Das Bundesverfassungsgericht wirft in seiner Verhandlung über die Fixierung von Patienten in der Psychiatrie auch ein Schlaglicht auf die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Die Richter suchen Alternativen zum Festschnallen – England scheidet dabei als Vorbild aus.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Die Überschrift ist sperrig, die Deutung vielschichtig. Zwei Tage lang verhandelt das Bundesverfassungsgericht über „Fixierung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung“. Staatliche Freiheitsentziehung sei „die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung“, sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Von einem „Spannungsverhältnis“ zwischen staatlicher Schutzpflicht und Selbstbestimmungsrecht spricht der Ludwigsburger Rechtsanwalt Horst Leitenberger. Verfassungsrichterin Doris König sagt, worum es ebenfalls geht. Die Verhandlung werfe „ein Schlaglicht auf die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung“, sagt sie. Es geht – zumindest auch – um Geld.

 

Fixierung bedeutet, ein Mensch wird an sein Bett gefesselt. Allein in Baden-Württemberg ist das im vergangenen Jahr rund 17 600 mal geschehen. Die meisten Fälle sind juristisch unproblematisch. Bei den so genannten zivilrechtlichen Fällen muss erst der Betreuer zustimmen, und dann ein Richter. In Karlsruhe geht es um die rund 2770 Fälle, bei denen das Landesgesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW) greift. Zwar braucht es einen Richter, der die Einweisung in eine Klinik anordnet. Innerhalb der Klinik sieht das Gesetz aber keine weitere richterliche Entscheidung für Maßnahmen wie die Fixierung vor. Juristen sprechen vom Freiheitsentzug im Freiheitsentzug.

Ludwigsburg ist überall

„Wenn vorne die Tür zu ist, kann der Arzt machen was er will“, sagt Rechtsanwalt Leitenberger „bewusst überspitzt“. Leitenberger vertritt einen Patienten, der im Klinikum Ludwigsburg über mehrere Tage hinweg immer wieder an beiden Beinen und Armen sowie am Bauch festgeschnallt wurde (wir berichteten ausführlich). Doch Ludwigsburg ist überall: Aus dem ganzen Bundesgebiet waren Richter und Ärzte nach Karlsruhe gekommen, um sich aus erster Hand darüber zu informieren, was die Verfassungsrichter zu entscheiden gedenken.

Für die Richter des Zweiten Senats ist die Welt der Psychiatrie voll des Unbekannten, die Fragewut daher ungewöhnlich groß. Peter Brieger, der ärztliche Direktor des Isar-Amper Klinikums in München erklärt, dass die Fixierung als ultima ratio gesehen werde, auch zum Schutz der Mitarbeiter aber manchmal notwendig sei. Bei 63 Prozent der Patienten erfolge die Fixierung in den ersten 24 Stunden, sagt Brieger. Psychoaktive Substanzen wie Chrystal Meth würde der Klinik heute Patienten zuführen, die es vor zehn Jahren nicht gab. Abgesehen von Notfällen halte er einen Richtervorbehalt für sinnvoll, allerdings mit Einschränkungen: „Nachts um zwei ist das nicht realistisch“.

Lucha ist von seinem Gesetz überzeugt

Manfred Lucha gehört zu denen, die den Richtervorbehalt nicht für sinnvoll erachten. Er hätte ihn sonst durchsetzen können. Der baden-württembergische Sozialminister ist überzeugt vom aktuellen Landesgesetz, „weil ich es gemacht habe“. Der Richtervorbehalt fehle darin , weil eine Fixierung in der Regel „nicht planbar“ sei und eine nachträgliche richterliche Überprüfung die Ausnahme sein soll.

Mehrere Vertreter der Ärzteschaft berichten darüber, dass die Zahl der Fixierungen wohl sinken könnte, wenn die Zahl der Pfleger stiege. Bei der so genannten 1:1-Betreuung würden diese von den Kassen aber nur finanziert, so lange die Maßnahme andauere, für das Vorhalten des Personals gebe es nichts. Uneinig zeigen sich Experten darüber, ob Isolierung ein milderes Mittel im Vergleich zur Fixierung sei. In den Niederlanden und der Schweiz setzt man eher auf diese Maßnahmen. Das sind kulturelle Unterschiede. Die gibt es auch mit Großbritannien, wo Fixierungen praktisch nicht vorkommen. Peter Lepping vom Center for Mental Health and Society in Wrexham berichtet dem Gericht dann aber von den Alternativen wie Zwangsmedikation und dem „körperlichen Halten“ durch vier besonders geschulte Pfleger. Kein Vorbild, so derGerichtspräsident, der eine Entscheidung in einigen Monaten verkünden wird.