Von der gesamten südlichen Mittelmeerküste aus versuchen Menschen, auf schrottreifen Gefährten europäisches Territorium zu erreichen. Zwischen 2000 und 4000 Dollar pro Kopf knüpfen ihnen die gut organisierten Schlepperbanden dafür ab.

Lampedusa - Von der gesamten südlichen Mittelmeerküste aus versuchen Menschen, auf schrottreifen Gefährten europäisches Territorium zu erreichen. Zwischen 2000 und 4000 Dollar pro Kopf knüpfen ihnen die gut organisierten Schlepperbanden dafür ab. Und während die Kunden früher überwiegend junge Männer aus Somalia, Sudan, Eritrea oder Westafrika waren, sind es mittlerweile zunehmend syrische Familien. Nach drei Jahren Bürgerkrieg ist die Hälfte aller 22 Millionen Syrer entwurzelt und obdachlos, es ist die größte humanitäre Katastrophe seit dem Genozid in Ruanda vor 20 Jahren. Allein in den Nahost-Küstenstaaten Türkei, Libanon, Ägypten, Algerien, Tunesien und Libyen halten sich zwei Millionen Vertriebene auf, die in ihrer zerstörten Heimat keine Zukunft sehen und in den Aufnahmeländern immer weniger gelitten sind.

 

Der Menschenschmuggel in Richtung Europa boomt

Und so boomt der Menschenschmuggel in Richtung Europa, auch wenn der Aufschrei des italienischen Innenministers Alfano, allein in Libyen warteten 500 000 Menschen auf eine Überfahrt, übertrieben scheint. Die wichtigsten Transitrouten aus Somalia, Eritrea und dem Sudan allerdings führen durch die libysche Wüste zum Mittelmeer. Die Syrer wiederum schlagen sich von Ägypten, Tunesien oder Algerien an die libysche Küste durch, weil von hier aus der Seeweg am kürzesten ist. Andere machen sich von Alexandria aus direkt auf die 1600 Kilometer lange Überfahrt nach Italien, die zwischen zehn und 14 Tagen dauert. 43 000 Menschen, mit ihnen 4000 Kinder, ließen sich 2013 auf die lebensgefährliche Tour ein, um in Europa Schutz zu suchen – drei Mal mehr als 2012. Tausende ertranken, allein die Bootskatastrophe am 3. Oktober 2013 vor der italienischen Insel Lampedusa kostete mehr als 360 Menschen das Leben.

Manche Länder gehen rigide gegen die Flüchtlingsströme vor: Mehrmals nahm Ägyptens Küstenwache im letzten Herbst auslaufende Boote unter Feuer, Dutzende Menschen starben, 1400 Fluchtwillige wurden interniert und trotz internationaler Proteste in die Türkei abgeschoben. Auch von dort versuchen Verzweifelte, Europa über eine der griechischen Inseln zu erreichen. Gegenüber Amnesty International berichtete ein junger Syrer, wie er und seine 30-köpfige Gruppe im letzten Oktober von der griechischen Küstenwache nahe der Insel Samos in Empfang genommen wurden. „Sie zwangen uns alle auf den Boden des Bootes, trampelten drei Stunden auf uns herum. Dann bauten sie den Motor aus, schleppten unseren Plastikkahn zurück in türkische Gewässer und ließen uns mitten auf dem Meer alleine.“

Auch in Spanien ist die Situation angespannt

Manchmal endet die Flucht tödlich: Vor der Küste Griechenlands starben Mitte März bei einem Bootsunglück mindestens sieben Flüchtlinge, darunter auch zwei Kinder. Zwei weitere Menschen sind nach Behördenangaben vermisst, nachdem ihr Boot vor der Insel Lesbos in der Ägäis gekentert war. Zur Herkunft der Flüchtlinge wurden keine Angaben gemacht. Die Zahl der Bootsflüchtlinge hat in Griechenland im vergangenen Jahr durch den Syrien-Konflikt und stärkere Kontrollen der Landwege Richtung Europa in der Türkei stark zugenommen. Griechenland ist eines der Hauptzielländer für Menschen aus der Nahost-Region und Afrika.

Auch in Spanien ist die Situation angespannt. Wenn die Schätzungen des spanischen Innenministeriums stimmen, warten im marokkanischen Hinterland der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla Zehntausende Schwarzafrikaner auf eine Gelegenheit, die schwer gesicherten Grenzzäune zu überwinden. Alle paar Wochen tun sich Hunderte Migranten zusammen, um im gemeinsamen Anlauf einen Weg in die europäischen Städte auf afrikanischem Boden zu finden. Dabei gibt es immer wieder dramatische Szenen. Im Februar ertranken 15 Menschen vor Ceuta, die übers Mittelmeer die Grenzanlagen zu umschwimmen versucht hatten.

Vor einigen Jahren machten Bootsmigranten, die von der westafrikanischen Küste Richtung Spanien aufbrachen, Schlagzeilen: Knapp 40 000 kamen 2006 vor allem auf den Kanaren an, bis 2012 war die Zahl auf 3800 gesunken. Stattdessen nimmt nun wieder der Druck auf Ceuta und Melilla zu. 2012 überwanden 2841 Männer (und einige wenige Frauen) die Grenzzäune der Exklaven; im vergangenen Jahr waren es nach nicht offiziell bestätigten Zahlen bereits 4354 Flüchtlinge. Spanien versucht sich einzuigeln: Teile der Grenzanlagen wurden in den vergangenen Monaten mit messerscharfem Nato-Draht bewehrt. Menschenrechtler beklagen das „ernsthafte Risiko für Leben und Gesundheit“ der Migranten.