Der Möhringer Bezirksbeirat stimmte mehrheitlich gegen die geplante Erweiterung der Flüchtlingsunterkunft an der Kurt-Schumacher-Straße. Ganz im Sinne der Bürger, von denen rund 100 zur Bezirksbeiratssitzung kamen und ihrem Unmut über die Großunterkunft lautstark Luft machten.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Möhringen - Die Pläne zur Erweiterung der derzeit im Bau befindlichen Flüchtlingsunterkunft an der Kurt-Schumacher-Straße haben für Unmut in der Bevölkerung gesorgt. Im Vorfeld der Sondersitzung des Bezirksbeirats zu den Maßnahmen der Tranche 6 wandten sich aufgebrachte Bürger an den Bezirksvorsteher Jürgen Lohmann und an die Medien. Sie fürchten eine Gettoisierung, wenn 400 Menschen an einem Standort untergebracht sind, kritisierten die Informationspolitik der Stadt und machten sich Sorgen um ihre Sicherheit. Außerdem forderten sie eine bessere Verteilung der Flüchtlinge auf die Stadtbezirke.

 

Rund 100 Bürger kamen zur Bezirksbeiratssitzung am Mittwochabend ins Bürgerhaus, viele von ihnen taten ihren Unmut mit Zwischenrufen kund. Axel Wolf, der Leiter des Amts für Liegenschaften und Wohnen, und Günter Gerstenberger, der beim Sozialamt für Flüchtlinge zuständig ist, erläuterten die aktuellen Pläne für den Stadtbezirk. Derzeit werden an der Landhauskreuzung drei Systembauten für 243 Personen errichtet. Sie sollen im Mai bezogen werden. Die Tranche 6 beschreibt eine Erweiterung um zwei weitere Bauten für 153 Menschen.

Kritik an Standort mit 400 Flüchtlingen

Insgesamt würden bei einer Maximalbelegung 396 Personen in der Unterkunft leben. „Die Erweiterung bestehender Standorte dokumentiert unsere Not, neue Flächen zu finden“, sagte Wolf. Die anwesenden Bürger kommentierten das mit ungläubigen und empörten Zwischenrufen, riefen „Dachswald“, „Sonnenberg“ und „Hohe Eiche“ dazwischen. Bezirksvorsteher Lohmann ermahnte das Publikum zur Ruhe, da er sonst von seinem Hausrecht Gebrauch machen und die Leute des Saals verweisen müsse. „Das sind die Spielregeln“, so Lohmann. Nach weiteren Kommentaren wie „Und das nennt sich Demokratie“ beruhigten sich die Bürger wieder.

Fast 400 Personen an einem Standort sind zu viel, so die Kritik von Bezirksbeiräten und Bürgern. Der Stuttgarter Weg beschreibe keine Unterkünfte, die mehr als 250 Personen beherbergen. „400 Plätze sind eine andere Größenordnung als bisher praktiziert“, sagte Fred Wagner (CDU). „Wir haben den Eindruck, dass die Stadt den Stuttgarter Weg verlässt“, ergänzte der SPD-Sprecher Dieter Bernhardt. „Der Stuttgarter Weg gilt weiterhin“, sagte Günter Gerstenberger. „Diese Belegung ist nur vorübergehend, die aktuellen Zuweisungszahlen lassen keine andere Lösung zu.“

Alternative Standorte gibt es nicht

Der Bezirksbeirat Bernhardt forderte, die Erweiterung der Unterkunft an der Kurt-Schumacher-Straße zurückzustellen und erst einmal zu schauen, wie sich die Situation mit drei Systembauten entwickelt. Dafür bekam er lauten Applaus aus dem Publikum. „Wir können die Nachverdichtung nicht zurückstellen, dabei würden wir Monate verlieren, die wir nicht haben“, entgegnete Wolf. „Angesichts der aktuellen Situation können wir uns eine Verzögerung nicht leisten.“ Zudem würden die beiden zusätzlichen Systembauten erst Ende 2016 zur Verfügung stehen. Es ziehen also nicht alle 400 Flüchtlinge auf einmal ein.

Rüdiger Reinboth (Grüne) wollte wissen, ob es denn keine Alternativen zur Erweiterung in Möhringen gebe. „Wir haben die ganze Stadt gescannt. Hätten wir einen anderen Standort gefunden, würden wir die bestehenden Unterkünfte nicht erweitern“, antwortete Wolf. Aus dem Publikum kamen an dieser Stelle erneut Zwischenrufe: auf dem Killesberg oder im Dachswald gebe es doch sicher Platz.

Bürger sehen Möhringen überproportional belastet

Im Vergleich zu anderen Stadtteilen sei der Anteil an Flüchtlingen in Möhringen überproportional hoch, sagte Barbara Hummel (SÖS-Linke-Plus). „Wir sind nah am Limit“, ergänzte Wagner. Erneut kamen Zwischenrufe aus dem Publikum, man sei bereits über dem Limit. Die Verteilung werde in fast jedem Bezirk als ungerecht empfunden, entgegnete Wolf. Eine Alternative zur nun beschlossenen Tranche 6 gebe es nicht.

Am Ende der Sitzung bekam ein Bürger noch das Wort. Er forderte, nicht über die Köpfe der Bürger hinweg eine Entscheidung zu treffen, die diese nicht ertragen könnten. Bei einer Ja-Stimme und sieben Enthaltungen stimmte der Bezirksbeirat letztlich mit acht Gegenstimmen gegen die Vorlage zur Erweiterung der Unterkunft an der Landhauskreuzung.

Konflikte bleiben meist in den Unterkünften

Stefan Hartmaier, Leiter des Polizeireviers 4 an der Balinger Straße, berichtet im Bezirksbeirat über die Erfahrungen der Polizei mit den Flüchtlingen.

Gerade an der Flüchtlingsunterkunft am Lautlinger Weg sei die Situation aus polizeilicher Sicht unproblematisch, erläuterte Stefan Hartmaier dem Möhringer Bezirksbeirat und den anwesenden Bürgern. „Es gibt einzelne wenige Vorkommnisse wie Ruhestörungen oder Streitereien, aber die Situation ist nicht dramatisch“, so Hartmaier.

Die Angst der Bürger, vor allem nach den Vorfällen in der Silversternacht in Köln und Stuttgart, kann er nachvollziehen. Zur Situation in der Stuttgarter Innenstadt sagte er: „Die Innenstadt war stark frequentiert mit tausenden Menschen, darunter auch viele nordafrikanischer und arabischer Herkunft. Sie waren teils in Gruppen von zehn bis 30 Personen unterwegs.“ In der Klett-Passage seien teilweise 300 Menschen auf engstem Raum gewesen. Erst im Nachhinein wurden der Polizei diverse Vorkommnisse gemeldet. „Bis zum 3. Januar wurden sechs Anzeigen erstattet“, sagte Hartmaier. „Nach der Berichterstattung in den Medien erhöhte sich die Zahl auf 44.“ 20 davon seien Diebstahlsdelikte gewesen, 24 waren Sexualdelikte wie Bedrängen, Anfassen oder das Zerreißen von Kleidung. Zusätzlich seien in der Silvesternacht in der Innenstadt 43 Taschendiebstähle angezeigt worden. „Neun Tatverdächtige konnten ermittelt werden; drei Algerier, drei Iraker, zwei Tunesier und ein Iraner“, sagt Hartmaier. „Nur einer der Tatverdächtigen wohnt in einer Stuttgarter Unterkunft.“ Die anderen seien von außerhalb.

Die Polizei erhört ihre Präsenz

Die Polizei will nach den Vorkommnissen die Präsenz der Beamten erhöhen, mit der Bundespolizei kooperieren und bei Sonderveranstaltungen mehr Personal abstellen. Teilweise sind auch Videoüberwachungen im Gespräch. In der Stuttgarter Innenstadt sei nun jeden Tag ein zusätzlicher Einsatzzug unterwegs, erklärte Hartmaier. In den Randbezirken sei das nicht notwendig, weil es dort keine vermehrten Vorkommnisse gebe.

In ganz Stuttgart fährt die Polizei pro Tag im Schnitt zu zwei Einsätzen in Flüchtlingsunterkünften. Bei derzeit 68 Unterkünften und im Vergleich zu den übrigen Einsätzen der Polizei sei das relativ wenig. Und: „Die Konflikte bleiben in der Regel in den Unterkünften und tragen nicht nach außen“, so der Möhringer Revierleiter.

Bislang ist in Stuttgart ein fremdenfeindlicher Akt verzeichnet worden; im Weilimdorfer Stadtteil Hausen sprühten Unbekannte ein „Not Welcome“-Graffiti an eine Unterkunft.