Bis Ende des Jahres wird in Stuttgart die Zahl der Flüchtlinge auf rund 4000 steigen. Schritt für Schritt werden neue Unterkünfte geschaffen. Doch die passenden Standorte dafür zu finden ist nicht immer einfach.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Beim Thema Flüchtlinge werden seit einiger Zeit die Prognosen schnell von der Wirklichkeit eingeholt. Schon im Oktober des vergangenen Jahres, als der Gemeinderat den Bau von weiteren sechs Flüchtlingsunterkünften mit rund 450 Plätzen beschloss, ging man davon aus, dass diese 2015 nicht ganz ausreichen werden. In der Tat: am 18. Dezember beschloss der Gemeinderat mit großer Mehrheit, noch einmal vier solcher Systembauten für zusätzlich 560 Menschen zu errichten. Und dies war bereits die dritte Entscheidung in dieser Angelegenheit. Erst ein Jahr zuvor hatte sich das Gremium für die ersten sechs dieser neuen Fertigbauunterkünfte ausgesprochen, in der Zuversicht, die damit geschaffenen 1040 Plätze für Flüchtlinge würden reichen.

 

Aus dieser Entwicklung lässt sich ersehen, dass die in vielen Ländern wie in Syrien, im Irak und in Afghanistan herrschenden kriegerischen Konflikte immer stärkere Auswirkungen auch auf Deutschland haben, da Europa inzwischen das Hauptziel von flüchtenden Menschen aus diesen Ländern ist. Unter den bis jetzt hier lebenden Flüchtlingen sind aber auch etwa 20 Prozent Menschen aus jenen Ländern des Balkans, die von der Berliner Koalition inzwischen zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden sind. Rund 60 Prozent der Menschen, die hier Zuflucht suchen, kommen im Familienverband, 40 Prozent sind alleinstehend.

Jeden Monat kommen 150 Hilfesuchende an

Noch vor etwa einem Jahr musste die Stadt pro Monat 120 Hilfesuchende aufnehmen, inzwischen sind es etwas mehr als 150. Ende Dezember waren in 69 Unterkünften, die sich in 16 der 23 Stadtbezirke befinden, zusammen 2593 Menschen untergebracht. Bereits Ende Januar, gemessen am Zeitplan mit einem Monat Verzögerung, werden es rund 2800 sein: gestern sind am Lautlinger Weg in Möhringen, der 70. Unterkunft mit 159 Plätzen, die ersten 50 Flüchtlinge eingetroffen. Bis Ende des Jahres wird deren Zahl in Stuttgart nach den Prognosen auf gut 4000 ansteigen. Die Landeshauptstadt ist aufgrund ihrer Bevölkerungszahl verpflichtet, 6,11 Prozent der in Baden-Württemberg ankommenden Menschen aufzunehmen.

Die Suche nach Quartieren wird angesichts der gewachsenen Zahlen nicht einfacher. Der Stuttgarter Wohnungsmarkt ist bekanntlich sehr angespannt. Da die Stadt aber weder Zelte aufstellen noch Turnhallen für diesen Zweck umwidmen will, wie dies zum Teil andere große Kommunen in der Republik tun, sind die neuen Systembauten das Mittel der Wahl. Diese in Gewerbegebieten aufzustellen, was inzwischen rechtlich möglich wäre, ist bisher nicht geschehen. Man habe noch „keinen geeigneten Standort gefunden“, heißt es in einer Vorlage der Stadtverwaltung.

Vor allem in Feuerbach hat es Proteste gegeben

Begleitet wurde die Entscheidung für die neuen Standorte von Systembauten von teils heftigen Diskussionen. In den Stadtbezirken hat es vor allem in Feuerbach Proteste von Anwohnern gegen die Erweiterung der Unterkunft im Gebiet Schelmenäcker-Süd gegeben. Aber in den Bezirksbeiräten beispielsweise in Botnang und in Weilimdorf fanden die Pläne der Verwaltung eine große Zustimmung.

Bei der Abstimmung im Gemeinderat scherten nur die AfD und drei Stadträte der FDP aus. Sie lehnten die Erweiterung in Feuerbach um 78 Plätze ab. Die übrigen Standorte befürworteten auch sie. Die Verantwortlichen bei der Stadt hatten zuvor eines unmissverständlich klargemacht: Es gebe keine Alternativstandorte zu den bisher vorgeschlagenen. Absehbar ist bereits, dass auch in diesem Jahr die Suche nach neuen Standorten weitergeht.

So viele Flüchtlingsfreundeskreise wie noch nie

Erstaunlich hoch und stetig ist die Hilfsbereitschaft der Stuttgarter. Bisher hat sich noch um jede neue Flüchtlingsunterkunft ein Freundeskreis von Ehrenamtlichen gebildet. „Die Stadtgesellschaft ist erfreulich aktiv“, sagt Stefan Spatz, der neue Leiter des Sozialamts. „Wir erleben hier eine nie da gewesene Dynamik.“ So hätten sich etwa zu dem neuen großen Wohnheim im Neckarpark mit bald 243 Plätzen schon 140 Menschen zusammengefunden, die die Flüchtlinge unterstützen wollen.

In den 90er Jahren, als die Zahl der Flüchtlinge vom Balkan noch weitaus größer war als heute, fanden sich 21 Freundeskreise zusammen, die im Schnitt 30 Mitglieder hatten. Heute sind es schon 26, von denen einige mehr als 100 Mitglieder haben, sagt Spatz. Insgesamt engagierten sich rund 750 Menschen in diesen Gruppen.

Das bedeutet für die Stadt und die fünf freien Träger, die die hauptamtliche Betreuung der Flüchtlinge besorgen, auch neue Herausforderungen. Nicht nur, weil die Gruppen viel größer sind als früher. Die Mitglieder fordern auch eine gute Begleitung von der Stadt. Sie wollen möglichst per Internet über alle Belange informiert, gegebenenfalls weitergebildet und in Kontakt mit den anderen Freundeskreisen gebracht werden. Spatz hofft, dass es in absehbarer Zeit Geld für eine Kraft gibt, die diese Koordination übernehmen kann.