Die Bären schlafen, Eis bändigt Flüsse und der Schnee bedeckt die Taiga. Und überall ist Stille.

Gelb muss immer links bleiben. Sonst wird es teuer, hat Sabrina uns eingeschärft. Also bleiben wir brav hinter der jungen Französin. Das ist auch das Vernünftigste, wenn wir uns nicht hoffnungslos verirren wollen. Klar und kalt ist der Spätwintermorgen, weiß die Welt. Schneebedeckt die Ebene an unserer Seite, im Sommer ein See, und der Hügel mit dem Kiefernwald, in den hinein wir mit unseren Langlaufskiern eine Spur ziehen. Kein Haus, keine Straße weit und breit. Im Sommer ist hier nicht einmal ein Weg. Nur die Skispur, von einem Snowmobil gelegt und verdichtet, trägt uns über gefrorene Seen und Sümpfe, über Felsen und Wurzeln. Und vorbei an gelb markierten Pfosten oder Bäumen. Und manchmal einem Schild "Grenzgebiet".

 

An diesem gesperrten Streifen längs der Grenze zwischen Russland und Finnland sind wir, fast schon am Polarkreis und weit im Osten. Auf einer Mehrtagestour durch die Region Kainuu. Finnland hat wenig Einwohner, die Region ist eine der menschenärmsten, und wir laufen da, wo keiner mehr wohnt: durch das Naturschutzgebiet Martinselkonen. Kiefern, Birken, Birken, Kiefern – hier herrscht schon die Taiga und hört erst am Ende Sibiriens wieder auf. Wir gleiten nach Süden, immer den Grenzstreifen entlang. Am Morgen sind wir von der Farm Arola aufgebrochen. Helena und Eero Seppänen leben hier seit 30 Jahren. Lange waren sie Landwirte mit einem Stall voller Kühe. 2004 haben sie die Kühe verkauft und Ställe und Nebengebäude zu Gästehäusern umgebaut. Rot-weiß gestrichen sind sie und haben hübsche Veranden. Am langen Tisch in der Wohnküche mit ihren alten Balken haben sie uns ein deftiges Frühstück aufgetischt mit Pfannkuchen, Eiern, Speck und Kuchen.

Können wir gut gebrauchen. 23 Kilometer folgen wir unserer Tourleiterin Sabrina. Franzosen, ein Finne, ein Deutscher und Carmen. In Madrid ist sie geboren, in New York hat sie lange gelebt, jetzt arbeitet sie in London – lärmige Metropolen. Carmen bleibt immer mal stehen, schaut, genießt es zu hören: "Auf die Klänge des Schweigens." Gegen Mittag wird es mühsamer. Die Sonne hat schon Kraft, der Schnee ist weich. Knapp neben der Spur brechen wir ein bis auf den Grund. Auf den Anstiegen bleibt deshalb nicht viel Platz, um die Skier schräg zu stellen. Verwachst haben wir auch noch. Bei jedem Anstieg kämpfen wir gegen das Wegrutschen. Noch ein paar steile Meter, dann kommen wir über einen verschneiten See an einer Hütte an. Ein Blockhaus aus mächtigen Stämmen. 80 Jahre alt, mit Stockbetten und eisernem Ofen. Früher lebten hier die Waldarbeiter. Vor der Hütte hat Markku Määttä ein Feuer angefacht. Ein drahtiger Mann, der Jahrzehnte als Grenzsoldat Patrouille gelaufen ist. Auf der Tour fährt er mit seinem Snowmobil der Gruppe voraus und bereitet die Mittagspausen vor. Auf Holzbalken um ein Feuer liegen Rentierfelle, eine Suppe mit Rentierfleisch köchelt, Markku drückt uns Spieße zum Würstchen Grillen in die Hand und reicht ein Brett mit Brot herum. Sylvie vom Genfer See, die in die Stille Finnlands gereist ist, weil sie vom Rummel in den Alpen genug hat, verteilt zum Nachtisch Schokolade: "Ein Stück gegen eine Fahrt auf dem Snowmobil, Markku?"

Nein, wir laufen weiter. Durch eine weltenferne Landschaft. Unter Torbogen von Birken, denen der Schnee die Spitze bis zum Boden umgebogen hat. Entlang eines Wildbaches, dessen reißendes Wasser sich nicht zu Eis erstarren lässt. Und in Schneefelder unter einem hohen Himmel. Hin und wieder kreuzen wir Spuren von Fuchs, Hase oder Vielfraß. Einmal sehen wir auch tellergroße Eindrücke. Da sind Schneebrocken von den Bäumen gefallen – und keine Bären vorbeigekommen. Noch liegen sie in den letzten Zügen ihres Winterschlafs. Viele leben hier, im Sommer ist die Gegend eine der besten für Bärbeobachtung-Safaris.

Die Sonne gleißt, der Schnee wird pappig, die letzten Meter kosten Kraft. Plötzlich bellen Hunde, eine Lichtung öffnet sich, weiße Holzhäuser stehen über einem See. Markku war hier einst mit anderen Grenzsoldaten stationiert. Die Soldaten sind abgezogen, Markku und seine Familie haben den Platz gekauft und für Gäste umgebaut. Unser Tagesziel. Wir hocken uns müde ins Haupthaus, in den Gemeinschaftsraum. Markkus Frau hat Kuchen und Beerensaft aufgetischt, in der Küche schmort ein Lachsauflauf, und im Untergeschoss heizt Markku die Sauna ein. Die Familie will hier leben, und das ist nur durch den Tourismus möglich, wie so oft in der Region. Die Papierindustrie hat viele Fabriken geschlossen, die Menschen, vor allem die jüngeren, ziehen in die Gegend um Helsinki. An unserem letzten Tag besuchen wir Vuokatti. Die Stadt ist ein Wintersportzentrum und hat sogar Skipisten. Lifte und Abfahrten sind voll, aus Russland kommen die neuen Reichen mit ihren Geländewagen. Aber der Weg in die Stille ist nicht weit. Wie in Kuhmo hat die Gemeinde ein riesiges Loipennetz gespurt. Die "Sonnenspur" leitet uns bis zum vereisten Nuasjärvi und um eine Halbinsel, weg vom Trubel. Finnlands Weite und Einsamkeit haben uns wieder.

Finnland

Allgemeine Informationen
Die einwöchige Tour "Auf Langlaufskiern entlang der russischen Grenze" kostet 1405 Euro. Anbieter ist Fintouring in Burgwedel, www.fintouring.de. Outdoor-Anbieter vor Ort sind Upitrek und (für Vuokatti) RTG Active. Kontakt und Infos: www.upitrek.com, www.readytogo.fi. Kontakt zu Jari Kyllönen über: info@hotellikalevala.fi. Huskytouren bietet an: Ultima Taiga, www.ultimataiga.fi. Einen Überblick über alle Angebote und Anbieter in der Region bietet: www.wildtaiga.fi. Die Gegend kann man sich auch für den Sommer merken. Bärenbeobachtung ist ein Hauptprogrammpunkt der Outdoor-Anbieter. Kuhmo veranstaltet jährlich ein renommiertes Kammermusik-Festival.

Unterkunft
Die Übernachtungsmöglichkeiten in Arola und Martinselkonen kann man auch direkt buchen, Infos unter www.arolantila.suomussalmi.net und www.martinselkonen.fi.

Preise
Übernachtung: 35 Euro/Nacht
Mittag- oder Abendessen: ab 10 Euro
Glas Wein: ab 5,50 Euro
Ausleihpreise Skier: 10 bis 20 Euro/Tag

Anforderungen
Die Tagesetappen auf der Tour betragen bis zu 25 Kilometer in leicht hügeligem Gelände. Weil man Schnee und Wetter so nehmen muss, wie es kommt, ist eine gewisse Fitness Voraussetzung.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sich dem finnischen Way of Life hingeben: Sauna mit Blick auf einen See und einer Dose Bier in der Hand, Elch-, Rentier und Fischgerichte genießen, Moltbeerenmarmelade einkaufen und Teershampoo (eine Spezialität der Region).
Auf keinen Fall vergessen, dass hinter dem Haus die Wildnis beginnt. Also nicht mal geschwind allein Füße vertreten im Wald – die Orientierung ist schnell verloren, und das nächste Dorf Richtung Osten liegt weit weg in Russland.