Die neu ins Land strömenden Menschen suchen den Kontakt mit Landsleuten – und sammeln sich in relativ wenigen Regionen in ganz Deutschland. Das hat Folgen für die Integration.
Stuttgart - Was finden Iraker so schön an Bielefeld? Flüchtlinge aus dem Land zwischen Euphrat und Tigris haben dort eine eigene Kolonie. Bielefeld in Ostwestfalen ist einer ihrer bevorzugten deutschen Wohnorte. Die Mehrheit lebt nicht verstreut über das Bundesgebiet, sondern konzentriert auf 16 der 402 Landkreise. Einer davon ist Bielefeld. Das hat einen Grund: Dort gibt es seit den achtziger Jahren eine große Gemeinde der Jesiden, einer vom islamistischen Terrornetzwerk IS verfolgten Religionsgemeinschaft.
Das Beispiel Bielefeld ist kein Einzelfall. Flüchtlinge aus unterschiedlichen Herkunftsländern bilden eigene Ballungsräume in ihrer neuen Heimat Deutschland. Ein Großteil der Iraner lebt in neun Kreisen, vor allem im Rheinland und im Ruhrgebiet. Pakistani haben sich vor allem im Rhein-Main-Gebiet niedergelassen. Der Osten wird von Neuankömmlingen meist gemieden. Eine Ausnahme ist Rostock. Die Hansestadt ist bei Syrern als Wohnort sehr beliebt. Dafür gibt es einen akademischen Hintergrund: Die Universität Rostock unterhielt schon zu DDR-Zeiten einen besonders engen Austausch mit Wissenschaftlern der Hochschulen von Damaskus und der syrischen Hafenstadt Latakia. An diese alten Kontakte knüpfen Neuankömmlinge gerne an.
Ungleiche Verteilung der Flüchtlingsströme in Deutschland
Die Flüchtlingsströme verteilen sich sehr ungleich in Deutschland. Das hat die Bundesagentur für Arbeit herausgefunden, als sie ihre Statistiken nach Nationalitäten sortierte. Dort sind 215 000 erwerbsfähige Personen gemeldet, die aus acht nichteuropäischen Staaten kommen. 50 Prozent von ihnen haben sich ihr neues Zuhause in 33 ausgewählten Landkreisen gesucht. Die übrigen 370 Kreise sind bei ihnen als Wohnort deutlich weniger beliebt.
Die Formation neuer Ballungsräume beginnt schon mit der Ankunft in Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weist die Asylbewerber zwar nach einem fixen Schlüssel den 16 Ländern zu – allerdings nicht ohne Ansehen der Herkunft. Einzelne Nationalitäten werden bevorzugt dort untergebracht, wo die Asylbehörde Dolmetscher hat, welche die jeweilige Sprache beherrschen, sowie Entscheider, die sich in den Herkunftsländer besonders gut auskennen. So kommen zum Beispiel in die Bamf-Filiale Ellwangen vor allem Flüchtlinge aus Albanien, Algerien, Bosnien-Herzegowina, Indien, Kamerun und Syrien. Die Außenstelle Meßstetten kümmert sich besonders um Iraker, Afghanen und Eritreer.
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„Ethnische Netzwerke“ haben nicht nur Nachteile
Wer sein Asylverfahren erfolgreich durchlaufen hat und einen Aufenthaltstitel erhält, kann sich seinen Wohnort frei wählen. Die meisten ziehen dann in Großstädte, vor allem dorthin, wo bereits Landsleute oder gar Verwandte leben. So kommt es zu einer Konzentration an wenigen Orten. Auch der Arbeitsmarkt spielt bei der Wohnortwahl eine große Rolle. Deshalb sind Standorte mit viel Industrie wie das Ruhrgebiet und die Rhein-Main-Region besonders beliebt. Die Wirtschaftsmetropolen des Südens, Stuttgart und München, schreckten wegen der hohen Lebenshaltungskosten hingegen eher ab, so Aneta Schikura von der Bundesagentur für Arbeit. Neuankömmlinge „gehen tendenziell dorthin, wo es Arbeit gibt oder ein Netzwerk von Landsleuten“. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration bestätigt den Trend.
Positive Effekte durch gebildetes Umfeld
„Zuwanderer leben oft in einem Umfeld, in dem bereits andere Migranten derselben ethnischen Herkunft wohnen“, lautet der Befund einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Diese Verhaltensweise „kann die Arbeitsmarktintegration der Zuwanderer erschweren“. Doch die Orientierung an „ethnischen Netzwerken“ habe nicht nur Nachteile. Sie könne die Integration auch begünstigen. Flüchtlinge, die Jobs suchen, fänden diese meist über soziale Kontakte. Zwei Drittel der Migranten verließen sich dabei auf Bekannte, Freunde oder Verwandte – sie seien „Hauptinformationsquellen, um Arbeitsmarktbarrieren zu überwinden“. Sie spielten aber auch „eine wichtige Rolle für zukünftige Karrierechancen“. Positive Effekte entstünden, wenn das persönliche Umfeld über ein hohes Bildungsniveau verfügt und damit „Anreize für Aus- und Weiterbildung stimuliert“. In einem Milieu mit eher niedrigem Bildungsniveau seien hingegen gegenteilige Folgen zu beobachten.
Wer sich nur mit Landsleuten abgebe und dort keine anspruchsvollen Jobs finde, fühle sich weniger veranlasst, mit Nachdruck Deutsch zu lernen. So verfestigen und verstärken sich soziale Strukturen, die Flüchtlinge aus ihrer Heimat mitbringen.