Immer mehr Geflüchtete, immer weniger Platz: Städte und Gemeinden fordern Berlin im Russland-Ukraine-Krieg zum Handeln auf.

Die weiter stark steigende Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine bringt Kommunen zunehmend an ihre Grenzen. Die Situation sei dramatischer als während der Flüchtlingskrise 2015/2016, sagt die Korntal-Münchinger Rathaussprecherin Angela Hammer: „Die ukrainischen Flüchtlinge werden direkt den Kommunen zugewiesen, und die Situation ist unplanbarer.“ Auch die Zuweisungszahlen seien wesentlich höher. „Hinzu kommt, dass die Flüchtlingszahlen aus anderen Ländern gerade höher sind als 2015/16.“

 

Jede Woche kommen 200 Flüchtlinge im Landkreis

Wöchentlich kommen im Kreis Ludwigsburg 150 bis 200 Flüchtlinge aus der Ukraine an. Rund 5800 Menschen insgesamt sind es seit Beginn des Krieges, davon haben 350 in Korntal-Münchingen eine Bleibe gefunden. Im schlimmsten Fall kommen in der nächsten Zeit 50 Flüchtlinge pro Monat – weitestgehend aus der Ukraine –, in die Stadt, sagt der Bürgermeister Joachim Wolf (parteilos). „Dann sind wir Ende November mit unserem Latein am Ende.“ Seit September sind über den Landkreis etwa 30 Geflüchtete im Münchinger Hotel Schlafwerk untergebracht. Zum Jahreswechsel müsse die Stadt unter Umständen auf eine Sporthalle zurückgreifen, so Wolf, der auch von einer sinkenden Bereitschaft der Bürger, Flüchtlinge privat aufzunehmen, berichtet. Vermutlich seien die Kapazitäten erschöpft.

Auserkoren hat die Stadtverwaltung die Buddenberg-Halle in Münchingen, wo Platz für rund 50 Personen wäre. Teile der Ausstattung – Trennwände, Betten, Bettzeug, Waschmaschinen – hat die Stadt schon besorgt und bisher rund 12 000 Euro dafür ausgegeben. Der Bürgermeister betont zugleich, die Belegung einer Sporthalle sei nur eine Übergangslösung. Daher prüft die Stadt auch Standorte für Container sowie deren Kosten und Verfügbarkeit, ebenso, wo sie neue Gebäude für Flüchtlinge errichten kann.

Betreut werden müssen die Menschen aber auch. Um das zu stemmen, schafft die Stadt befristet auf ein Jahr eine 50-Prozent-Stelle für das Integrationsmanagement. Rund 14 000 Euro erhält sie aus dem eigens dafür aufgestellten Landesförderprogramm, sodass sie noch etwa 21 000 Euro beisteuern muss. Aktuell arbeiten im Integrationsmanagement der Stadt vier Mitarbeiterinnen. Zwei geringfügig Beschäftigte unterstützen sie bei der Betreuung der Geflüchteten sowie in Teilen die Sachgebietsleitung. In Weil der Stadt wurde bereits vor einigen Monaten zudem eine spendenfinanzierte Teilzeitstelle im Integrationsmanagement geschaffen.

Nicht alle haben einen Integrationsmanager

Dagegen kümmert sich die Verwaltung in Hemmingen ohne eigene Integrationsmanager um die Geflüchteten. „Die Betreuung ist nicht mehr zu schaffen“, sagt der Rathaussprecher David Rohnert. Auch seien die Integrationsbeauftragten des Landkreises völlig überlastet. „Die Flüchtlingslage ist nicht mehr beherrschbar“, sagt Rohnert. „Warum erklärt Baden-Württemberg nicht wie die anderen Bundesländer auch, dass keine Kapazitäten mehr vorhanden sind, wenn mehr und mehr Hallen belegt werden müssen?“

Sollte Hemmingen eine Halle belegen müssen, wird es die „Neue Sporthalle“ sein. Rohnert: „Wir haben noch Kapazitäten für circa 50 bis 60 Personen. Danach ist nur noch eine Massenunterbringung möglich.“ In der Containeranlage in der Hochdorfer Straße seien aktuell neun Plätze frei. Momentan leben in Hemmingen 80 Flüchtlinge aus der Ukraine. Für Oktober sind der Gemeinde insgesamt 19 Geflüchtete angekündigt.

Vorbereitungen werden überall getroffen, Fragen wie sie Rohnert für Hemmingen formuliert, wurden zuletzt auch im Gemeinderat Ditzingen gestellt. Oberbürgermeister Michael Makurath (parteilos) verwies in seiner Antwort darauf, dass Baden-Württemberg seine Quote in Bezug auf die Flüchtlingsverteilung im Bund – anders als andere Bundesländer – noch nicht erfüllt habe. Doch selbst wenn: Sollten die Geflüchteten „auf dem Marktplatz stehen, merken Sie ganz schnell, dass das keine Lösung ist“, sagte er an die Stadträte gewandt. Eine Lösung könne es nur auf politischer Ebene geben. „Wir ignorieren kein Leid, aber wir müssen anders steuern.“

Der Blick richtete sich deshalb am Dienstag nach Berlin. Vor dem Ende des Flüchtlingsgipfels mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hieß es aus Ditzingen, „es würde uns das Leben leichter machen, wenn dabei etwas herauskommt, das wir gleich in die Praxis umsetzen könnten“. In Ditzingen leben derzeit insgesamt rund 800 Flüchtlinge – also Geflüchtete etwa aus Syrien und Afghanistan und aus der Ukraine.

Auch Gerlingen hatte konkrete Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels erwartet. Der Ludwigsburger Landrat Dietmar Allgaier (CDU) hatte es am Dienstag in einem Rundfunkinterview so formuliert: Er erwarte vom Bund eine „klare Aussage, wie sich eine faire Verteilung innerhalb der Europäischen Union abbilden kann“, denn das fehle noch völlig. Als Landrat eines bevölkerungsreichen Landkreises – Ludwigsburg sei nach der Bevölkerungszahl der zweitgrößte im Land, der viertgrößte in Deutschland – , wollte er auch über das Verteilsystem gesprochen haben. Es müsse mehr Flexibilität geben, um dort, wo es noch Wohnraum gebe, diesen auch zu nutzen. „Es kann ja auch nicht im Sinne der Menschen, die hier ankommen, sein, dass man sie in Sporthallen unterbringt.“ Allgaier und die Bürgermeisterversammlung hatten bereits vor rund zwei Wochen eindringlich an die Bundestagsabgeordneten appelliert, die Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung nicht im Stich zu lassen.

Ehemalige Klinik wird zur Unterkunft

In Gerlingen sind sie derweil weitere Geflüchtete in einem ehemaligen Klinikgebäude untergekommen. Allein dort befinden sich nach Angaben einer Rathaussprecherin derzeit 32 Personen. Weitere 86 seien bis Monatsende angekündigt, teilt eine Verwaltungssprecherin mit. 650 Geflüchtete halten sich derzeit in der Stadt auf – 368 aus der Ukraine sowie 282 Asylbewerber.

Ob ehemalige Klinik, Hotel, Container – die Unterkünfte sind vielfältig. Auch Leonberg befindet sich laut eigener Aussage an der Kapazitätsgrenze. Dort wurden nach Rathausangaben rund 20 Wohnungen unterschiedlicher Größe von Privatpersonen angemietet. Das Gebäude in der Glemseckstraße 44 wurde von der Stadt erworben. Sporthallen müssten derzeit nicht belegt werden. Die Verwaltung prüft, ob eine Containerlösung möglich und sinnvoll ist. Eine Unterbringung in Zelten sei nicht geplant.

Bisher wurden in Leonberg seit Anfang des Jahres 148 Geflüchtete untergebracht, 91 aus der Ukraine. Bis Ende des Jahres wird die Stadt voraussichtlich 125 weitere Menschen unterbringen. Die genaue Anzahl kann jedoch noch abweichen, da das Landratsamt Böblingen die Berechnungen der Zuweisung durchführt, erläutert die für Soziales zuständige Erste Bürgermeisterin Josefa Schmid.

Nicht ganz so dramatisch gestaltet sich die Situation in Weil der Stadt: „Wie im gesamten Landkreis ist auch in Weil der Stadt die Lage seit dem Beginn des Krieges und der damit verbundenen Fluchtbewegungen sehr angespannt“, erklärt Bürger- und Ordnungsamtsleiter Daniel Grömminger. Für das Jahr 2022 werde die Keplerstadt die Aufnahmequote erfüllen können, „ohne Turnhallen oder Ähnliches in Beschlag nehmen zu müssen“. Inwieweit die Kapazitäten für 2023 reichen, sei aber noch nicht klar und hängt laut Grömminger auch maßgeblich von den Zuteilungen durch Land und Kreis ab.