Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko lenkt eine wachsende Zahl an Flüchtlingen über Polen nach Deutschland. Erlebt die Bundesrepublik ein neues 2015?

Digital Desk: Sebastian Xanke (xan)

Berlin - Immer mehr Flüchtlinge reisen illegal über die polnische Grenze nach Deutschland ein. Verantwortlich dafür ist vor allem der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko. Seit Monaten fördert er Menschen aus dem Nahen Osten gezielt dabei, etwa per Flugzeug nach Belarus einzureisen und von dort Richtung Deutschland weiterzugehen.

 

Wie ist die Lage in Deutschland und Polen?

Im Oktober registrierte die Bundespolizei bisher nach eigenen Angaben 4584 unerlaubte Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze mit Bezug zu Belarus. 2020 verzeichneten die Beamten noch deutlich weniger unerlaubte Migration über Belarus und Polen. Der Sozialwissenschaftler Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung hält eine solche Gegenüberstellung allerdings nicht für aussagekräftig. Wegen der Coronapandemie hätten Flucht- und Migrationsbewegungen eher abgenommen. Der Anstieg an irregulär Einreisenden sei im Verhältnis zu der Zeit vor der Pandemie bisher nicht beunruhigend groß.

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Polens Regierung will die Grenze zu seinem Nachbarland Belarus verstärkt schützen. Bereits jetzt ist dort Stacheldraht verlegt, bald sollen noch mehr Befestigungen gebaut werden. Zudem kündigte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak an, mehr Soldaten an den Grenzen einzusetzen. Für die Geflüchteten ist der Weg nach Deutschland gerade bei den derzeit kühlen Temperaturen lebensgefährlich. Immer wieder gibt es Berichte über tot aufgefundene Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze.

Welche Meinungen gibt es dazu?

„Wir brauchen Zäune, und wir brauchen vermutlich auch Mauern“, forderte jüngst der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Die Europäische Union dürfe sich nicht von Belarus erpressen lassen, so der CDU-Politiker. Der Hintergrund: Lukaschenko hatte im Frühjahr als Reaktion auf westliche Sanktionen angekündigt, Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht länger aufzuhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach diesbezüglich von „staatlichem Menschenhandel“. Unter anderem der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Dieter Dombrowski, kritisierte Kretschmer für den Vorschlag: „Mauern und Stacheldraht haben noch nie jemanden abgehalten, seinen Weg in die Freiheit zu suchen“, sagte Dombrowski dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Droht eine neue Krise wie 2015/2016?

Experten sind sich einig, dass sich die derzeitige Situation nicht mit der von 2015 und 2016 vergleichen lässt. „Die Zahlen bewegen sich gerade in einer anderen Dimension als damals“, sagt etwa Migrationsforscher Engler. Gab es 2016 einen historischen Höchststand von 745 545 Asylanträgen in Deutschland, sind es von Januar bis September 2021 gerade einmal 131 732 Anträge gewesen. Auch die Ausgangslage ist laut Engler momentan eine gänzlich andere. „Bis einschließlich 2015 sind mehrere Millionen Menschen über die türkische Grenze aus dem zusammengebrochenen Syrien geflohen“, so der Experte. Jetzt kämen hingegen viele der Geflüchteten aus dem Irak und aus Afghanistan per Flugzeug über Belarus in die EU. „So viele Menschen wie 2015 können also gar nicht ankommen.“

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Was unternehmen die Bundesregierung und die Europäische Union?

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat angekündigt, „falls notwendig“, mehr Bundespolizisten an der Grenze zu Polen einzusetzen. Ab Montag werden die zumeist in Brandenburg ankommenden Asylbewerber zudem auf die anderen Bundesländer verteilt. Die EU-Staaten wollen Belarus mit neuen Sanktionen zum Einlenken bewegen.

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