Um die 100 000 Flüchtlinge werden dieses Jahr in Baden-Württemberg erwartet. Um diese Menschen unterzubringen, setzt die Landesregierung laut Ministerpräsident Winfried Kretschmann verstärkt auf Kasernen.

Stuttgart - Es ist noch nicht lange her, da warnte SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel vor der Errichtung von „Riesenlagern, die weder der Würde der Flüchtlinge noch den Erwartungen der Bevölkerung gerecht würden“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann sprach gar von einer „Ghetto-Bildung in der Flüchtlingsunterbringung“. Mit drastischen Worten wandten sich die beiden Koalitionspolitiker gegen den CDU-Vorschlag, die Flüchtlinge gebündelt in so genannten Landeskompetenzzentren unterzubringen.

 

Der CDU-Vorstoß verpuffte, doch nun kommt die Landesregierung unter dem Druck des Flüchtlingszuzugs nicht mehr daran vorbei, die neu Ankommenden in immer größer werdenden Auffanglagern unterzubringen. Dies geschieht – auch auf Betreiben des Bundes – zunehmend in Kasernen, die zum Teil bisher schon als Erstaufnahmeeinrichtungen genutzt werden. „Wir werden die Kasernenstandorte über das bisher Geplante hinaus belegen“, kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag nach der Kabinettssitzung an.

Besser Kasernen als Zelte

Andere Möglichkeiten sehe er nicht, um die Flüchtlinge menschenwürdig über den Winter zu bringen. Die Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) nannte es „nicht darstellbar“, Flüchtlinge in Sporthallen oder in Zelte zu stecken, so lange Kasernengebäude leer stünden und Flüchtlinge dort untergebracht werden könnten.

Tatsächlich bieten weitläufige Kasernenareale wie in Ellwangen (Ostalbkreis) oder Sigmaringen noch Kapazitäten, um Flüchtlinge zu versorgen. Auch im Patrick-Henry-Village in Heidelberg ist noch Platz. Doch die Vorbehalte in den Kommunen sind groß. Sie verfolgen mit den jetzt ins Auge genommenen Liegenschaften vielfach eigene Pläne. Sie wollen Betriebe ansiedeln oder Bildungsakademien einrichten. Zudem warnen Kommunalpolitiker vor einem Stimmungsumschwung in der Bürgerschaft, wenn Flüchtlinge das Stadtbild prägten. Und sie verweisen darauf, dass mit der Landesregierung konkrete Obergrenzen bei der Zahl der Flüchtlinge vereinbart seien.

So war zum Beispiel für Ellwangen in einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung eine Maximalbelegung von etwa 1000 Flüchtlingen festgehalten worden. Als Kretschmann die Erstaufnahmeeinrichtung in der Reinhard-Kaserne in den Sommerferien besuchte, war diese bereits mit 2000 Personen belegt. Das Regierungspräsidium Stuttgart konstatierte schon zu diesem Zeitpunkt, das Land komme nicht umhin, die Erstaufnahmeeinrichtungen bis zum Äußersten auszulasten und die Belegung weit über das vereinbarte Maß hinaus zu verdichten. Inzwischen ist für Ellwangen von 4000 Flüchtlingen auszugehen.

Regionale Verzerrungen bei der Flüchtlingsverteilung

Kretschmann sagte am Dienstag, natürlich sei ihm bewusst, „dass es Probleme bringt, Flüchtlinge zu konzentrieren“. Die Unterbringung in Kasernen führe zu „regionalen Verzerrungen“, also zu einer ungleichen Verteilung der Asylbewerber im Land. Doch dahinter stecke keine Absicht. „Die Kasernen sind nun mal, wo sie sind“, sagte Kretschmann. Auf neue Obergrenzen ließ er sich ebenso wenig wie Integrationsministerin Öney festlegen. Die SPD-Politikerin nannte die Bereitstellung von Kasernen und Bundespersonal eine wichtige Leistung des Bundes. Laut Öney verfügt Baden-Württemberg inzwischen über 25 000 Plätze für die Erstaufnahme von Flüchtlingen. Spätestens im Oktober würden es 27 000 Plätze sein.

Kretschmann sagte, das Land habe in den vergangenen zehn Tagen 9781 Menschen aufgenommen, davon 3766 aus München. Bayerische Klagen über mangelnde Solidarität wies er zurück. „Wir haben alles getan, um den Bayern zu helfen.“ Baden-Württemberg nehme weit mehr Flüchtlinge, als es nach dem föderalen Verteilungsschlüssel müsse. Der Südwesten erwartet in diesem Jahr etwa 100 000 Flüchtlinge – das wären fast viermal so viel wie noch im vergangenen Jahr.