Multinationale Konzerne wie Amazon, Ikea oder Google sparen Abgaben in Milliardenhöhe. Dem wollen die Industrie- und Entwicklungsländer mit strengeren Regeln einen Riegel vorschieben.

Berlin - Die Industrie- und Schwellenländer wollen verhindern, dass Konzerne ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer verlagern, um sich vor der Steuerzahlung zu drücken. Nach jahrelangen Vorarbeiten ist das Konzept der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fertig. Immer mehr Staaten ist die Praxis multinationaler Konzerne wie Amazon, Google und Ikea ein Dorn im Auge, weil diese Unternehmen an Auslandsstandorten kaum Steuern zahlen. Die OECD will das Aktionsprogramm, das 15 Punkte umfasst, an diesem Montag in Paris vorstellen. Die Einzelheiten sind bereits vorab bekannt geworden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der sich 2012 zusammen mit Großbritannien an die Spitze der Bewegung stellte und strengere Regeln für Konzerne forderte, sieht dies als großen Erfolg. „Wir haben einen Meilenstein in der internationalen Steuerpolitik erreicht“, heißt es in Regierungskreisen.

 

Es geht um viel Geld: Nach Schätzungen der OECD führen die aggressiven Strategien zur Steuervermeidung dazu, dass vier bis zehn Prozent des weltweiten Körperschaftsteueraufkommens dem Fiskus vorenthalten werden. Das wären zwischen 100 und 240 Milliarden Dollar jährlich. Auch wenn die großen Beratungsgesellschaften längst über neue Strategien zur Steuervermeidung nachdenken, hoffen die Regierungen, dass künftig mehr Geld in die öffentlichen Kassen fließt.

Mehr als 60 Länder sind offen für strengere Steuerregeln

Die Finanzminister der 20 großen Industrie- und Schwellenländer (G 20) wollen bei ihrem Treffen am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Lima, die am Donnerstag beginnt, das Aktionsprogramm beschließen. Einen Monat später werden die Staats- und Regierungschefs der G 20 grünes Licht geben. Mehr als 60 Länder haben signalisiert, dass sie mitmachen wollen – sie umfassen 98 Prozent des globalen Sozialprodukts. Im nächsten Jahr soll die Umsetzung beginnen. Dass die OECD es schafft, globale Standards durchzusetzen, hat sie bereits bewiesen. Die Organisation spielte etwa bei der weltweiten Einführung des automatischen Informationsaustauschs von Bankdaten eine wichtige Rolle. Seitdem können sich Anleger, die ihre Erträge nicht versteuern wollen nicht mehr so leicht hinter dem Bankgeheimnis verstecken.

Die Steuerpläne der OECD müssen allerdings noch von den nationalen Parlamenten umgesetzt werden. Um das Verfahren zu beschleunigen, sollen zunächst vier wichtige Regeln in die nationalen Steuergesetze übernommen werden. Allerdings bestehen in der deutschen Wirtschaft noch Bedenken. Gegenwind kommt auch aus dem US-Kongress. Bei den Sofortmaßnahmen geht es um folgende Vorhaben:

Betriebsstätten

Nach dem internationalen Verständnis wird bis jetzt nicht jede unternehmerische Tätigkeit eines ausländischen Unternehmens in einem Land besteuert. In der Regel greift der Fiskus nur zu, wenn Betriebsstätten bestehen. Doch gerade in der Internetwirtschaft stößt die Definition der Betriebsstätte auf Probleme. Internetversandhändler besitzen in vielen Staaten große Auslieferungslager, die Rechnung wird aber häufig in einem Niedrigsteuerland ausgestellt.

Künftig soll der steuerpflichtige Gewinn an die wirtschaftlichen Tätigkeiten gebunden sein. Wenn das Auslieferungslager von großer Bedeutung für Unternehmenstätigkeit ist, wird das Auslieferungslager als Betriebsstätte eingestuft. Im Land des Auslieferungslagers müssen dann Ertragsteuern bezahlt werden. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Die deutsche Industrie, die seit Langem viele Produkte im Ausland fertigt, müsste in Zukunft möglicherweise einen größeren Teil ihrer Gewinne im Ausland versteuern. Schwellenländer könnten etwa argumentieren, dass bei ihnen ein großer Teil der Unternehmensaktivität angesiedelt sei. In Regierungskreisen wird jedoch darauf verwiesen, dass in Deutschland nach wie vor ein großer Anteil der Wertschöpfung stattfindet.

Länderberichte

Der neue OECD-Standard sieht vor, dass Konzerne Finanzbehörden eine Liste vorlegen, in der die Gewinne der ausländischen Niederlassungen aufgeschlüsselt werden. Zu den Auslandstöchtern sollen etwa Angaben zum Umsatz, zur Zahl der Mitarbeiter, zur Kapitalausstattung und zum Gewinn gemacht werden, und zwar für jedes einzelne Land, in dem der Konzern tätig ist. Diese Berichtspflicht gilt für Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro. Die Länderreports schickt etwa ein deutsches Unternehmen an die deutschen Finanzbehörden, die wiederum die Angaben den Finanzverwaltungen anderer Länder zur Verfügung stellen können. Die Bundesregierung betont, es gelte das Steuergeheimnis. Die Daten würden nicht öffentlich gemacht. Dennoch besteht in der deutschen Wirtschaft die Sorge, mit den Informationen könne die Industriespionage erleichtert werden. Die OECD versichert, Großunternehmen müssten keine internen Verrechnungspreise preisgeben. Außerdem würde die OECD den Prozess überwachen. Die Länder müssten sich in einem Abkommen verpflichten, dass nur die Steuerbehörden die Daten nutzen.

Patentbox

Einige Länder versuchen Konzerne mit günstigen Steuersätzen auf Lizenz- und Patenteinnahmen anzulocken. Die Erträge, die auf geistiges Eigentum zurückgehen, werden steuerlich privilegiert. Dies führt dazu, dass beispielsweise Internetkonzerne ihre Gewinne an Standorte verlagern, wo niedrige Steuern anfallen. Diese steuerliche Vorzugsbehandlung wird als Patentbox bezeichnet. Künftig sollen Patentboxen nur erlaubt werden, wenn die zugrunde liegende Forschungs- und Entwicklungstätigkeit tatsächlich in dem jeweiligen Land ausgeübt wird. Damit soll erschwert werden, mit Briefkastenfirmen den Fiskus auszutricksen. Nur wenn es im jeweiligen Land Forschungsstätten gibt, darf deren Arbeit steuerlich bevorzugt werden. Großbritannien und Spanien sind bereits dabei, solche Patentboxen einzurichten. Sie wollen damit Entwicklungsaktivitäten anlocken. Die Bundesregierung habe darüber noch nicht entschieden, hieß es in Regierungskreisen. Die Unionsfraktion steht diesem Instrument der Forschungsförderung offen gegenüber, die SPD lehnt neue Steuervorteile jedoch ab.

Schiedsverfahren

Die neuen Regeln sehen zudem vor, dass die Staaten bei Streitigkeiten über die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen Schiedsverfahren akzeptieren. Die Entscheidungen der Schiedsgerichte sollen für die beteiligten Länder bindend sein. Damit sollen Unternehmen schneller Klarheit bekommen, wenn über die Auslegung der Steuerabkommen diskutiert wird. Allerdings lehnen Schwellenländer wie Brasilien und Indien Schiedsverfahren als Eingriff in ihre Souveränität ab.