Die Beschwerden aus dem Ausland über niedrige Preise der deutschen Schlachtindustrie häufen sich. Grund sind teils extrem geringe Vergütungen. Doch die Bundesregierung sieht kaum Handlungsbedarf, wie eine Anfrage der Grünen-Fraktion ergibt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Exakt 1347 Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten waren 2012 im Bereich Schlachten und Fleischverarbeitung tätig – nur 31 mehr als zwei Jahre zuvor. Auch der Personalbestand stagniert: Im Vorjahr waren etwa 142 300 Beschäftigte sozialversicherungspflichtig und 39 300 geringfügig entlohnt dort tätig – kaum weniger als 2010. Doch der Umsatz wächst rasant: von 35,1 Milliarden Euro (2010) auf 40,5 Milliarden Euro (2012).

 

„Die Umsatzsteigerung bei nahezu gleicher Beschäftigtenzahl legt die Vermutung nahe, dass vermehrt billigere Arbeitskräfte in der Schlachtbranche eingesetzt werden“, sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke, die für ihre Fraktion in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung die Arbeitsbedingungen in der Schlachtbranche recherchiert hat. Die Antwort des Arbeitsministeriums von Mitte Juni liegt der Stuttgarter Zeitung vor.

Die Grüne wollte vor allem herausfinden, welchen Schaden Werkverträge und Subunternehmer anrichten. Die Reaktion des Ministeriums auf die 35 Fragen hat sie enttäuscht. „Die Bundesregierung stellt sich blind und verweist darauf, dass ihr keinerlei Daten über die Entwicklung von Werkverträgen vorliegen“, moniert die Reutlingerin.

Beschwerden aus dem Ausland nehmen zu

Fakt sei zudem, dass die Zahl der lebend importierten Schlachttiere – ausgenommen Rinder – bis 2012 stark zugenommen habe. Damit werde deutlich, dass die deutsche Schlachtbranche einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern besitze. „Auch dieses Indiz unterstreicht den Verdacht, dass niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen im Bereich von Werkverträgen existieren“, folgert Müller-Gemmeke. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Das Geflecht von Subunternehmen sowie (Schein-)Werkverträgen ist undurchschaubar. So können auch osteuropäische Firmen offiziell in deutschen Schlachthäusern produzieren und ihre Landsleute als Billigkräfte einsetzen.

Klar ist, dass einige Nachbarn mit den niedrigen deutschen Preisen kaum mithalten können und gegen Wettbewerbsnachteile vorgehen. Im März beschwerte sich die belgische Regierung bei der EU-Kommission über deutsche Sozialdrückerei. Die Österreicher haben sich der Initiative jetzt angeschlossen, weil immer mehr größere Schlachthöfe in die Insolvenz gehen. Die Reaktion aus Berlin fällt lapidar aus: Der Regierung seien kritische Äußerungen aus Frankreich, Belgien und Dänemark bekannt, heißt es. Doch „erscheint der Vorwurf, ein mögliches Lohndumping verzerre die Wettbewerbssituation in der europäischen Fleischbranche, nicht plausibel“. Die Situation bei den Produktionskosten sei sehr heterogen, aber „der Wettbewerb gewährleistet einen fairen Ausgleich der Interessen auf dem EU-Binnenmarkt“.

Müller-Gemmeke nennt die Antworten „nichtssagend sowie vertuschend“ und hält es für einen „Skandal, dass die Bundesregierung Vorwürfe aus dem europäischen Ausland ignorant zurückweist“. Ebenso sei es verwerflich, „dass die Fleischbranche ihre Hände in Unschuld wäscht“, obwohl Zigtausende osteuropäischer Arbeitskräfte (vor allem Ukrainer, Weißrussen, Polen und Moldawier) „unter menschenunwürdigen Bedingungen hier arbeiten müssen“.

Einen Mindestlohn gibt es nicht in der Schlachtindustrie

Besonders bezeichnend ist, dass der dänische Schlachtriese Danish Crown schon viele Tausend Stellen nach Deutschland verlagert hat, um die hiesigen Vorteile auszunutzen. Bereits vor genau einem Jahr haben europäische Gewerkschaftsvertreter mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über die Probleme diskutiert. Daraufhin kündigte sie einen Runden Tisch an. Jüngst gab es noch einen Kontakt auf der Arbeitsebene. Doch es tut sich nichts. „Von der Leyen sitzt das aus“, tadelt daher der Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, die Ministerin. „Dieser Menschenhandel mit Hungerlöhnen ist ein Skandal und muss endlich mit wirksamen Regelungen beendet werden.“ Gute Arbeitsplätze in Frankreich, Dänemark, Belgien und Österreich würden vernichtet. „Die EU-Kommission ist alarmiert – und die deutsche Politik versagt“, sagte er der StZ.

Einen Mindestlohn gibt es nicht, weil die Gewerkschaft auf Arbeitgeberseite kein Pendant findet, um einen Flächentarifvertrag abzuschließen. Auch der Bundesverband der Fleischwarenindustrie übernehme diese sozialpolitische Verantwortung nicht, sagt eine NGG-Sprecherin. Somit sind allenfalls Haustarifverträge möglich – aber die sind auch nicht transparenter, weil Werkverträge in der Buchhaltung generell als „Sachkosten“ abgerechnet werden.

Dies führt womöglich auch zu Vorteilen im Ausgleichsverfahren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), weil Personalkosten für eine Befreiung nicht relevant sind – Sachkosten sehr wohl. Derzeit sind 54 Betriebe der Branche von der EEG-Umlage entlastet. Die dadurch eingesparte Gesamtsumme schnellte von rund 720 000 Euro (2010) auf 27,2 Millionen Euro (2013) hoch. „Durch den Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten und Leiharbeitskräften können nicht nur die Lohnkosten gesenkt, sondern auch enorme Energiekosten eingespart werden“, resümiert Müller-Gemmeke. „Das Geschäftsmodell lohnt sich.“

Dieser Frage solle bei der Erstellung des EEG-Erfahrungsgesetzes nachgegangen werden, antwortet das Ministerium. Dabei „wird die Bundesregierung auch entscheiden, ob Handlungsbedarf besteht.“