Der Streit über die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze und die damit verbundene Forderung nach Kontrollen hätte dramatische Folgen für die Wirtschaft, sagen Experten. Spediteure rechnen mit längeren Wartezeiten und höheren Kosten.

Wirtschaft: Imelda Flaig (imf)

Stuttgart - Die Wirtschaft im Südwesten kritisiert den Vorschlag von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zur Asylpolitik. Denn Deutschland ist auf offene Grenzen angewiesen, sagen Experten aus dem Land. Sie fürchten Milliardenschäden, sollte es im Zuge der Zurückweisung von Flüchtlingen zu Grenzkontrollen kommen. Was für Firmen auf dem Spiel steht, sagt Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg: „Für Deutschland als Exportnation wären Grenzkontrollen ein Drama.“ Vor allem die Automobilindustrie sei just-in-time-getrieben. Will heißen, das Material wird kurzfristig angeliefert, wenn es in der Produktion benötigt wird. Grenzkontrollen wären Sand im Getriebe solcher Just-in-time-Lieferungen.

 

Marongiu verweist in dem Zusammenhang auf eine EU-Statistik, der zufolge es in der Europäischen Union jedes Jahr etwa 57 Millionen grenzüberschreitende Straßentransporte gibt. Veranschlage man für jede Fahrt wegen der Wartezeiten aufgrund der Grenzkontrollen zusätzlich eine halbe Stunde pro Lkw, würde sich für die Wirtschaft eine zusätzliche Belastung von rund 1,5 Milliarden Euro ergeben. Die Kosten für eine Stunde Wartezeit beziffert er auf 55 Euro. Das sei noch vorsichtig gerechnet, sagt er, denn der Schaden wäre wesentlich höher. Er verweist auf Kontrollen an der Schweizer Grenze. „Schauen sie doch mal auf die lange Lkw-Spur bei Weil am Rhein“, nennt er ein Beispiel. „Die Logistik funktioniert heute, weil wir freie Grenzen haben. Das ist ein hohes Gut in Europa“, sagt Marongiu. So wie man heute arbeite, würde das bei Grenzkontrollen nicht mehr funktionieren. „,Wir bräuchten mehr Puffer, mehr Lagerhallen und mehr Lkw“, so Marongiu weiter.

Belastungen für den Straßengütervekehr

Es sei schon jetzt ein Riesenproblem, Fahrer zu bekommen. Deshalb mag er sich zusätzliche Belastungen im Straßengüterverkehr gar nicht vorstellen. Ihn ärgert sehr, was derzeit in Berlin abläuft. Er wertet es als „Nabelschau“, ohne das Thema Flüchtlingspolitik verharmlosen zu wollen. In Richtung CSU setzt er noch eins drauf. Die bevorstehende Landtagswahl in Bayern nehme die ganze Republik in Geiselhaft – und Europa dazu. „Ohne die Politik würde die Wirtschaft brummen“, sagt Marongiu mit Blick auf die britische Premierministerin Theresa May und den Brexit, US-Präsident Donald Trump und die Zölle, Italien und die deutsche Politik. „Der große Unsicherheitsfaktor ist die Politik“, resümiert er.

Auch Boris Behringer, Geschäftsführer des Groß- und Außenhandelsverbands Baden-Württemberg (BGA), plädiert für eine sachliche Diskussion im Asylstreit, statt einen öffentlichen Machtkampf auszutragen, aus dem die Wirtschaft nicht ungeschoren rauskomme. CSU und CDU hätten zwei Wochen Atempause, um sich zusammenzuraufen und einen gemeinsamen Weg zu finden, sagt auch Wolfgang Wolf, Geschäftsführer beim Landesverband der baden-württembergischen Industrie (LVI). „Eine Eskalationsstufe will und kann ich mir nicht vorstellen.“

Wenn Grenzen abgeschottet würden und es zu Kontrollen käme, gebe es erhebliche Einschränkungen für den Personen- und Warenverkehr, sagt BGA-Geschäftsführer Behringer. Von einem Alleingang in der Flüchtlingspolitik hält er nichts. Europa müsse zusammenstehen. „Deutschland muss eine starke Rolle spielen, um Europa zu stärken und den Freihandel zu verteidigen.“ Das sei nur möglich, wenn Deutschland mit einer Stimme spreche.

Immer mehr Handelshemmnisse

LVI-Geschäftsführer Wolf schlägt in die gleiche Kerbe. „Eine isolierte deutsche Lösung wird nicht funktionieren“, ist er sich sicher und setzt noch eins drauf: Wenn Europa keine einheitliche Linie schaffe, brauche man nicht mit US-Präsident Donald Trump in Verhandlungen zu gehen. Beim Thema Trump hat Wolf wie seine anderen Verbandskollegen bereits existierende Handelshemmnisse vor Augen, die auch deutsche Unternehmen unter Druck setzen. Da sind etwa die Zölle des US-Präsidenten gegen die EU, der eskalierende Handelsstreit zwischen den beiden weltweit führenden Wirtschaftsnationen USA und China sowie der Brexit, der baden-württembergische Firmen belasten dürfte. „Der Druck im Kessel ist so stark, dass eine europäische Lösung hermuss“, sagt Wolf mit Blick auf den Asylstreit von CSU-Minister Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel. „Die Wirtschaft jedenfalls wünscht sich das.“