Das Stuttgarter Unternehmen Liganova gestaltet reale und virtuelle Verkaufsräume. Ihr Chef und Firmengründer Vincent Bodo Andrin hat ziemlich genaue Vorstellungen von der Zukunft der Handelslandschaft.
Stuttgart - Dass es in diesem Unternehmen um Design geht, wird dem Besucher schon beim Gang durchs Treppenhaus klar. Der Charme des in den sechziger Jahren vom Landtagsarchitekten Horst Linde entworfenen Gebäudes ist trotz einiger raffinierter Neuerungen erhalten geblieben. Die weißen Schreibtische waren Sonderanfertigungen auf Wunsch des Firmenchefs, genau wie die halbrunden Lichtaugen an der Decke. Ansonsten dominieren Holz, Metall und Glas. Und wohin man blickt, schwirren junge motivierte Kreative durch die Gänge.
Das Inszenieren von Marken und Produkten sieht Firmenchef Vincent Bodo Andrin als Hauptaufgabe des Unternehmen, das er zusammen mit seinem Co-Geschäftsführer Michael Haiser leitet. Auf die Gestaltung der Optik von Geschäften entfällt etwa die Hälfte des Jahresumsatzes von zuletzt rund 60 Millionen Euro. Andrin beschreibt das so: „Über das Schaufenster flirtet man permanent mit den Konsumenten.“ In ihrer „Destroyed Denim“-Kampagne für die Jeansmarke Diesel ließen die Stuttgarter ein Schaufenster aussehen wie ein von einem Tornado verwüstetes Wohnzimmer. Die Passanten durften das arrangierte Chaos hinter der Scheibe per Knopfdruck noch zusätzlich durcheinanderbringen. Angeblich sind während der Aktion vor ein paar Jahren in Berlin zweihundertmal so viele Passanten in den Laden gekommen wie vorher.
Mit Veranstaltungen beginnt die Erfolgsgeschichte
Eine andere Tochter, Ligadigital, betreibt unter anderem den Onlineshop des Luxuskaufhauses KaDeWe. Daneben organisiert Liganova auch Veranstaltungen, etwa die Vorstellung neuer Kollektionen bei Luxuslabels wie Chanel, Bulgari oder Cartier, Shop-Neueröffnungen sowie Fahrzeugpräsentationen bei Premiumherstellern wie Daimler und Porsche. Mit Veranstaltungen hat die Erfolgsgeschichte vor zwanzig Jahren auch begonnen.
Andrin sitzt in seinem Büro im Stuttgarter Herdweg und spricht vom Zeitgeist, der die neunziger Jahre geprägt hat und seiner Geschäftsidee zugrunde lag. Drei Dinge fallen ihm spontan ein: Musikvideos auf MTV, Handys und das Internet. Bekannte Firmen hätten damals begonnen, ihre Marken zu inszenieren: „Sie wollten ihren Kunden emotionale Erlebnisse bieten“, sagt der 42-Jährige, der schon in seiner Schulzeit erste Erfahrungen als Partyveranstalter, Programmierer und Softwarehändler gesammelt hatte. Dass Eventmarketing damals noch kein Studienfach war, spielte dem Jungunternehmer in die Karten. So konnte er sich nahezu konkurrenzlos einen Namen in der Branche machen. Zu seinen ersten Auftraggebern gehörten Red Bull, SAP und Hugo Boss. Die Verbindung zu den Metzingern, für die Liganova ab Ende der neunziger Jahre auch die Laden- und Schaufenstergestaltung übernahm, half der kleinen Eventagentur mit anfangs sechs bis acht Mitarbeitern dabei zu wachsen.
300 Beschäftigte arbeiten in Stuttgart, Berlin und Delhi
Heute beschäftigt das Unternehmen an den Standorten Stuttgart, Heimsheim, Berlin und Neu-Delhi rund 300 Mitarbeiter; Designer, Architekten, Programmierer, Marketing- und Kommunikationsspezialisten. Die meisten haben ein Studium hinter sich, trotzdem liegt der Altersdurchschnitt in der Firma unter 30 Jahren. Einen wie sich selbst, das gibt der Chef unumwunden zu, würde er heute wahrscheinlich gar nicht mehr einstellen. Ohne Studium oder Ausbildung hatte er sich nach dem Abitur selbstständig gemacht.
Wie es im Handelsgeschäft weitergeht, davon hat Andrin eine ziemlich genaue Vorstellung: „Die stationäre Welt und die Onlinewelt werden zusammenwachsen – und der Taktgeber wird der digitale Bereich sein.“ Den Schulterschluss von beiden Welten zu gestalten, sieht er als Mission für sein Unternehmen. Um näher an den Vorreitern der neuen digitalen Techniken zu sein, eröffnet Liganova im März ein eigenes Büro in San Francisco. Dann gibt der Firmenchef einen Einblick in die Handelswelt der Zukunft: Geschäfte müssten nicht mehr die gesamte Produktpalette auf der Verkaufsfläche vorhalten; nach dem Motto: mehr Angebot erzeugt mehr Umsatz. Stattdessen genüge es, die Kernprodukte ansprechend zu präsentieren. „Die Läden fungieren als Showrooms. Viel Marke, viel Kommunikation, wenig Ware“, sagt Andrin. Das gesamte Sortiment könne sich der Kunde im Anschluss an seinen Ladenbesuch bequem vom Café oder Sofa aus auf dem Smartphone ansehen und bestellen. Vier Stunden später werden die Sachen dann an seine Haustür geliefert.
Die Wirklichkeit sehe allerdings noch anders aus. Andrin spricht von wahren Materialschlachten auf der Verkaufsfläche und von unpersönlichen Onlineshops, bei denen es nicht über technische Produktbeschreibungen hinausgehe. „Die stationäre Kundenansprache muss rationaler werden und die digitale emotionaler“, fordert der Fachmann. Bislang wisse ein stationärer Händler nichts über einen Kunden, der sein Geschäft betritt. Durch die Vernetzung mit der digitalen Welt könne sich das ändern. Online müsse dagegen über den Nutzen und den Preis hinaus eine Geschichte zum Produkt erzählt werden. Der Geschichtenerzähler heißt dann Vincent Bodo Andrin.