Hilfsorganisationen haben mitten in der französischen Hauptstadt Zelte aufgebaut. Sie protestieren gegen den Umgang mit den Geflüchteten, die nicht als Minderjährige anerkannt sind.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Etwas verwirrt blättert das Touristenpaar in ihrem Reiseführer. Doch diesen Zeltplatz am Square Jules-Ferry mitten im 11. Arrondissement von Paris suchen sie auf der Karte vergebens. „Das ist kein Feriencamp“ steht am schmiedeeisernen Eingangstor. Vor einigen Tagen haben ein Handvoll Hilfsorganisationen in dem kleinen Park mehrere Dutzend Zelte aufgebaut und dort mehr als 70 junge Männer einquartiert. In der Mitte der Anlage steht ein kleiner Pavillon, wo ehrenamtliche Helfer für eine minimale medizinische Versorgung und die psychische Betreuung sorgen. An einem Pfosten hängt ein großes Schild mit einer „Hausordnung“. Darauf steht etwa, dass Abfall weggeräumt werden muss und ab 22 Uhr Abendruhe herrscht. „Wir wollen mit der Aktion auf die prekäre Situation minderjähriger Flüchtlinge in Frankreich aufmerksam machen“, sagt eine junge Frau, auf ihrer weißen Weste prangt das Emblem der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF).

 

Die Mühlen der Verwaltung arbeiten langsam

Die Hilfsorganisationen werfen dem Staat vor, gegen die UN-Kinderrechtskonvention zu verstoßen. Das Problem: in nicht eindeutigen Fällen dauert es in Frankreich mehrere Monate, bis die Migranten als minderjährig anerkannt werden. In dieser langen Wartezeit werden die Geflüchteten, anders als in Deutschland, nicht als Minderjährige betrachtet und entsprechend nicht untergebracht und versorgt. Die Folge: Sie leben häufig auf der Straße. Im Gegensatz dazu werden in Deutschland die jungen Menschen in staatliche Obhut genommen - auch wenn eine Prüfung noch aussteht. Ärzte ohne Grenzen fordert, dass die jungen Menschen in Frankreich sofort bei Ankunft in Frankreich geschützt werden.

Flucht vor der Hoffnungslosigkeit

Die jungen Geflüchteten werden in Frankreich „ni-ni“ (weder-noch) genannt, weil sie rechtlich weder Jugendliche noch Erwachsene sind. Einige dieser jungen Männer haben es sich auf einer Bank in der Sonne bequem gemacht. Alle stammen sie von der Elfenbeinküste und alle sind nach eigenen Angaben gerade 17 Jahre alt geworden. In ihrer Heimat hätten sie keine Hoffnung auf ein besseres Leben, sagt einer der Jungs namens Pierre. Nach Frankreich seien sie wegen der Sprache gekommen. Er selbst hat sich nach seiner Ankunft im vergangenen Winter beim Roten Kreuz registriert - wurde aber nicht als minderjährig anerkannt. „Ich habe meine Geburtsurkunde vorgelegt, aber sie haben mir nicht geglaubt.“ Gegen diese Entscheidung hat Pierre Widerspruch eingelegt, lebt nun in Paris auf der Straße und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs über die Runden.

Der große Traum vom Schulbesuch

„Der größte Traum der jungen Menschen ist es, zur Schule zu gehen“, erzählt eine Helferin von Ärzte ohne Grenzen. Doch der Staat verbaue mit seiner Anerkennungspraxis den Jugendlichen jede Möglichkeit, etwas zu lernen oder sich zu integrieren. Scharfe Kritik üben die Hilfsorganisationen auch an den Tests, bei denen das Alter festgestellt werden soll. „Das sind auf ganz einfache Gespräche, oft ohne Übersetzer, meist sehr kurz“, sagt die junge Helferin. Es sei meist auch nicht wirklich transparent, wie die Kommissionen zu ihren Urteilen kommen. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen besteht eine hohe Fehlerquote bei der Entscheidung darüber, ob jemand minderjährig ist oder nicht. Demnach wurden 56 Prozent der Jugendlichen, die 2018 von MSF begleitet wurden und gegen die Entscheidung Einspruch eingelegt haben, schließlich von einem Jugendrichter endgültig als minderjährig anerkannt. Die Hilfsorganisation Human Rights Watch beschreibt die Prozedur in einem Bericht als Lotterie.

Ein Problem ist auch, dass bei der Unterbringung der jungen Männer die Zuständigkeit nicht wirklich geklärt ist und die Verantwortung von einer Stelle zur anderen geschoben wird. „Wir haben vorgeschlagen, eine Anlaufstation einzurichten, wo die Geflüchteten bleiben können, bis ihre rechtliche Lage geklärt ist“, erklärt Dominique Versini, die sich bei der Stadt Paris um die sozialen Belange kümmert. Die staatlichen Stellen und die Präfektur aber hätten sich bis zuletzt einer Lösung widersetzt. Die Sache sei aber natürlich nicht vor Tisch, verspricht sie, ein neuer Anlauf soll in den nächsten Tagen unternommen werden.