Die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt wird lange Zeit in Anspruch nehmen. Experten sehen aber durchaus Chancen für die Unternehmen. Vorausgesetzt, sie erwarten keine fertigen Fachkräfte.

Stuttgart - Nichts ist besser als eine gute Arbeit zu haben. Das macht einen zum Teil der Gesellschaft“, ist Martin Wansleben, der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), überzeugt. Ob und wie schnell die Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind, in Arbeit finden, ist schwer zu prognostizieren. Das gilt auch für die Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt: Sind die Flüchtlinge von heute die Hartz-IV-Empfänger von morgen, wie Kritiker befürchten, oder könnten sie in Zukunft dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu beheben? Wir beantworten einige Fragen rund um das Thema.

 
Wie gut sind die Flüchtlinge ausgebildet?
Es gibt bisher nur wenig belastbare Zahlen über den Stand der Qualifikationen, die die Menschen mitgebracht haben. In einer nicht repräsentativen Umfrage, die das Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unter Neuankömmlingen des vergangenen Jahres durchgeführt hat, gaben 46 Prozent an, eine Hochschule, Fachhochschule oder eine mit dem Gymnasium vergleichbare Oberschule besucht zu haben. Die Studie sagt allerdings nichts darüber aus, ob sie auch einen Abschluss erworben haben. 25 Prozent der Befragten haben gar keine oder nur die Grundschule besucht. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen nur 30 Prozent. „Das waren vor allem die Menschen, die studiert hatten, denn unser System der dualen Berufsausbildung ist außerhalb des deutschsprachigen Raums kaum bekannt“, sagt Herbert Brücker.
Der Professor für Volkswirtschaftslehre leitet den Forschungsbereich „Internationale Vergleiche und Europäische Integration“ am IAB. Er beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Folgen der Migration. Brücker vergleicht die Qualifikationsstruktur der Menschen, die während der neunziger Jahre vom Balkan und aus dem arabischen Raum nach Deutschland kamen, mit den heutigen Flüchtlingen und kommt zum Schluss: „Das Niveau war ähnlich schlecht. Aber heute könnte es besser laufen, denn wir nehmen uns den Problemen an.“ Die Arbeitsmarktpolitik habe dieses Mal besser reagiert, in dem sie etwa sofort Qualifikationsmaßnahmen, Integrations- und Sprachkurse angeboten hat.
Wo beginnt die Arbeitsmarktintegration?
Das geringe Lebensalter der Flüchtlinge ist ein großer Vorteil. Mehr als 80 Prozent der Asylbewerber des Jahres 2015 waren laut IAB jünger als 35 Jahre, jeder Dritte ist im schulpflichtigen Alter. Für sie beginnt die Integration bereits in der Schule. Die Älteren stehen nach den Sprachkursen vor der Wahl, entweder eine Ausbildung oder ein Studium aufzunehmen oder sich direkt einen Job zu suchen. Chance für den direkten Weg in den Beruf ergeben sich besonders in Bereichen, in denen die hohe Arbeitskräftenachfrage nicht durch einheimische Bewerber gedeckt werden kann wie in der Gastronomie, dem Handel oder bei einfachen Dienstleistungen. In den vergangenen fünf Jahren sind nach IAB-Angaben allein in diesen Bereichen bundesweit 1,1 Millionen neue Jobs entstanden.
Müssen die Sprachkurse abgeschlossen sein, bevor die berufliche Qualifikation beginnen kann?
Um die Flüchtlinge frühzeitig an den Arbeitsmarkt heranzuführen, bieten die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sogenannte Kombi-Kurse an, die den Spracherwerb mit der Berufsbildung verzahnen. Die Ausschreibungen dafür laufen gerade an. Bewerben könnten sich laut BA-Vorstand Detlef Scheele aber nur anerkannte Asylbewerber. Das unterscheidet das Angebot von anderen Integrationskursen, die besucht werden dürfen, sobald sie einen Asylantrag gestellt haben.
Wie lange wird die Integration dauern?
Die Bundesagentur für Arbeit geht in ihren Prognosen davon aus, dass 90 Prozent der Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter nach Abschluss ihres Asylverfahrens und von ersten Sprach- und Integrationskursen zunächst einmal in die Grundsicherung (Hartz IV) fallen. Im Umkehrschluss würde jeder Zehnte innerhalb des ersten Jahres eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden. Die BA rechnet damit, dass die Vermittlungsquote nach den ersten fünf Jahren auf 50 Prozent gestiegen sein wird und dass sie sich nach 15 Jahren der Erwerbstätigenquote der deutschen Bevölkerung annähern könnte.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei Zuwanderung unverzichtbar, mahnt Migrationsexperte Brücker an: „Wir sind als alternde Gesellschaft darauf angewiesen.“ Im Augenblick sei die Flüchtlingsmigration eher eine finanzielle Belastung für die Volkswirtschaft, als dass sie bei der Lösung des demografischen Problems hilft. Das könnte sich in einem Zeitraum von acht bis zehn Jahren ändern.
Wie gehen die Unternehmen mit dem Thema Flüchtlinge um?
Viele Betriebe ergreifen die sich bietende Gelegenheit. DIHK-Chef Martin Wansleben hebt vor allem die hohe Ausbildungsbereitschaft der Betriebe hervor. Sie würden Flüchtlinge mit Defiziten in Sprache oder Qualifikation beim Einstieg unterstützen: „Dabei kann auf bewährt Instrumente des Ausbildungspakts von 2004 zurückgegriffen werden“, sagt Wansleben und nennt als Beispiel die EQ-Praktika zur Einstiegsqualifizierung.
Die Bereitschaft, gerade jüngeren Einwanderern ein Praktikum oder eine Ausbildung zu ermöglichen, wird vor allem durch Leutturmprojekte großer Industriebetriebe wie EnBW, Bosch, Trumpf oder Mahle sichtbar. Sie ist aber auch bei Handwerkern und kleinen Mittelständlern vorhanden. Christian Rauch, der als Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg im Kontakt mit Unternehmern steht, bestätigt diesen Eindruck. Demnach machten die Konzerne zwar absolut die meisten Angebote, allerdings seien sie durch die Bürokratie in der internen Regularien oftmals weniger flexibel und langsamer als kleinere Betriebe.
Was sind die größten Einstiegshürden?
Unabhängig von der Größe eines Unternehmens gilt: Es wird einen Migranten erst dann fest an sich binden, wenn dieser über einen Bleibestatus verfügt, also nach Abschluss seines Asylverfahrens. Diese Sicherheit haben Unternehmen, die junge Migranten ausbilden, künftig zumindest für fünf Jahre. Die sogenannte „3 plus 2“-Regel ermöglicht einem Azubi für Dauer der dreijährigen Ausbildung und anschließend für weitere zwei Jahre einen sicheren Aufenthalt. Besonders der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hatte die Regel seit längerem vehement gefordert.
Viele Flüchtlinge sind hoch motiviert und wollen am liebsten sofort eine Arbeit aufnehmen. BA-Regionalleiter Rauch sieht das durchaus kritisch. Bei der Behörde sind bisher 20 000 Flüchtlinge als Kunden gelandet. „Deutschkenntnisse, die für den Arbeitsmarkt ausreichen, haben nur etwa 2000“, sagt er. Bei den Unternehmen seien in der Regel Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 oder B2 gefragt, selbst für Helfertätigkeiten sollte der Arbeiter einen A2-Kurs erfolgreich abgeschlossen haben.
Neben der immer noch zu langen Dauer der Asylverfahren ist die zu geringe Zahl an Sprachkursen der Knackpunkt bei der Integration. Und je länger die Flüchtlinge auf das eine oder das andere warten müssen, desto größer die Gefahr, dass bereits vorhandene Qualifikationen verloren gehen.