Der Winter naht, der Wahlkampf auch. In der Debatte über neue Asylgesetze zeigten die Abgeordneten deshalb Nerven. Nur einmal wurde es heiter.

Berlin - Gesittet sollte es zugehen, sachlich und vom Respekt geprägt gegenüber der Haltung Andersdenkender. So stellte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Verlauf der Bundestagsdebatte vor, in der das vor einer Woche vereinbarte umfangreichste Gesetzespaket zum Asylrecht seit dem Asylkompromiss 1992 ins parlamentarische Verfahren eingebracht wurde. Deshalb erinnerte Lammert zu Beginn vorsichtshalber an die Worte von Bundespräsident Joachim Gauck vor wenigen Tagen. So wie dieser wünsche er sich, dass sich „die Besorgten und die Begeisterten nicht gegenseitig bekämpfen“, sagte Lammert. Das aber wollte nicht gelingen.

 

Die Stimmung ist angespannt, die Abgeordneten spüren in ihren Wahlkreisen, dass die Herausforderungen, die mit dem Flüchtlingszuzug einhergehen, für die eine oder andere Stadt zu groß sein könnten. Außerdem nahen die Wahlkämpfe in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. Entsprechend gereizt verlief die Debatte.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der die Änderungen einbrachte, eröffnete die Aussprache für seine Verhältnisse außergewöhnlich emotional. Auch er hat mittlerweile, so wie ja auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), erkannt, dass diese Entwicklung nicht einfach kühl wegverwaltet werden kann, sondern dass Einfühlvermögen vonnöten ist sowohl in die Situation der Flüchtlinge, als auch in die Gefühlswelt jener Menschen, die mit dem Fremden fremdeln oder auch nur ganz konkret wissen wollen, wann denn ihre Kinder die Turnhalle wieder für den Unterricht nutzen können, in der über den Winter Flüchtlinge vor der Kälte geschützt werden sollen.

Der Innenminister deutet Grenzen für Aufnahme an

Mit einem Dank an all die Bürgermeister und Helfer, die sich der Herausforderung oftmals ehrenamtlich stellen, begann er seine Rede. Deren Einsatz werde „nicht mehrfach getwittert“, gehe nicht „mit Facebook um die Welt“. Diese Menschen sorgten noch immer dafür, dass die Probleme mit Zuversicht und Engagement angegangen würden.

Damit die Stimmung nicht kippe, sei auch „mit dem Begriff Aufnahmefähigkeit und den damit verbundenen Grenzen achtsam umzugehen“, sagte der Minister. Ein merkwürdiger Hinweis ist das. Zum einen könnte man ihn verstehen als Tadel an Politiker wie den CDU-Vizechef Thomas Strobl, der vor kurzem verlauten ließ, das Boot sei zwar nicht voll, „aber es sitzen zu viele Falsche drin.“ Zum anderen widerspricht der Minister sich damit aber selbst. Denn zugleich sagte de Maizière: „Nach meiner persönlichen Meinung müssen wir uns zu festen großzügigen Kontingenten für die Aufnahme von Flüchtlingen verständigen, die dann auch eine Begrenzung der Aufnahmefähigkeit bilden“.

De Maizière ist aber nur ein Beispiel für die Schwierigkeit der Politik, die Gratwanderung zwischen dem im Grundgesetz garantierten und von der Kanzlerin bestätigten Recht auf Asyl auf der einen und einem kühlen, auf Abschottung setzenden Realismus auf der anderen Seite zu bestehen. Der Linke Noch-Fraktionschef Gregor Gysi ist ein weiterer Beleg dafür.

Gysi flüchtet ins Grundsätzliche

Gysi wurde so grundsätzlich, so weltsichtig, dass er gar nicht erst in Verlegenheit geriet, sich mit der Lage in den Städten und Kommunen zu beschäftigen. Wie so oft attestierte er der Bundesregierung international einen Totalschaden, der all die Fluchtbewegungen überhaupt erst ausgelöst habe. In Afghanistan sei man „vollständig gescheitert“, wie die Kämpfe um Kundus bewiesen. Nach Saudi-Arabien würden Waffen geliefert, mit denen völkerrechtswidrig im Jemen ein weiteres Volk in die Flucht gebombt werde. Mit subventionierten Lebensmitteln aus Europa werde in Afrika Armut provoziert, weil die dort heimische Landwirtschaft deshalb nicht konkurrenzfähig sei.

All dies ist zwar bedenkenwert. Aber die Debatte sollte ja eigentlich um die Frage kreisen, wie Deutschland mit den Flüchtlingszahlen fertig werden kann. Und so rastete die nicht für Gefühlsausbrüche dieser Art bekannte parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, schier aus, als sie nach Gysi sprach. „Ich kann die Ignoranz von Ihnen gar nicht mehr in Worte fassen“, schimpfte sie den Linken. Dieser solle „nicht nur über große Weltpolitik“ reden, „sondern auch mal mit Herrn Ramelow“. Der linke Ministerpräsident Thüringens würde Gysi dann sicher ein Bild davon vermitteln, was derzeit vor Ort geleistet werden müsse, so Lambrecht.

„Kauder neben Wagenknecht auf Feldbetten“

Die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt brachte die Union gegen sich auf, weil sie die rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidatin, Julia Klöckner, attackierte. Diese habe „mit ein paar markigen Sprüchen gegen Muslime, und zwar pauschalster Art“, im Wahlkampf Ressentiments geschürt. Proteste der Union, wütende Reaktionen der Grünen, dann ein CDU-Zwischenruf, der fast schon als hämische Danksagung zu verstehen war: Solche Attacken nützten Klöckner nur, „der Bekanntheitsgrad wird weiter steigen!“ An Lammerts Appell dachte da keiner mehr. Das Flüchtlingsthema hatte endgültig die Niederungen des Wahlkampfs erreicht.

Einmal wurde es dann doch noch mal heiter statt wolkig. Göring-Eckardt bat die Abgeordneten, sich vorzustellen, wie es sich wohl anfühle, wenn Tausende in einer Messehalle untergebracht würden. 670 Abgeordnete auf engstem Raum, „Feldbetten, Herr Kauder neben Frau Wagenknecht.“ Was wohl geschehe, wenn dann auch noch die Grünen als erste zur Essensausgabe gebeten würden, fragte Göring-Eckardt. Man mag es sich nicht ausdenken.