Es gibt viele Gründe, warum eine Abschiebung nicht stattfindet. Und es gibt viele Fälle, bei denen die Behörden schon mit der Statistik überfordert sind.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

In Baden Württemberg leben derzeit 97 296 Syrer. Eine „hohe einstellige Zahl“ von ihnen ist nach Auskunft des zuständigen Justizministeriums vollziehbar ausreisepflichtig. Es handelt sich bei dieser Gruppe um schwere Straftäter und Menschen, die die Sicherheit des Landes gefährden. Die anderen haben ein Recht zu bleiben – und von diesen Rechten gibt es viele: Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, Duldung, Aufenthaltsgestattung, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis – um nur die häufigsten zu nennen.

 

Allerdings: nach Syrien wie nach Afghanistan wird derzeit niemand abgeschoben, nicht einmal Straftäter, auch nicht besonders schlimme. Das ist eine Entscheidung, die von vielen Bundesländern scharf kritisiert wird. Auch Justizministerin Marion Gentges (CDU) und ihr Parteikollege Innenminister Thomas Strobl fordern seit langem und in steter Regelmäßigkeit, dies zu ändern. Zuständig dafür wären allerdings der Bund und in letzter Konsequenz die Gerichte, die von jedem Abschiebekandidaten angerufen werden können.

Gerichte haben das letzte Wort

Bisher sind die Gerichte der Ansicht, dass in diesen beiden Ländern die Gefahr für Leib und Leben so groß ist, dass eine Abschiebung in der Regel nicht möglich ist. Das gilt auch nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster aus dem Juli, die bundesweit Schlagzeilen produzierte. Das Gericht hatte einem Flüchtling den subsidiären Schutz mit der Begründung abgesprochen, dass in Syrien keine „ernsthafte, individuelle Lebensgefahr“ aufgrund des Bürgerkriegs bestehe. Rückkehrer hätten außerdem keine zielgerichteten Menschenrechtsverletzungen zu befürchten.

Das hat medial hohe Wellen geschlagen und wird in der aktuellen Diskussion häufig zitiert. Was in der entsprechenden Pressemitteilung nicht stand, jedoch mindestens ebenso wichtig ist: Der syrische Kläger hat bereits vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen anderen Schutz erhalten, nämlich ein sogenanntes Abschiebungsverbot. Das ist ein individueller Schutzstatus, der zum Beispiel dann verhängt wird, wenn im Herkunftsstaat eine lebensgefährliche humanitäre Notlage droht. Auch er muss also nicht zurück.

Die meisten Abschiebungen gab es 2016

Im Südwesten gab es im vergangenen Jahr insgesamt 2099 Abschiebungen, darunter 818 Straftäter. In diesem Jahr gab es bis einschließlich Juli 1603 Abschiebungen, darunter 422 Straftäter. Die bisher größte Zahl an Abschiebungen stammt aus dem Jahr 2016, damals mussten 3638 Menschen das Land verlassen, darunter 359 Straftäter. Die Zahl jener, die ausreisepflichtig sind, ist jedoch um einiges höher: 24 504 Menschen waren das, Stand Ende Juni. Erfahrungsgemäß sind rund die Hälfte so genannte Dublin-Fälle. Dabei geht es um Menschen, die nicht in ihr Herkunftsland gebracht werden sollen, sondern in ein anderes Mitgliedsland der EU – in dem sie bereits einen Asylantrag gestellt haben. Doch der vom Bund verhängte Abschiebestopp ist das eine, Abschiebehindernisse gibt es auch andere noch zur Genüge. Rechtliche und tatsächliche gleichermaßen.

In vielen Fällen ist es nicht klar, woher der Mensch kommt, der hier ohne Papiere Zuflucht sucht. Dann ist es zwar leicht gesagt, dass er wieder gehen muss – aber wohin? In anderen Fällen ist die Herkunft zwar klar, aber das Heimatland verweigert die Rücknahme. Das gibt es sowohl innerhalb der EU als auch bei den Herkunftsländern. Mit Zuckerbrot und Peitsche versucht die Bundesregierung dies zu ändern, mit wechselndem Erfolg. Mal wird Entwicklungshilfe gewährt, mal mit Visaerschwernissen für all jene gedroht, die gerne und offiziell reisen.

Pingpong der Zuständigkeiten

Eines der größten Probleme: Der Zuständigkeitswirrwarr. Bund, Länder und Kommunen sind miteinander auf so vielfältige Art und Weise verwoben, dass der Überblick oft verloren geht. Das BAMF entscheidet, die Ausländerbehörde muss umsetzen, Land und Bund verteilen Mittel und erlassen Regelungen. Da liegt vieles im Argen. Beispiel: Abschiebungen gemäß dem Dublin-Abkommen, wonach auch der Attentäter von Solingen nach Bulgarien gebracht hätte werden sollen. Wie viele dieser Fälle es in Baden-Württemberg gibt, weiß das Justizministerium gar nicht zu sagen. Zuständig sei das BAMF. Dort weiß man es auch nicht. „Eine Aufschlüsselung nach Bundesländern müsste erst in Auftrag gegeben werden“, heißt es auf Anfrage. Das könne aber dauern.