Wer sich aus Krieg oder Not nach Deutschland flüchtet, landet nicht automatisch in behaglicher Sicherheit. Pial Lenz hat für ihren Dokumentarfilm „Alles gut“ Flüchtlingsfamilien über längere Zeit begleitet. Integration, zeigt sie, fällt aus vielen Gründen nicht leicht.

Hamburg - Einer der wichtigsten Momente in Adels Leben ist nur noch wenige Stunden entfernt. Dem 43-jährigen Asylbewerber, der ständig rauchen muss, ist es endlich gelungen, seine Frau und seine Kinder nach Deutschland nachzuholen. Gleich werden sie am Hamburger Flughafen ankommen. Zur Feier des Tages soll es Pizza Margherita vom Discounter geben.

 

In diesen Passagen, 2015 entstanden, hat Pia Lenz’ 95-minütiger Dokumentarfilm „Alles gut“ fast schon historischen Charakter. Aufgrund des sogenannten Asylpakets II, das seit Anfang März 2016 gilt, ist es für syrische Asylbewerber nur noch eingeschränkt möglich, ihre Familien nachziehen zu lassen.

Zwei Kinder aus unterschiedlichen Ländern

Adels Tochter Ghofran, anfangs elf Jahre alt, ist eine der Protagonistinnen dieser Langzeitbeobachtung. Aufgewachsen in einem Land, in dem es nicht einmal Fahrrad fahren durfte, sieht sich das Mädchen nun von Schulkameradinnen umgeben, die sich schminken und andere vergleichsweise große Freiheiten gewohnt sind. Der zweite Protagonist ist der achtjährige mazedonische Roma-Junge Djaner, der mit Mutter und Bruder nach Deutschland gekommen ist und zunächst in derselben Einrichtung lebt wie Ghofrans Familie. Die Unterkunft und die Schulen, die Ghofran und Djaner besuchen, sind die Hauptschauplätze des Films.

„Alles gut“ stößt in eine Lücke des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses. Das Schlagwort Integration taucht noch auf, spielt aber eine immer geringere Rolle. Größere Bedeutung haben nun andere Themen: Sicherheitsfragen, Kriminalitätsstatistiken, Versuche, die Flüchtlingszahlen möglichst niedrig zu halten. Dass sich „die Debatte um Geflüchtete“ in solchen Fragen verliere, sei „für jene, die sich seit 2015 engagieren, sei es als Lehrer oder privat, demotivierend“, sagt Pia Lenz.

Die Frage nach der Perspektive

Der Film wirft Fragen auf, die für die Engagierten Alltag, aber einem Großteil der Bevölkerung - und auch vielen Behördenmitarbeitern - kaum bewusst sind. Wie viel müssen alle Beteiligten leisten, damit ein schwer „beschulbarer“ Romajunge hier eine Perspektive hat? Was ist das maximal Mögliche, das man Kindern für ihr weiteres Leben mitgeben kann, wenn absehbar ist, dass sie nicht in Deutschland bleiben können? Die Frage stellt sich im Fall Djaner, denn Mazedonien gilt als sicheres Herkunftsland.

Angst vor der Polizei

Pia Lenz gelingen intime Nahaufnahmen aus dem Alltag der Geflüchteten - von der Angst Djaners vor der Hamburger Polizei etwa, die nachts die Unterkünfte abklappert, um Bewohner aufzuspüren, die abgeschoben werden können. Kinder wie Djaner haben schon oft mitbekommen, dass andere Mädchen und Jungs vom einen Tag auf den anderen verschwinden. Nachdem sein Bruder und er eines Nachts nur knapp einer Abschiebung entgehen, kommt Djaner eine Zeit lang nicht in den Unterricht. Die Mutter hat Angst, die Polizei könne die Kinder aus der Schule abholen - obwohl das in Hamburg, anders als in anderen Bundesländern, gar nicht zulässig ist.

Fahrdienst im Morgengrauen

In der Zeit akuter Bedrohung entstehen besonders eindringliche Bilder: Als Djaner an einem sicheren Ort am anderen Ende Hamburgs untergebracht ist, entschließt sich eine Elterninitiative, einen Fahrdienst zu organisieren. Im Morgengrauen durchqueren engagierte Eltern die Stadt, damit Djaner jeden Tag in die gewohnte Schule kommen kann. Die Lehrerin der Grundschulklasse spricht in der Zeit mit ihren Schülern über das Thema Abschiebung. Das finden zunächst nicht alle Eltern gut.

Der Schulalltag spielt in „Alles gut“ eine starke Rolle. Viele Kinder von Geflüchteten haben einen positiveren Bezug zur Schule als ihre einheimischen Klassenkameraden. „Die Schule gibt den Kindern eine Struktur, die sie Wochen, vielleicht sogar Monate lang nicht hatten. Die Schule ist der Haltepunkt, darauf können sie sich verlassen“, sagt Ghofrans Lehrerin.

Drohende Abschiebung

Heute, mehr als ein Jahr nach dem Ende der Dreharbeiten, leben Djaner und sein Bruder in Heimen - getrennt von der Mutter, die wegen einer psychischen Krankheit in Behandlung ist. Sollte sie wieder in der Lage sein, für ihre Kinder zu sorgen, droht der Familie die Abschiebung. Für Ghofrans Familie ist es den Umständen entsprechend gut gelaufen, sie hat Anfang 2017 eine eigene Wohnung gefunden.

Bei Dokumentationen rund um die Themen Flucht und Abschiebung ist es nicht unüblich, dass die Protagonisten und die Regisseure auch lange nach der Fertigstellung des Films noch in Kontakt bleiben. Das gilt auch für „Alles gut“. „Man war der erste deutsche Ansprechpartner, und das bleibt man auch“, sagt Pia Lenz. Die Menschen, die sie Monate lang durch Krisen und Freuden begleitet hat, meldeten sich immer noch mit Detailfragen bei ihr, sagt sie. „Djaner ruft auch dann an, wenn er schwimmen gehen will.“ Gegenüber Erwachsenen könne sie in solchen Situationen Grenzen ziehen, ergänzt Lenz. „Aber einem Kind kann man nicht sagen, dass man professionelle Distanz wahren muss.“