Für die Migranten kann der Bearbeitungsstau beim Ausländeramt in Stuttgart fatale Folgen haben. Die Beschwerden häufen sich bereits jetzt. Und der städtische Vollzugsdienst muss immer wieder für Ruhe vor den Amtsstuben sorgen.

Stuttgart - Die Situation im Ausländeramt ist weiter angespannt. „Wir müssen immer noch jeden Tag Menschen wegschicken, weil wir mit der Bearbeitung nicht nachkommen“, sagt Dieter Biller, der Leiter der Behörde, offen. Dem Amt fehlt es seit Monaten an Personal. „Im Moment sind 12,5 von insgesamt 93 Stellen unbesetzt“, rechnet Biller vor. Der Ausländerbehörde sind in den vergangenen Wochen zwar zusätzliche Stellen genehmigt worden, die aber konnten noch nicht besetzt werden. „Wer Erfahrung im Ausländer- und Asylrecht hat, wird überall mit Kusshand genommen. Alle suchen Leute, angefangen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, stellt Gerda Kinateder vom Ausländeramt fest.

 

Juristen greifen zu Dienstaufsichtsbeschwerden

Was es für die Flüchtlinge und andere Migranten heißen kann, wenn sich beim Ausländeramt die Akten stapeln, macht der Stuttgarter Rechtsanwalt Jürgen Balbach deutlich. Der Jurist erzählt von einem afghanischen Flüchtling, der zwei Wochen vor Ablauf seiner Aufenthaltsgestattung versucht hat, beim Ausländeramt eine Verlängerung zu bekommen. „Der junge Mann hat sich drei Tage hintereinander um sechs Uhr vor dem Ausländeramt angestellt und wurde jedes Mal um 13 Uhr wieder weggeschickt. Am Tag darauf stand er wieder erfolglos von 11 bis 18 Uhr in der Schlange“, erzählt der Anwalt. Zusätzlich habe sein Mandant mehrfach telefonisch versucht, einen Termin zu erhalten, auch das ohne Erfolg. Die Folge war, dass die Aufenthaltsgestattung des Afghanen ablief. „Mein Mandant war damit illegal in Deutschland, ohne eigenes Verschulden. Wenn er in dieser Zeit von der Polizei kontrolliert worden wäre, hätte er mit einer vorläufigen Festnahme rechnen müssen“, so Balbach. In seiner Verzweiflung wandte sich der 18 Jahre alte Afghane an den Rechtsanwalt, der eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Verantwortlichen einreichte. Kurz darauf erhielt der junge Flüchtling seine Aufenthaltsverlängerung.

Als der junge Afghane wenige Wochen später eine Erwerbserlaubnis brauchte, weil er eine Arbeit in einem Verkaufstand gefunden hatte, hakte es ein weiteres Mal beim Ausländeramt. „Der Arbeitgeber war kurz davor, die Geduld zu verlieren und einen anderen Bewerber einzustellen“, erzählt Jürgen Balbach. Erst als sich der Jurist erneut einschaltete, erhielt der Flüchtling die erforderlichen Papiere.

Es fehlt an geeignetem Personal

„Wenn Migranten auf sich allein gestellt sind, haben sie ein Problem. Das sind unhaltbare Zustände“, bilanziert Balbach, der nicht den unter enormem Arbeitsdruck stehenden Mitarbeitern die Schuld gibt. „Das ist ein Organisationsversagen. Obwohl stetig mehr Zuwanderer kamen, wurde das Personal in der Ausländerbehörde jahrelang nicht aufgestockt.“

Die Dienstaufsichtsbeschwerde des Stuttgarter Juristen ist längst nicht die einzige. Die Beschwerden beim Ausländeramt nehmen massiv zu. Der ebenfalls auf Ausländerrecht spezialisierte Rechtsanwalt Roland Kugler stellt fest, „dass im Ausländeramt niemand mehr ans Telefon geht“. Es könne Monate dauern, bis es zu einer Entscheidung komme. „Das freut den Anwalt manchmal, weil sich dann auch eine Abschiebung verzögern kann. Meist aber ist es ärgerlich für die Migranten, weil sie in der Warteschleife festhängen.“ Schon viel zu lange sei das Stuttgarter Ausländeramt zu dünn besetzt. Kugler: „Wenn man einen Umkreis von 30 bis 40 Kilometer betrachtet, zählen die Bearbeitungszeiten der Stuttgarter Behörde schon seit längerem zu den längsten.“

Mehr Geld für Stellenaspiranten?

Um zügig neue Mitarbeiter zu bekommen, wird im Ausländeramt überlegt, ob man die Stellenausschreibungen öffnen soll. „Bisher verlangen wir eine Verwaltungsausbildung. Wir überlegen im Moment, ob wir darauf verzichten können“, erklärt Dieter Biller. Geprüft werde außerdem eine tarifliche Höhergruppierung der Mitarbeiter. „Damit würden die Stellen natürlich auch attraktiver“, so Biller.

Wann im Ausländeramt wieder mehr Schalter geöffnet werden, kann Dorothea Koller, die Leiterin des Ordnungsamtes, nicht sagen. Seit einigen Wochen gibt es nur noch eine Notbesetzung. Für die weiter steigende Zahl der Asylbewerber gibt es lediglich einen Schalter, an dem man ohne Termin bedient wird. Der aber ist trotz des großen Andrangs weiterhin freitagnachmittags geschlossen. Für alle anderen Migranten, die etwa ihre Aufenthalt verlängern wollen oder eine Erwerbserlaubnis brauchen, ist anstelle der üblichen fünf lediglich einer geöffnet. In dieser Woche musste sogar dieser kurzfristig geschlossen werden, weil sich Mitarbeiter krank gemeldet hatten und ein personeller Puffer fehlt.

Vollzugsdienst der Stadt muss weiterhin eingreifen

Eine gewisse Entspannung gebracht hat der Einsatz eines Sicherheitsdienstes. Während der Schalteröffnungszeiten sorgen Ordner dafür, dass sich bei der Nummernausgabe niemand vordrängt und dass diejenigen Migranten, die am Vortag erfolglos gewartet haben, eine der vorderen Nummern bekommen. „Seither kommt es weniger häufig zu Zwischenfällen und wir müssen auch nicht mehr so oft die Polizei rufen“, sagt Dorothea Koller. Auf Nachfrage allerdings räumt die Amtsleiterin ein, dass der städtische Vollzugsdienst noch immer mehrmals die Woche gerufen werden müsse, wenn sich die Stimmung unter den Wartenden „zu stark aufheize“.