältnis wieder in ein vernünftiges Lot gebracht werden könne. „Außerdem sollte man sich Ziele setzen, wo man in fünf Jahren sein will, wie man dorthin gelangen möchte und wen und was es dazu braucht“, sagt Bauer.

Beratung für Verschuldete

Viele Klienten
Bei der Diakonischen Bezirksstelle Marbach wird eine kostenlose Sozialberatung angeboten, auch für Menschen mit finanziellen Schwierigkeiten. Rund 200 Frauen und Männer nehmen diese Möglichkeit aktuell wahr. Wenn es allerdings um Insolvenzen geht, muss man sich an eine offizielle Schuldnerberatung wenden, zum Beispiel beim Landratsamt oder die Schuldnerberatung des Kreisdiakonieverbandes Ludwigsburg.

Schuldenfalle
Wie das Sozialministerium Baden-Württemberg mitteilt, geraten immer mehr junge Menschen in die Schuldenfalle. Hintergrund seien häufig „offene Verbindlichkeiten bei Telekommunikationsunternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Gewerbetreibenden und Versandhäusern“.

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