Stuttgarts OB Fritz Kuhn verschiebt die Einsparvorgabe für die Ämter von 29 Millionen Euro um ein Jahr nach hinten. Auch müssen in diesem Jahr keine neue Schulden gemacht werden. Der Grund dafür sind unerwartete Mehreinnahmen.

Stuttgart - Die Stadt Stuttgart verschiebt ihr Sparkonzept um ein Jahr, weil sie im vergangenen Jahr rund 120 Millionen Euro mehr eingenommen hat als noch beim Beschluss der globalen Minderausgabe im Dezember vermutet. Außer dem zinslosen Darlehen von 34,6 Millionen Euro für die Flüchtlingsunterbringung ist somit 2016 keine weitere Kreditaufnahme nötig. Geplant waren 137 Millionen Euro. Und auch das laufende Jahr verspricht, besser zu werden als gedacht.

 

Ursprünglich war geplant, von 2017 an jährlich ein Prozent der laufenden Aufwendungen zu streichen, um der strukturellen Unterfinanzierung des Haushalts entgegenzuwirken. Nun soll das Vorhaben, die Ämter zu zwingen, Einsparvorschläge von 29 Millionen Euro pro Jahr zu unterbreiten, erst in den Beratungen für den Etat 2018/2019 thematisiert werden (die StZ berichtete).

OB Fritz Kuhn (Grüne) und Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) haben am Donnerstag erst ihre Kollegen und dann die Fraktionsvorsitzenden informiert, bevor sie an die Öffentlichkeit gingen. Das Vorgehen stieß im Rathaus teils auf Unverständnis; es wird davon ausgegangen, dass die Minderausgabe auch in den kommenden Jahren nicht vermittelbar sein wird – und schon gar nicht in den Etatberatungen, wo traditionell die Fraktionen für die in den Budgetgesprächen mit Föll unerfüllt gebliebenen Wünsche der Ämter zuständig sind. Für Unmut sorgt auch der Umstand, dass die Rathausspitze noch am 29. Februar bei einer Klausur im Kursaal die Verwaltungsspitzen auf den Sparkurs eingestimmt hatten. Man habe erst Anfang März über die Konsequenzen aus den positiven Signalen gesprochen, sagten Kuhn und Föll dazu. Gespannt sein darf man auf die Reaktion der schwarz-grünen Ratsmehrheit, die eine Grundsteuersenkung beschlossen hat, die trotz des positiven Ergebnisses nun nur deshalb nicht kommt, weil der Kämmerer noch rasch ein (zinsloses) Darlehen aufgenommen hat. Das gilt als Hinderungsgrund.

Rasenmähermethode verbietet sich

Vor allem Sportvereine und Kultureinrichtungen, aber auch freie Träger und letztlich die Ämter selbst befürchteten harte Einschnitte bei Leistungen, Unterstützung und Personal. Weil die Stadt viele Pflichtaufgaben hat und sich deshalb die gleichmachende „Rasenmähermethode“ verbietet, hätten die Budgets jener Referate mit vielen freiwilligen und damit kürzungsfähigen Aufgaben nicht um ein, sondern um rund 3,5 Prozent gekürzt werden müssen. Für die Zuschüsse in Sport und Kultur hätte das etwa bedeutet, dass die vom Gemeinderat beschlossenen Erhöhungen nach nur einem Jahr zu einem großen Teil hätten wieder gestrichen werden müssen.

Die endgültigen Zahlen für das Rechnungsjahr 2015 werden zwar erst im Juli präsentiert, Kämmerer Föll prognostiziert aber jetzt schon eine um 120 Millionen Euro bessere freie Liquidität. Der Betrag resultiert aus 69 Millionen Euro zusätzlicher Gewerbesteuer aufgrund erfolgreicher Betriebsprüfungen – von Föll mit dem Etikett „Einmaleffekt“ versehen. Interessant: Unternehmen begleichen die Nachforderungen mittlerweile so schnell wie möglich, weil sie für ihre liquiden Mittel keine Habenzinsen bekommen, in Steuerangelegenheiten aber sechs Prozent Sollzinsen pro Jahr anfallen. Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer steigt dank guter Konjunktur um 15 Millionen Euro, die Grunderwerbssteuer um neun Millionen Euro. Das Land überweist für die Unterbringung von Flüchtlingen 20 Millionen Euro mehr als veranschlagt – weitere Verbesserungen in diesem Teilhaushalt seien nicht ausgeschlossen, da die Höhe der Zuwendungen vergangenes Jahr nur grob geschätzt werden konnte. Durch die geringeren Zins- und Tilgungsleistungen ergibt sich außerdem eine Einsparung von rund acht Millionen Euro im kommenden Jahr. In Anbetracht der gestiegenen Einnahmen lässt sich aus städtischer Sicht die dieses Jahr um 2,6 Millionen Euro geringer ausgefallene Ausschüttung bei der LBBW verschmerzen.

Kuhn sieht Notwendigkeit zu sparen

Die Rathausspitze, ohnehin seit vielen Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert, die Stadt arm zu rechnen, nur um den Gemeinderat in seinem Investitionselan zu bremsen, hat eingeräumt, sie hätte sich unglaubwürdig gemacht, würde selbst bei einem solch guten Ergebnis der Rotstift angesetzt. Dies sei aber nicht als Absage an den Konsolidierungskurs zu verstehen, betonte Kuhn. Er warne davor, „aus einer Verschiebung den Schluss zu ziehen, dass keine Notwendigkeit mehr für Einsparungen besteht“. Er sei der Überzeugung, dass zumindest eine Kommune nur das ausgeben sollte, was sie einnimmt.

Aufgeschoben sei nicht aufgehoben, ergänzte Föll. Das Regierungspräsidium habe einen klaren Auftrag zur konsequenten Weiterführung des Spar- und Konsolidierungskurses erteilt. Die Finanzplanung zeige eine strukturelle Unterfinanzierung in den kommenden Jahren. 2018 betrage diese 52,9 Millionen Euro, 2019 rund 88,6 Millionen und 2020 etwa 73 Millionen Euro. Selbst wenn man den veranschlagten globalen Minderaufwand von 29 Millionen Euro jährlich berücksichtige, seien die Ergebnisse von 2018 an negativ. Nur mit einer sparsamen und effizienten Mittelbewirtschaftung ließen sich Fehlbeträge im laufenden Haushalt und in der hohen Kreditaufnahmen von 235 Millionen Euro zwischen 2018 und 2020 deutlich senken.

Rathausspitze sieht Risiken

Kuhn und Föll werden nicht müde, die unsichere Einnahmensituation zu betonen. Der Einnahmenanteil der Gewerbesteuer sei rückläufig, der Anteil an den Gemeinschaftssteuern befinde sich zwar auf einem Rekordhoch, die Konjunktur werde sich aber auch mal wieder abschwächen. Sie weisen zudem auf Risiken hin, die etwa bei der Übernahme der Wasserversorgung drohten, bei der Restrukturierung des Klinikums, bei der Entwicklung der sozialen Leistungen und bei den anstehenden Tarifverhandlungen. Zwei Prozent Erhöhung oder zwölf Millionen Euro seien eingeplant, so der Kämmerer. Die Gewerkschaften fordern sechs Prozent. Nötig sei ein erhöhter Mitteleinsatz wohl auch bei der Förderung des Öffentlichen Nahverkehrs.

Im Rathaus war die Aufforderung zu sparen, mit Skepsis und Ablehnung aufgenommen worden. Amtsleiter klagten, bei stetig steigenden Anforderungen und Aufgaben sei mehr, nicht weniger Personal nötig. Föll hält dagegen: In den Etatberatungen würde nur über die Notwendigkeit neuer Stellen diskutiert, nicht aber über den Bestand. Entbehrliches erkenne man bei selten durchgeführten Organisationsuntersuchungen. Und der hohe Arbeitsaufwand, resultierend aus den gestiegenen Anforderungen an Bürgernähe und –service? Jedes Amt müsse über die Standards nachdenken, so der Kämmerer. Es gelte, Leistungen zu reduzieren, ohne dass es gleich einen Totalverlust gebe. Mehr Mut zu Streichkonzerten empfiehlt die Rathausspitze auch dem Gemeinderat. Es gebe zu wenig Geld für Neues, da an der bestehenden Unterstützung – etwa bei der Kulturförderung - nicht gerüttelt würde.