Polizisten kaufen Brot und Käse, der Notarzt kommt in den Hauptbahnhof: Immer mehr Flüchtlinge, die nicht auf regulärem Weg ins Land kommen, werden in Stuttgart aufgefangen. Die Helfer arbeiten Hand in Hand, um sie so gut es geht zu betreuen. Nun soll geklärt werden, wie man eine feste Struktur für solche Notfälle etablieren kann.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Der Montag hat für einige Beamte der Bundespolizei mit einem ungewöhnlichen Einsatz begonnen. Sie gingen in den Supermarkt. Brot, Butter, Käse, Bananen und stilles Wasser brachten sie mit. Damit versorgten sie jene 61 Flüchtlinge, welche die Polizei in der Nacht zum Montag in einem Zug aus München am Stuttgarter Hauptbahnhof entdeckt hatte. „Irregulär migriert“ heißt der Vorgang, der hinter ihnen liegt, im Amtsdeutsch: Sie sind meist von Schleusern über Italien ins Land gebracht worden. Die Mehrheit von ihnen stammt aus Syrien, ein paar Eritreer sind auch dabei. Am zurückliegenden Wochenende, sagt Heinz Bartling vom Deuteschen Roten Kreuz (DRK), habe sich bei den Zuständigen ein Schalter umgelegt: Da waren alleine in Stuttgart 104 Flüchtlinge gestrandet – und damit knapp 300 in eineinhalb Wochen (die StZ berichtete). Seither, sagt der organisatorische Leiter des Rettungsdienstes, betrachteten die Hilfsorganisationen und die Polizei die Ankunft der Flüchtlinge nicht mehr als Einzelereignisse, sondern als eine dauerhafte Lage, auf die man sich einstellen muss. „Das“, sagt Heinz Bartling, „wissen wir jetzt.“ In der neuen Situation ist Flexibilität gefordert. „Wir improvisieren“, sagt Janna Küntzle, die Sprecherin der Bundespolizei. Polizei, Feuerwehr und DRK arbeiten Hand in Hand. Mal bringt die Feuerwehr das Essen, dann kauft die Bundespolizei ein. „Es läuft“, sagt Bartling.

 

Trotzdem sollen nun feste Strukturen geschaffen werden, solange der Strom der Flüchtlinge, die nicht auf regulärem Weg ins Land kommen, anhält. Dazu soll in den nächsten Tagen ein Gespräch mit allen, die das Thema etwas angeht, stattfinden: Feuerwehr und DRK sitzen mit am Tisch, es wurde auch Kontakt zum Schul- und zum Gesundheitsamt aufgenommen. Die Bahnhofsmission ist im Boot und die Deutsche Bahn wird beteiligt sein.

Die Bundespolizei hat Verstärkung bekommen

Die Bundespolizei hat als erste Institution reagieren müssen. Die Stuttgarter Inspektion bekommt für die zusätzlichen Nachtschichten regelmäßig Unterstützung von der mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit (MKÜ) der Bundespolizei. In der Nacht zum Montag unterstützten acht zusätzliche Polizisten den Streifendienst. Zwischen zwei und vier Streifen sind regulär im Bahnhof und auf dem Bahngelände unterwegs.

Wenn das Bahnpersonal eine Gruppe Flüchtlinge im Zug entdeckt, verständigt es die Bundespolizei im nächsten Bahnhof. Die Beamten bringen die Menschen in die Anlaufstelle im Bahnhofsgebäude – dorthin, wo früher das Postamt war.

„Kein Flüchtling erschrickt, wenn er die Polizei sieht“, sagt Janna Küntzle. Die Menschen aus Syrien und Eritrea können nun ganz regulär in Deutschland einen Asylantrag stellen. Dann wird aus dem irregulär migrierten Flüchtling ein normaler Asylbewerber, obwohl er sich im ersten europäischen Land hätte melden müssen, in dem er ankam. Das wäre für die meisten nach einer beschwerlichen Bootsfahrt Italien gewesen. Spätestens bei der Ankunft in der Bundesrepublik gilt die Meldepflicht.

Viele Flüchtlinge wollen nach Skandinavien zu Verwandten

Manche haben Fahrscheine bis nach Schweden in der Tasche, weil dort Verwandte sind. Doch dorthin dürfen sie nicht weiterfahren. Die Flüchtlinge werden in den Zug nach Karlsruhe gesetzt, der sie zur zentralen Erstaufnahmestelle des Landes bringt. Nur dort können sie den Asylantrag stellen. Stuttgart ist nicht die erste Station, an der Flüchtlinge aufgegriffen werden, die nicht auf dem regulären Weg ins Land kamen. Auch von der Münchner Bundespolizei kommen regelmäßig ähnliche Meldungen. 100 Personen aus Syrien, Eritrea, Irak, Somalia und Äthiopien entdeckten Beamte dort in einem Fernreisezug, der aus Italien kam, am vergangenen Donnerstag. Wer es über den ersten großen Verkehrsknoten in München hinaus schafft, kommt mindestens bis Stuttgart – wie die hohe Zahl der hier angetroffenen Flüchtlinge belegt. Der nicht abreißende Flüchtlingsstrom bietet der Bundespolizei auch eine Chance: „Die meisten sind von Schleppern aus ihrer Heimat gebracht worden. Das sind organisierte Banden, an die wollen wir ran“, sagt Janna Küntzle. Darum verlassen immer wieder kleine Gruppen den Bahnhof und gehen mit Beamten aufs Revier der Bundespolizei. „Wir fragen sie, ob sie Angaben zu den Schleusern machen können.“ Viele sagen aus. „Schließlich haben diese Banden die Flüchtlinge um ihr letztes Geld gebracht“, sagt Küntzle.

Die am Montag im Bahnhof angekommenen Erwachsenen und Kinder warten geduldig. Einige schlafen erschöpft ein, andere brauchen medizinische Hilfe. Kinder spielen mit Luftballons, das klappt auch ohne Worte: Sie überreden einen Bundespolizisten mit ihrem gewinnenden Lachen, dass er für sie Gesichter auf den Ballon malt. „Es geht jetzt schon, aber dauerhaft brauchen wir eine Halle oder etwas in der Art“, sagt Heinz Bartling. „Dann hätten wir eine Küche und sanitäre Anlagen.“ Die Aufgabe des DRK sei es, die ersten Stunden der Menschen im Land „so zu gestalten, dass es humanitär vertretbar ist.“ Das sei im Bahnhof möglich, könnte aber besser werden. Bis es soweit ist, sind die Neuankömmlinge vom Montag längst in Karlsruhe gewesen, wo sie nach ihrem Asylantrag eine vorläufige Bleibe zugewiesen bekommen. Diesen Weg sind vom Stuttgarter Bahnhof aus in diesem Jahr bereits mehr als 850 Menschen gegangen, die vor dem Krieg in der Heimat geflüchtet waren.