Die dramatischen Bilder aus Ungarn reißen nicht ab, die Lage droht zu eskalieren und Premier Orban gießt mit markigen Worten Öl ins Feuer. Rund 300 Flüchtlinge nehmen indes an der ungarisch-serbischen Grenze ihr Schicksal selbst in die Hand und fliehen.

Röszke - Die Flüchtlingskrise wird für Europa zu einer immer größeren Belastungsprobe. In Ungarn, wo viele tausend Menschen aus Syrien und anderen Ländern auf die Weiterreise in den Westen hoffen, spitzte sich die Lage am Freitag weiter zu. Von den 3000 Menschen, die vor dem Ostbahnhof in Budapest lagerten, machten sich die ersten zu Fuß auf den Weg zur österreichischen Grenze. Etwa 300 Flüchtlinge flohen aus einem Lager, wo sie registriert werden sollten. Mehrere Züge wurden von den ungarischen Behörden gestoppt.

 

In Luxemburg kamen die EU-Außenminister zusammen, ein Thema war auch die Flüchtlingskrise. Der deutsch-französische Vorschlag für feste Verteilungsquoten wird von anderen Mitgliedsländern bislang abgelehnt. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kündigte aber an, nächste Woche die Aufteilung von 120.000 weiteren Flüchtlingen auf andere EU-Staaten vorschlagen. Damit sollen Griechenland, Italien und Ungarn entlastet werden. Bislang gibt es solche Pläne für 40.000 Menschen.

Cameron erklärt sich zu Aufnahme bereit

Großbritanniens Premierminister David Cameron, der wegen einer harten Haltung in der Kritik steht, erklärte sich zur Aufnahme von mehreren tausend syrischen Flüchtlingen bereit. Das Angebot soll jedoch nur für Menschen gelten, die in Lagern nahe der syrischen Grenze leben - nicht für Flüchtlinge, die bereits in Europa sind. Cameron sagte: „Das gibt ihnen einen direkteren und sichereren Weg ins Vereinigte Königreich, statt dass sie die gefahrvolle Reise riskieren, die tragischerweise so viele das Leben gekostet hat.“ Bislang hat Großbritannien etwa 5000 Syrer aufgenommen.

Die Bundesregierung, an der es vor allem aus Osteuropa viel Kritik gibt, warnte vor einer neuen Spaltung Europas. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte zu Beginn des Ministertreffens in Luxemburg: „Gegenseitige Schuldzuweisungen werden nicht dazu führen, dass wir das Problem in den Griff kriegen. Europa darf sich auch im Angesicht einer solchen Herausforderung nicht auseinanderdividieren lassen.“

Flüchtlinge fliehen aus ungarischem Lager

Dramatische Bilder gab es abermals aus Ungarn. Aus dem Erst-Registrierungslager Rözke an der Grenze zu Serbien flohen etwa 300 Menschen. Nach Berichten ungarischer Medien wollten sie nicht mehr länger warten. Am Ostbahnhof in Budapest marschierten Hunderte zu Fuß Richtung Österreich los. „Wenn wir in kleinen Gruppen unterwegs sind, schnappt uns die Polizei, aber gemeinsam sind wir stark“, sagte ein junger Mann aus dem syrischen Aleppo. Die Polizei ließ die Gruppe zunächst gewähren.

Die ungarischen Behörden durchsuchten aber Züge Richtung Westgrenze, um Flüchtlinge an der Weiterreise zu hindern. In der Stadt Bicske - knapp 40 Kilometer westlich von Budapest - verbrachten etwa 500 Flüchtlinge die Nacht zum Freitag in einem Zug. Sie wehren sich seit Donnerstagmittag gegen ihren geplanten Transport in ein Lager.

Rund 300 Flüchtlinge brachen am Freitag auf, um von Bicske entlang der Schienen Richtung Österreich zu laufen. Bis zur ungarisch-österreichischen Grenze sind es von dort etwa 200 Kilometer. Weitere 50 Menschen seien auf dem Weg zurück in Richtung Budapest, berichtete die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI. Die Polizei habe sie nicht aufhalten können. Mehrere Dutzend Menschen blieben auch im Zug.

Ein zweiter Zug mit Flüchtlingen wurde im Dorf Nagyszentjanos gestoppt. Alle 120 Reisenden wurden in Flüchtlingslager gebracht.

Ungarn macht illegalen Grenzübertritt zur Straftat

In Ungarn gilt illegaler Grenzübertritt vom 15. September an nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat. Das beschloss das Parlament in Budapest am Freitag im Eilverfahren auf Initiative des Innenministers Sandor Pinter. Schlepper sollen mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden.

Das insgesamt zehnteilige Gesetzespaket zur Verhinderung der illegalen Einwanderung beinhaltet unter anderem auch die Einrichtung von Transitzonen für Flüchtlinge direkt an der Grenze. Sie sollen zur serbischen Seite hin offen sein und auf der ungarischen Seite geschlossen. Die Transitzonen sind als größere Flächen geplant, auf denen sich Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens aufhalten dürfen.

Orban will keine Muslime aufnehmen

Ministerpräsident Viktor Orban warnte erneut davor, Muslime einwandern zu lassen. Eines Tages würden die Europäer entdecken, dass sie auf dem eigenen Kontinent in der Minderheit seien, sagte der rechtsnationale Regierungschef im Staatsrundfunk. „Wenn wir unsere Grenzen nicht schützen, werden zehn Millionen nach Europa kommen.“

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, appellierte an die EU, sich auf die Verteilung von bis zu 200.000 Flüchtlingen nach verbindlichen Quoten zu einigen. Zugleich müssten ausreichende Erstaufnahmezentren geschaffen werden. Die EU müsse „dringende und mutige Maßnahmen ergreifen, um die Situation zu stabilisieren“. Danach komme es darauf an, Wege zu finden, um mittelfristig die Zuständigkeiten fair zu teilen.

Die Flüchtlingskrise steht auch im Mittelpunkt des EU-Außenministertreffens in Luxemburg. Die EU streitet seit Monaten über dieses Thema. Bisher war selbst eine freiwillige Verteilungsquote, wie sie im Mai von der EU beschlossen worden war, am Widerstand vor allem osteuropäischer Länder gescheitert.

Angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen auf griechischen Inseln versprach die EU Athen weitere Hilfe. In der Hafenstadt Piräus soll bald ein sogenanntes Hotspot-Zentrum öffnen, wo Flüchtlinge registriert werden. Das kündigte am Freitag der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos auf der Insel Kos an.