Flüchtlinge müssen einiges aushalten: beengte Unterkünfte, Angst vor Abschiebung, Pöbeleien. Für Frauen ist es noch härter. Sex als Währung für Schlepper, Übergriffe in Unterkünften - für sie gibt es besondere Gefahren.

Berlin - Amal fühlte sich nicht sicher. Unter all den Männern - den anderen Flüchtlingen, den Mitarbeitern, den Sicherheitsleuten. Viele Monate verbrachte die junge Frau aus Somalia in großen Flüchtlingsheimen in Brandenburg, erst in Eisenhüttenstadt, dann in Prenzlau. Für Frauen sei das Leben in diesen Unterkünften besonders schwierig, erzählt die 27-Jährige. „Viele gehen nachts nicht auf die Toilette, weil sie Angst haben, alleine über den Flur zu laufen.“ Es passiere immer wieder, dass Männer in den Duschräumen für Frauen auftauchten oder in den Frauen-Toiletten. „Da passt niemand auf.“

 

Auch in ihrem Zimmer habe sie sich nicht geschützt gefühlt, selbst wenn sie abgeschlossen habe. „Die Mitarbeiter haben einen Generalschlüssel. Die kommen ohne Vorwarnung rein und sagen dann, dass sie nach der Heizung schauen müssen oder sonst was.“

Sexuelle Übergriffe sind alltäglich

Einmal habe sie ein Flüchtling aus der Unterkunft angegriffen, sagt Amal. Was genau passiert ist, mag sie nicht erzählen. „Sexuelle Belästigung“, sagt sie leise, presst die Lippen zusammen und fängt an zu weinen, lautlos. Auch über andere Dinge redet Amal nicht gerne: Über die Gründe für ihre Flucht aus Somalia, über ihren langen Weg alleine nach Deutschland und über das, was unterwegs passiert ist.

Inzwischen lebt sie in Berlin, hat eine Aufenthaltserlaubnis und engagiert sich bei der Gruppe „Women in Exile“, einem Zusammenschluss von geflüchteten Frauen und Unterstützern in Brandenburg. Im vergangenen Sommer fuhr die Truppe mit einem Bus durch das Land, von Unterkunft zu Unterkunft, um dort mit Flüchtlingsfrauen zu reden. Ihr Ergebnis: Es habe kaum eine Frau gegeben, die nicht eine Geschichte von aufdringlichen Blicken, anzüglichen Kommentaren, Grapschereien oder körperlichen Übergriffen zu berichten hatte.

Konkrete Zahlen fehlen

Auch Amal hat schon viele verstörende Geschichten von anderen Frauen gehört, von Bedrohungen, Gewalt und Belästigungen - mal durch die eigenen Ehemänner, mal durch Sicherheitsleute, aber auch durch andere Mitarbeiter in den Unterkünften. Selbst von Belästigungen durch Heimleiter hätten ihr Frauen erzählt, sagt Amal. „Und zu wem soll man dann gehen?“ Überhaupt ist es mit dem Reden nicht leicht. Zahlen zum Ausmaß von Gewalt gegenüber Flüchtlingsfrauen gibt es nicht. Es ist kein Thema für Statistiken, das meiste liegt im Dunkeln.

Viele Frauen trauten sich nicht, Übergriffe zu melden - aus Angst vor negativen Folgen für ihr Asylverfahren, sagt Inken Stern. Die Berliner Rechtsanwältin ist spezialisiert auf Asylrecht und hat in ihrer Kanzlei viel mit geflüchteten Frauen zu tun. „Sie wollen oft einfach nicht unbequem werden, möglichst nicht auffallen. Deshalb schweigen sie.“ Außerdem hätten viele in der Heimat schlechte Erfahrungen mit der Polizei und staatlichen Stellen gemacht. Diesen Frauen falle es besonders schwer, sich Behörden anzuvertrauen.

Sex als Zahlungsmittel

Noch dazu haben viele auf dem Weg nach Europa schlimme Dinge erlebt. „Fast jede Frau, die zu mir kommt, hat Gewalterfahrungen auf der Flucht gemacht“, sagt Stern. „Sex wird zum Teil auch als Zahlungsmittel für Schlepper verwendet.“

Das beklagt auch die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR und berichtet von Fällen, in denen Frauen auf dem Weg nach Europa zum Sex gezwungen wurden, um für Reisedokumente zu „bezahlen“. Mädchen und Frauen seien besonderen Risiken ausgesetzt - und bekämen nicht ausreichend Schutz von Behörden und staatlichen Stellen, kritisiert die Organisation.

Die Zahl der Flüchtlingsfrauen steigt

Das Thema sei auch in Deutschland lange vernachlässigt worden, meint Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Es fehlten verpflichtende Konzepte für den Schutz von Frauen in Asyl-Unterkünften. Nötig seien getrennte Waschräume, abschließbare Zimmer und mehr Häuser nur für Frauen. Die Mitarbeiter in Flüchtlingsheimen müssten besonders geschult werden. Außerdem müsse es feste Ablaufpläne geben für den Fall, dass Frauen Übergriffe melden. Erst seit ein paar Monaten werde darüber diskutiert. „Zum Großteil sind das aber nur Planungen, umgesetzt ist noch kaum etwas.“

Auch viele andere Organisationen fordern eindringlich mehr Schutz für Frauen auf der Flucht. Nach UN-Angaben steigt die Zahl der Frauen und Kinder, die sich über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa machen, rasant: Mitte 2015 lag ihr Anteil bei 27 Prozent, Mitte Januar schon bei etwa 55 Prozent. In Deutschland machten Frauen und Mädchen 2015 etwa ein Drittel der Asylsuchenden aus. Tendenz steigend.

Schlafen auf der Straße

Aber es gibt auch andere Geschichten von Flüchtlingsfrauen. Eine Asyl-Unterkunft am südlichen Rand von Berlin: Hier leben 365 Flüchtlinge aus 22 Ländern, darunter viele Frauen und Kinder. Die Wohnbedingungen sind günstiger als anderswo. Die Zimmer und kleinen Wohneinheiten haben zum Beispiel fast alle eigene Badezimmer. Samah aus dem Irak ist hier gelandet, gemeinsam mit ihrer Schwester Zahraa und deren kleiner Tochter. 28 Tage lang haben die drei für den Weg nach Deutschland gebraucht. Sie schlugen sich auf der Balkanroute durch und schliefen die meiste Zeit auf der Straße.

In der Berliner Unterkunft fühlen sie sich wohl. Die beiden Frauen lächeln viel. Ja, der Weg sei schwierig gewesen, sagt die Jüngere, Samah. Aber grundsätzlich sei die Flucht eine gute Erfahrung. „Vorher hatte ich vor vielem Angst - schon davor, alleine auf die Straße zu gehen.“ Die Flucht habe sie stark gemacht, meint die 22-Jährige. „Jetzt bin ich eine mutige Frau.“ In Deutschland sei alles offener, freier. „Zu Hause hatte ich keine Zukunft, hier habe ich eine.“