Wieder einmal wird der Rettungsschirm für den Euro verstärkt. Mindestens 800 Milliarden sind jetzt drin, vielleicht wird es auch eine Billion.

Kopenhagen - Frankreich kennt sich aus mit der „Force de Frappe“. So nennen sie westlich des Rheins ihr nukleares Abschreckungspotenzial. Das soll nach Ansicht des französischen Finanzministers François Baroin auch der Euro-Krisenfonds besitzen. „Der Schutzschirm ist ein bisschen wie eine Atomwaffe im militärischen Bereich“, orakelte er kurz vor Beginn der Sitzung der Euro-Finanzminister in Kopenhagen. „Er ist dafür gemacht, nicht eingesetzt zu werden. Das ist Abschreckung.“ Und weil diese möglichst überzeugend sein soll, muss Baroins Ansicht nach auch möglichst viel Geld in den Topf – mindestens eine Billion Euro.

 

Mit dieser Forderung ist der Franzose nicht allein gewesen. In den Wochen zuvor war vor allem außerhalb Europas eine deutliche Erhöhung der für die Eurorettung verfügbaren Summe verlangt worden. Die Partner im G-20-Kreis hatten klargestellt, dass sie die Krisenfonds des Internationalen Währungsfonds, die auch Europa zugutekommen können, nur weiter auffüllen werden, wenn die Eurozone sich selber stärker engagiert. Mit dem gestrigen Beschluss sind die Europäer nun für die IWF-Frühjahrstagung und das am Rande stattfindende G-20-Finanzministertreffen gerüstet.

Garantiert sind jetzt 800 Milliarden Euro zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung, die zum Teil schon eingesetzt wurden, zum Teil noch verfügbar sind. Denn es wird alles zusammengezählt, um eine möglichst hohe Summe zu erzielen. Sie setzt sich zusammen aus den 500 Milliarden Euro, die der neue Krisenfonds ESM verleihen kann, der am 1. Juli einsatzbereit sein soll. Hinzu kommen 200 Milliarden Euro, die der im Mai 2010 in der Not geborene Rettungsschirm EFSF für Irland, Portugal und das zweite Griechenland-Hilfspaket bereits verplant und in Teilen bereits ausgezahlt hat – als Darlehen, die teils erst in 20 Jahren zurückgezahlt werden müssen. Nach bisherigem Stand hätte dieses Geld von der Summe im neuen Fonds abgezogen werden müssen, nun wird es addiert.

„800 Milliarden Euro sind eine Billion Dollar“

Die Euro-Finanzminister wandten noch einen Kassentrick an, um den ins Schaufenster gestellten Betrag zu steigern: Ebenfalls addiert werden nämlich die Mittel für das erste Griechenland-Rettungspaket, die nicht Teil des Schirms sind und aus 53 Milliarden Euro an bilateralen Darlehen der Eurostaaten und 49 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt bestehen. „Diese 800 Milliarden Euro machen eine Billion US-Dollar“, rechnete Österreichs Finanzministerin Maria Fekter vor, ohne mit der Wimper zu zucken. „Das ist die geforderte Brandmauer.“ Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte im Bestreben, die Aufstockungsdebatte nun hinter sich zu lassen: „Ich denke, das reicht.“

Keine Chance hatte damit die weitestgehende Kombinationsmöglichkeit von EFSF und ESM, welche die Brüsseler Kommission im Vorfeld der Sitzung in einem Arbeitspapier vorgeschlagen hatte. Danach wären jene 240 Milliarden Euro, die vom ersten Schirm noch übrig und nicht verplant sind, direkt als Eigenkapital in die Nachfolge-Institution übertragen worden. Aus den Gesamtsummen von 440 Milliarden Euro im EFSF und 500 Milliarden im ESM wären nach Adam Riese 940 Milliarden Euro geworden. Das aber war neben Deutschland und den Niederlanden auch Finnland zu viel. „940 Milliarden Euro ist für uns nicht machbar“, hatte die Ministerin schon vor Sitzungsbeginn gesagt.

Ein Puffer von 240 Milliarden Euro

Trotzdem könnte es am Ende auf diese Summe hinauslaufen, womit die europäischen Steuerzahler nicht nur in Dollar, sondern auch in Euro einen Billionenbetrag garantierten. In den zwölf Monaten von Mitte 2012 bis Mitte 2013 nämlich, während derer die beiden Schirme parallel laufen, könnten weitere Länder „gerettet“ werden müssen; immer wieder ist von einem zweiten Hilfspaket für Portugal die Rede, und auch Spanien befindet sich „in einer sehr schwierigen Situation“, wie EU-Währungskommissar Olli Rehn in Kopenhagen einräumte. „Um neue Programme zu finanzieren, wird der ESM ab Juli 2012 das Hauptinstrument sein“, heißt es zwar in der Ministererklärung, doch soll sich der alte Schirm EFSF nur „in der Regel“ auch um die alten Programme kümmern. Im Umkehrschluss können die noch verfügbaren 240 Milliarden eben doch angezapft werden. Daraus zugesagtes Geld müsste selbstredend weit nach Mitte 2013 zurückgezahlt werden, wenn der EFSF aus dem aktiven Dienst ausscheidet. Um den entsprechenden Betrag erhöht sich auch das langfristige Haftungsrisiko.

Dieses Risiko soll dadurch reduziert werden, dass das die Gesamtleihsumme bei 700 Milliarden Euro begrenzt wird: Alles zusätzliche Geld aus dem EFSF führt demnach dazu, dass der ESM später entsprechend weniger verleihen könnte. Ebenso leicht könnte aber natürlich auch die Haftungsgrenze noch einmal erhöht werden.

Schutz vor diesen Mehrausgaben soll zudem bieten, dass das Eigenkapital für den künftigen Rettungsschirm von 80 Milliarden Euro schneller eingezahlt wird. Bisher sollte dies in fünf Jahresraten geschehen, nun werden die Raten innerhalb von drei Jahren fällig: zwei dieses Jahr, zwei im nächsten, die letzte im ersten Halbjahr 2014. Mit dem eigenen Geld kann der ESM schneller die volle Summe von 500 Milliarden Euro verleihen. Denn es müssen stets mindestens 15 Prozent der Summe, die verliehen werden soll, als Eigenkapital vorhanden sein. Da es nun schneller geht, wird es weniger wahrscheinlich, dass der alte Schirm EFSF in die Bresche springen muss.

Wie hoch ist die Brandmauer tatsächlich?

Trotzdem führt die einjährige Überschneidung dazu, dass erst Mitte 2013 wirklich feststeht, welcher der beiden Krisenfonds nun wofür geradesteht – und ob nicht doch nachgeschossen werden muss.

Die schnelle Einzahlung belastet auch den Bundeshaushalt stärker als gedacht. Sowohl in diesem wie im nächsten Jahr müssen statt der bisher kalkulierten 4,34 nun 8,68 Milliarden Euro nach Luxemburg überwiesen werden, wo die neue Finanzinstitution ihren Sitz haben wird, wo schon der EFSF angesiedelt ist. Das Haftungsrisiko der Bundesbürger steigt ohnehin – auf mindestens 280 Milliarden Euro.