Es sind meist Kleinigkeiten, die einen Streit in einer Flüchtlingsunterkunft auslösen. Nach der Schlägerei in der Alfred-Wais-Halle in Stuttgart-Birkach hat die Stadt nun reagiert.

Stuttgart - Glaubt man der Polizei, dann sind es meist Kleinigkeiten, die eine Streitigkeit in einer Flüchtlingsunterkunft auslösen können. „In der Alfred-Wais-Halle in Birkach ging es um Müll, der herumgeworfen worden ist“, berichtet der Stuttgarter Polizeisprecher Thomas Geiger. In der Turnhalle sind am vergangenen Donnerstag 30 Männer aus dem Irak und Afghanistan aneinandergeraten. Neun von ihnen wurden verletzt. Damit hat es die Alfred-Wais-Turnhalle zu einem traurigen Rekord gebracht: Es ist nach Auskunft der Polizei die Notunterkunft, in der es in der jüngsten Vergangenheit zu der bisher größten Auseinandersetzung unter Flüchtlingen in Stuttgart gekommen ist. „Die Menschen haben in der Turnhalle keinerlei Rückzugsmöglichkeit. Ich wüsste nicht, ob es friedlicher zugehen würde, wenn hundert Deutsche unter denselben Bedingungen untergebracht wären“, sagt die Bezirksvorsteherin von Plieningen-Birkach, Andrea Lindel, die die Turnhalle nach der Massenschlägerei besucht hat und jetzt auf das Engagement des Freundeskreises setzt. „Die Ehrenamtlichen wollen verstärkt Angebote machen.“

 

Beim Blick in die Region und ins Land wird deutlich: Die Schlägerei in der Alfred-Wais-Halle ist kein Einzelfall. In einer Industriehalle in Aichtal-Aich im Landkreis Esslingen kam es in den vergangenen Wochen wiederholt zu Streitereien unter den dort auf drei Stockwerken einquartierten Asylsuchenden. Ende Oktober gerieten wegen eines gestohlenen Handys hundert Menschen in eine Rangelei, erst vor ein paar Tagen mussten zwei Bewohner mit Schnittverletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden.

50 Flüchtlinge stehen sich mit Holzstangen gegenüber

In der Sporthalle der Backnanger Berufsschule gingen Anfang Oktober 15 bis 20 Afghanen und Syrer mit Pfannen, Tellern und Besenstielen aufeinander los. Backnang brachte es bundesweit in die Schlagzeilen. In Mannheim konnte die Polizei am Wochenende nur knapp eine Schlägerei verhindern. 50 Männer standen sich in den Spinelli-Baracks mit Holzstangen gegenüber, als die Beamten eintrafen. Auslöser war offenbar eine Meinungsverschiedenheit bei der Kleiderausgabe gewesen. Ein besonders schlimmer Fall, der allerdings gänzlich aus dem Raster fällt, ereignete sich ebenfalls an diesem Wochenende in einer für neun Flüchtlinge angemieteten Wohnung in Nürtingen. Drei Algerier vergewaltigten dort einen 16 Jahre alten Marokkaner. Die drei Männer sind in Haft, die Polizei ermittelt noch, ob der junge Mann alleine nach Deutschland gekommen ist.

Die Stadt Stuttgart hat nach der Schlägerei in Birkach den Sicherheitsdienst in der Alfred-Wais-Halle verstärkt. Seit Freitag sind nicht mehr nur drei Sicherheitsleute in der mit 85 Flüchtlingen belegten Halle im Einsatz, sondern sechs. Die Heimleitung soll vorübergehend auch an den Wochenenden präsent sein, so die Anweisung des Sozialamts. Außerdem sollen die Rädelsführer getrennt in andere Unterkünfte verlegt werden. Auch der Landkreis Esslingen hat nach dem zweiten Polizeieinsatz in der Industriehalle in Aichtal-Aich den Wachdienst verstärkt. Für die Stadt Stuttgart aber macht der Pressesprecher Sven Matis deutlich, dass Sicherheitsdienste in den Unterkünften nur in Ausnahmefällen eingesetzt würden. Zu den Ausnahmen zählen die fünf Turnhallen und vier Schulen, die als Notunterkünfte dienen.

Die Flüchtlinge haben keinerlei Privatsphäre

„Das Problem in den Hallen ist, dass die Menschen keinerlei Privatsphäre haben“, sagt Jama Maqsudi von der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt, der selbst seit 25 Jahren in der Flüchtlingsarbeit tätig ist. Seine Erfahrung ist, dass Fragen der Hygiene oft zu Meinungsverschiedenheiten führten, aber auch der hohe Lärmpegel, der Tag und Nacht in den Hallen herrsche.

Hinzu kommen kulturelle Unterschiede: „Menschen aus dem Irak oder Syrien, der sehr islamisch geprägt sind, versuchen ihre Familie, ihre Frauen auch vor Blicken zu schützen, was aber kaum möglich ist“, sagt Maqsudi. Wichtig sei es daher, mit den Flüchtlingen behutsam umzugehen, ihre Not wahrzunehmen, auf der anderen Seite die Asylsuchenden aber auch auf die Not der Behörden aufmerksam zu machen, die eine große Zahl an Menschen in kurzer Zeit unterbringen müssten. „Man braucht in der Flüchtlingsarbeit viel Erfahrung. Ein frisch gebackener Hochschulabsolvent kann mit einer kniffligen Situation schnell überfordert sein“, so Jama Maqsudi. Auch müsse man sich klar machen, dass eine ausländische Herkunft nicht automatisch bedeute, dass man auch über eine interkulturelle Kompetenz verfüge.

Auch Bezirksvorsteherin Andrea Lindel stellt fest, dass „im Flüchtlingsbereich für die Mitarbeiter derzeit nicht viel Einarbeitungszeit bleibt“. Zwar sei der Betreuungsschlüssel in den Notunterkünften teilweise höher als in den Systembauten, man müsse aber für beide Bereiche über eine Erhöhung nachdenken. Die kommunalpolitische Diskussion darüber ist längst im Gang, eine Entscheidung wird bei den Haushaltsberatungen im Dezember getroffen. „Mehr Personal trägt natürlich dazu bei, die Situation in den Unterkünften zu entspannen“, sagt Doris Trabelsi von der Caritas, die auch für die soziale Betreuung in der Alfred-Wais-Halle zuständig ist.