Der Anbagger-Profi Horst Wenzel bringt Männern bei, ihre Schüchternheit zu überwinden. Eindrücke von einem Wochenend-Flirtkurs in Stuttgart.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Horst Wenzel schreit: „Los!“ Wie befohlen läuft Leon Berger (Die Namen der Teilnehmer wurden geändert) zu einer blonden Frau, er soll sie ansprechen, irgendwie. Benjamin Kunz soll zwei Mädels, die auf der Straße rumstehen und in ihre Handys starren, fragen, ob er helfen könne. Leon Berger und Benjamin Kunz wollen flirten lernen. Sie haben mit drei weiteren Männern zwischen 30 und 55 Jahren bei Horst Wenzel den Kurs „Natürlich begeistern“ gebucht.

 

An einem Samstagvormittag treffen sich die Männer zunächst in einem Büro im Stuttgarter Westen. Es riecht nach Rasierwasser. Reihum erzählen alle, warum sie keine Frauen kennenlernen, keine Dates haben. Benjamin Kunz, 31, ist aus der Schweiz gekommen. „Ich bin so unsicher. Ich traue mich nicht, Frauen anzusprechen.“ Vor allem schöne Frauen würden ihn einschüchtern, sagt er. Er möchte nicht mehr darüber nachdenken, wie er sie ansprechen kann, es soll selbstverständlich ablaufen: „Wie wenn ich Durst habe und dann etwas trinke.“ Dafür hat er knapp 600 Euro bezahlt, so viel kostet ein zweitägiger Kurs an Wenzels Flirtuniversity.

Kunz’ Stimme ist für einen Mann eine Oktave zu hoch, seine Frisur vom Modell Topfschnitt. Er arbeitet in der Logistikbranche. Vor sich hat er einen Collegeblock liegen, er notiert eifrig, was Wenzel erzählt.

Horst Wenzel, 28, ist von Beruf Aufreißer. Vor vier Jahren hat er Deutschlands erste Flirtuniversity gegründet, um einsamen Menschen eine neue Perspektive zu bieten. Wenzel verspricht mehr Selbstvertrauen, mehr Liebe, er nennt sein Unternehmen eine „Fahrschule fürs Flirten“. An einem Wochenende werde zwar aus keinem Normalo ein Rennfahrer. „Aber das Einparken muss sitzen. Vielleicht können einige nach dem Kurs auch schon auf der Autobahn fahren.“

Der Good Cop der deutschen Flirtszene

Die Metapher ist etwas schief, denn eigentlich wollen die Teilnehmer nichts anderes, als eine Freundin zu finden. Wenzel soll ihnen dabei helfen. In der Gruppe gehen die Männer durch die Stuttgarter Innenstadt, abends ziehen sie durch Bars und Clubs. Wenzel immer voran, er ist der Entertainer, sorgt für die gute Stimmung. Die Kursteilnehmer versuchen, mit beliebigen Frauen ins Gespräch zu kommen. Die ersten Worte gibt ihnen Wenzel vor, seine Lehrlinge machen das, was der Meister sagt – und wirken deshalb bei den Anmach-Übungen wenig authentisch.

Männer, die durch die Straßen ziehen und in Gruppen Frauen ansprechen: Das erinnert an die verrufenen Pick-up-Artists, Verführungskünstler, die sich über Internetforen organisieren. Ihr Ziel ist es, möglichst viele Frauen ins Bett zu kriegen. Für viele Pick-up-Artists sind Frauen Trophäen. Als Gründer gilt der US-Amerikaner Ross Jeffries, der Anfang der 1990er Jahre das Buch „How to get the women you desire into bed“ geschrieben hat. Es gibt sogenannte Verführungscoaches, die Kurse und Videos anbieten.

Horst Wenzel hat früher für diese Communitys Flirtseminare angeboten, auch in Stuttgart. Inzwischen will er mit dieser Szene nichts mehr zu tun haben, er hält deren Methoden, wie er sagt, „für Kleine-Jungs-Zeugs“: „Ich arbeite mit Frauen, nicht gegen sie.“ Wenzel will der Good Cop der deutschen Flirtszene sein.

Doch kann man flirten überhaupt lernen? Lernen, wie man seine Wirkung auf Frauen steuert? Wenzel ist überzeugt davon. Er referiert über Selbstbewusstsein, malt Anmachszenen auf ein Flipchart, lässt die Männer im Seminarraum üben. Sie sollen eine Frau ansprechen.

Die Urängste von Männern

Benjamin Kunz legt los. Er stellt der fiktiven Frau nicht nur eine Frage, sondern ein Dutzend. „Hi, ich bin der Benni. Ich hab dich gesehen, wie du hier sitzt und genüsslich deinen Kaffee trinkst, und dachte, ich spreche dich einfach mal an. Wie schmeckt dein Kaffee? Ist das Cappuccino?“ Ein Fehler. „Nicht in einen Fragekatalog stolpern“, bremst Wenzel. Der Profi empfiehlt: „Ihr müsst einen Rahmen für das Gespräch setzen.“ Kunz notiert „Rahmen für Gespräch setzen“ und fragt dann: „Ist es nicht so, dass man Frauen im Ungewissen lassen muss, damit man interessant wird?“ Wenzel hält die alte „Willst du gelten, mach dich selten“-Regel für Unsinn: „Wer sich rar macht, macht sich rar, rar und rarer. Und ist am Ende ganz einsam.“

Wenzel bewertet auch, wie die Gestik, die Mimik und die Körperhaltung waren. Wildes Gefuchtel wirke nervös, aufrechtes Stehen zeige Selbstbewusstsein. „Die Stimme ist ein wichtiges Werkzeug des Verführers“, sagt er nach Kunz’ Übung. Der sagt: „Das war wohl ‚Setzen sechs‘.“

Ein Exkurs: Der Flirtcoach spricht über die Evolutionsgeschichte, über die Urängste von Männern und Frauen und darüber, „was Frauen wirklich wollen“. Wenzel, ein Schlaks mit unfrisierten blonden Locken, rotem Dufflecoat, skinny Jeans und schwarzen Lackschuhen weiß. was Frauen wollen. Glaubt er zumindest. Die Teilnehmer glauben ihm auch. Doch wie gelingt der, wie es in der Profi-Flirtsprache heißt, „Erstkontakt“? Wenzels Tipp: „Ich sage ja immer, von den Omas lernen, heißt siegen lernen.“ Ob auf der Straße, im Zug oder im Bus, die alten Damen machen eines richtig: „Die reden einfach drauflos. Die lullen einen so ein, dass man gar nicht anders kann, als mit ihnen zu reden.“

Wo werden Frauen am liebsten angefasst?

Ein Kompliment zum Einstieg findet er super, so mache er das selbst häufig. „Das ist ein kleines Geschenk für die Frau, das ihr übergebt“, sagt Wenzel und formt seine Hände zu einer Schale, als würde dort etwas drin liegen. Auf seiner Website finden sich „53 schöne Komplimente für schöne Frauen“. Neben vorgefertigten Komplimenten gibt es Tipps für erste Sätze bis hin zu Alternativsprüchen für „Ich liebe dich“ wie zum Beispiel „Blumen brauchen Sonnenschein und ich brauch’ dich zum Glücklichsein“. Damit gewinnt man vielleicht nicht das Herz einer jeden Frau, aber sicher jeden Poesiealbum-Wettbewerb.

Wenzel nimmt seine Teilnehmer an die Hand. Alle haben wenige oder schlechte Erfahrungen in der Liebe gemacht. Deshalb erzählt der Flirtcoach ihnen, wo Frauen am liebsten mit der Hand angefasst werden wollen beim Küssen – so etwas oberhalb der Hüfte –, und empfiehlt, sie dabei leicht gegen eine Wand zu drücken. „Das mögen Frauen.“

In der freien Wildbahn, auf der Königstraße, üben sie: offen sein, aus sich rausgehen – und ja, sich auch mal zu blamieren. Wenzel schickt sie los zum Abbauen von Hemmungen. Die Männer laufen durch die Straßen und halten Passanten ihre Hand zum High Five hin. Viele sind überrascht, schlagen ein, nur wenige weichen aus. Benjamin Kunz gefällt die Übung, er erzählt: „Wie beim Fußball. Ich spiele ja im Verein. Wenn ich einmal in Fahrt bin . . .“

Flirtprofi führt eine offene Beziehung

Zigarettenpause, dann die nächste Übung: mitten auf der Straße eine Rede halten. Rainer Gruber*, mit 55 Jahren der älteste Teilnehmer, steigt auf einen kniehohen Steinwürfel an der Calwer Straße und proklamiert: „Haben Pinguine Knie, meine Damen und Herren? Es ist der Allgemeinheit wenig bekannt darüber, wo bei Pinguinen die Knie sind.“

Benjamin Kunz ist inzwischen nicht mehr zu bremsen. Er spricht eine vorbeilaufende Frau nach der anderen an. Sein Repertoire reicht von „Du hast so schöne Haare“ bis zu „Du sahst so sympathisch aus, da musste ich dich einfach ansprechen.“ Die Frauen bleiben tatsächlich stehen, bedanken sich, gehen dann aber weiter. Kunz lässt sich nicht abschrecken. Den Jackpot, die Handynummer einer Fremden, gewinnt er jedoch nicht. Die meisten Frauen lächeln nur, einzelne lassen sich auf ein kurzes Gespräch ein. Mehr nicht.

Wenzel rät den Männern, ständig zu flirten. Im Supermarkt, auf der Straße, beim Joggen – Tinder in Echt nennt man das heutzutage wohl. Und stets: nüchtern. „Keine Frau will einen besoffenen Mann kennenlernen.“ Frauen, meint der Flirtcoach, wünschten sich Hollywood-Momente. „Solche tiefromantischen Situationen kann man zu jeder Zeit konstruieren.“ Zwischen zwei Zigaretten demonstriert Wenzel sein Können: Er holt sich von einer Unbekannten die Handynummer, kommt zurück, lächelt und erzählt von seiner Freundin: „Sie ist ein Goldstück.“ Der Flirtprofi führt eine offene Beziehung.

Nur ein Teilnehmer hat ein Erfolgserlebnis

Ursprünglich zog es Horst Wenzel in die Politik. Schon mit 19 war er Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Westerfilde, einem Stadtteil von Dortmund. Diese Karriere habe er freiwillig beendet, weil ihm das Klima in der Politik nicht gefallen habe, erzählt er: „Der Konkurrenzkampf war zu groß.“ Politik sei „unglaublich unflirty“. Beim Flirten müsse man zuhören, „in der Politik wird nicht zugehört“. Aber muss man deswegen gleich seinen Lebensunterhalt als Flirtcoach verdienen? Als Antwort zitiert er Udo Lindenberg: „Einer muss den Job ja machen“, sagt Horst Wenzel.

Noch eine Zigarette, noch eine Besprechung. Was war gut, was nicht? Anschließend trifft die Männergruppe zufällig auf zwei ehemalige Kursteilnehmer der Flirtuniversity. Einer erzählt: Er sei als Härtefall in Wenzels Kurs gekommen, seine streng religiöse Erziehung habe ihn blockiert. Eine Freundin hatte er vor dem Kurs noch nie. Seit dem Flirtseminar lande er „ab und zu“ bei Frauen, manche würden ihn sogar mit nach Hause nehmen: „Daraus entwickeln sich dann erotische Dinge.“

So weit sind die Teilnehmer während des Flirtkurses nicht gekommen. Immerhin hatte Leon Berger ein Erfolgserlebnis: Auf der Königstraße sprach er eine Frau an. Sie setzte sich mit ihm auf eine Bank. Sie redeten fast 20 Minuten. Beim Abschied hielt sie ihm ihr Handy hin, und er tippte seine Nummer ein. Vielleicht ruft sie ihn mal an.