Christian Baudisch möchte die Besucher des Deutschen Fleischermuseums mit einem Update überraschen, aber nicht mit einer neuen Dauerausstellung. Der neue Leiter des Hauses hat es auf die Konsumenten abgesehen: “Essen ist ein gutes Lockmittel“, sagt er.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Für das Deutsche Fleischermuseum gibt es nicht nur eine neue Perspektive, sondern seit 1. April auch einen neuen Leiter. Christian Baudisch ist von seinem Arbeitsplatz begeistert: Die Vielschichtigkeit der Einrichtung findet der Kunsthistoriker „wahnsinnig spannend“.

 
Herr Baudisch, sind Sie ein Optimist?
Definitiv.
Woher nehmen Sie den Optimismus? Als Sie die Stelle angetreten haben, war die Zukunft des Fleischermuseums noch ungewiss. Erst jetzt hat der Gemeinderat beschlossen, den Antrag zur Schließung der Einrichtung „zunächst nicht weiterzuverfolgen“.
Als ich von dem Job erfahren habe, war ich etwas ahnungslos. Ich bin Stuttgarter, in der Böblinger Stadtpolitik kannte ich mich nicht aus. Ich habe mir das Haus gründlich angeschaut, meinen Vater als Seniortester durchgescheucht, viele Leute. Und sie waren alle völlig begeistert. Aus diesen Reaktionen ziehe ich meinen Optimismus.
Dabei ist das Fleischermuseum wegen des verstaubten Images und geringer Besucherzahlen in der Stadt in Ungnade gefallen.
Die Böblinger sind dieses Museum einfach ein bisschen zu gewohnt. Die Überraschung ist natürlich weg. Deshalb sehe ich meine Aufgabe darin, die Neuheiten des Bestands zu zeigen.
Was hat Sie so an dem Haus begeistert?
Das Gebäude und die Architektur sind sehr beeindruckend. In manchen Räumen wird man wegen der schiefen Böden und Wände fast seekrank. Und dann finde ich die Vielschichtigkeit des Museums wahnsinnig spannend. Das Thema Fleischerhandwerk wird gründlich abgearbeitet. Dazu kommt der künstlerische Teil der Sammlung mit Kunstwerken und Karikaturen. Da pendelt das Fleischermuseum zwischen Skurrilität und wertvollen Exponaten.
Können Sie die Kritik am Haus verstehen?
Man könnte dem Fleischermuseum vorhalten, dass aktuelle Themen wie die Massentierhaltung, Slow Food oder Tierquälerei nicht abgebildet werden. Es feiert die gute alte Zeit, als gäbe es weder Döner noch Salami und Parmaschinken. Doch mit den Karikaturen sind diese Themen tatsächlich durch die Hintertür hereinmarschiert. Ganz raffiniert wurde damit die Lücke in der Dauerausstellung geschlossen.
Was haben Sie sich vorgenommen?
Ein Update. Das Fleischermuseum hat ein Problem unter vielen: Es wird stark als Museum für Leute aus dem Fach aufgefasst. Aber die Zahl der potenziellen Besucher aus dem Fach geht zurück. Deshalb müssen wir weg vom Museum für Produzenten hin zum Museum für Konsumenten. Fleisch ist ja zu einem richtigen Hobby geworden mit Zeitschriften, die sich nur dem Thema widmen. Ich werde also keine Ausstellung über die Kulturgeschichte des Fleischwolfes machen, sondern die Sinne des Konsumenten ansprechen. Es soll wieder fleischiger werden im Fleischermuseum.
Und wie?
Essen ist ein perfektes Lockmittel. „Nach dem Bier ist vor der Wurst“ heißt meine erste Veranstaltung. Dabei unterhalte ich mich mit dem Fußballfan, Groundhopper und Buchautor Bernd Sautter – über Stadionwürste, Hopfenkaltschalen und alles andere, was uns der Fußball kulinarisch zu bieten hat. Weil ich hier im Haus nicht so viele Zuhörer unterbringen kann, findet die Veranstaltung in der Zehntscheuer statt. Aber in der Nachspielzeit gibt es Stadionwürste und Bier auf der Terrasse des Museums. Zwei Metzgerbrüder grillen für uns. Im September wird es dann vegan. Dem Metzger ist es nämlich wurst, ob er aus Tieren oder etwas anderem Wurst macht. Hier soll ums Eck gedacht werden. Dazu habe ich die Autorin Florentine Fritzen eingeladen, die ihr Buch „Gemüseheilige“ vorstellt. Sie beleuchtet das kulturhistorische Phänomen des Veganismus. Und hinterher gibt es von einer Künstlergruppe eine vegane, essbare Installation in einer der Ladentheken im Fleischermuseum.
Im Herbst gab es meistens eine neue Ausstellung: Bleiben Sie den Karikaturen treu?
Ich denke, das Thema bedarf nach all den Jahren einer Öffnung. Es bleibt auf alle Fälle lustig. Ich würde den Begriff jedoch gerne mehr zur Kunst hin öffnen. Ich möchte Künstler von meiner Idee überzeugen, dass sie mit dem Bestand des Hauses arbeiten und sich stärker auf das Thema des Museums konzentrieren, statt alles von außen hereinzuholen. Ich will wirklich ins Gedärm des Museums hinuntersteigen.
Haben Sie dort schon etwas gefunden?
Ich renne permanent durch das Haus – und dabei bin ich auf jede Menge Bücher gestoßen. Ich habe sie aus dem Keller hochgeschleppt. Die sollen jetzt aufgestellt werden. Denn es gab schon Anfragen nach unserer Bibliothek, die mussten früher alle abgeschmettert werden. Ich möchte, dass das Museum zusätzlich zur Schaustelle eine Forschungsstelle wird.
Steht auch eine Modernisierung der Dauerausstellung an?
Mit den Ressourcen, die ich habe, konzentriere ich mich auf das, was man sieht – durch Eingriffe in die Dauerausstellung. Ich bin auch gar kein so großer Fan von der These: „Wir machen ein Museum neu“. Museen mit digitalem Zeug altern zum Beispiel wahnsinnig schnell. Wenn man den Objekten vertraut, dass sie erzählen können, fragt sich: Wozu braucht man die Digitalisierung? Mir hat noch kein Besucher gesagt, dass er den QR-Code vermisst.