Die evangelischen Kirchengemeinden stehen vor der Frage, ob sie Flüchtlingen vorläufigen Schutz bieten sollen. Damit laufen sie Gefahr, eine Straftat zu begehen.

Marbach/Bottwartal - Das Kirchenasyl wird im evangelischen Kirchenbezirk Marbach zu einem wichtigen Thema – das allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Denn eigentlich darf sich niemand dem Staat in den Weg stellen, wenn die Bundesrepublik abgelehnte Asylbewerber abschieben will. Allerdings sind auch Behörden nicht vor Fehlern und Irrtümern gefeit, und so können Kirchengemeinden erreichen, dass ein Einzelfall noch einmal geprüft wird. „Im Ernstfall muss es schnell gehen“, sagt etwa die Oberstenfelder Pfarrerin Martha Siebert, die Kirchengemeinderäten empfiehlt, sich zu informieren, für den Fall, dass jemand den Schutz in Anspruch nehmen will. Laut Siebert werde es demnächst eine nichtöffentliche Informationsveranstaltung für Kirchengemeinderäte geben, die der evangelische Kirchenbezirk Marbach abhält.

 

Bespitzelt und aufgeflogen

Das Schicksal iranischer Muslime, die zum Christentum konvertiert sind, lässt Martha Siebert nicht kalt. „Ich kenne Menschen, die im Gefängnis gesessen haben, die bespitzelt wurden, aufflogen und in den Untergrund geflohen sind“, sagt sie und erzählt von iranischen Christen, die jetzt auch in der Oberstenfelder Kirchengemeinde mit einem abgelehnten Asylantrag leben. „Sie rechnen damit, dass sie als Christen gleich am Flughafen kassiert und möglicherweise umgebracht werden.“

Der Fall eines iranischen Christen, eines Fußballspielers, der Kirchenasyl in einer Gemeinde im nördlichen Landkreis Ludwigsburg erhalten hat, beschäftigt derzeit die Behörden, aber auch die kirchlichen Stellen bis hinauf zum Oberkirchenrat in Stuttgart. Über diesen Fall reden will niemand gern, denn die Beihilfe zu einem illegalen Aufenthalt ist de facto eine Straftat. „Die Behörden würden unter Druck geraten“, teilt ein Sprecher der württembergischen Landeskirche mit.

„Chaotische Lage“

Wegen dieser rechtlichen Konsequenzen erleben die Beteiligten den Umgang mit dem Fall als äußerst heikel. „Wir sind als Verein raus, es ist die private Sache von Spielern“, sagt zum Beispiel der Vorsitzende des Fußballclubs, in dem der Iraner mitgespielt hat. Auch wenn jetzt eine „chaotische Lage“ entstanden sei, schätze man den Menschen: „Er ist kein Überfußballer, aber ein netter Kerl, und er hat unsere Werte verstanden: Er war etwa bei Papiersammlungen dabei und hat auch sonst viel geholfen.“ Ähnlich äußert sich der Vorsitzende des Kirchengemeinderats: „Er ist bei uns getauft worden, er war bei uns in den Jugendgruppen aktiv, hat im Kirchenchor mitgesungen und kam in die Gottesdienste: „Wir konnten nicht einfach wegschauen.“ Erschwert wird der Fall dadurch, dass der junge Mann eigentlich schon abgeschoben war. Da er über Italien nach Deutschland eingereist war, wurde er nach Italien gebracht, kehrte aber illegal wieder zurück.

Flüchtlinge ist ausgeraubt worden

Laut dem Dublin-Abkommen müsste in Italien über seinen Asylantrag entschieden werden. Was dem Mann dort aber widerfuhr, ist unklar. „Er war auf der Straße und ist ausgeraubt worden“, hat der Kirchengemeinderatsvorsitzende erfahren, der zu verstehen gibt, dass sich durch die illegale Rückkehr des Mannes eine schwer zu lösende Situation ergeben habe. Ob sein Fall in Deutschland statt in Italien entschieden werden könne, sei offen.

Ein dauerhaftes Bleiberecht wird durch ein Kirchenasyl nicht zu erzwingen sein. Das läge auch gar nicht in der Absicht eines solchen Schrittes, betont Heinz-Werner Neudorfer, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Marbach. Er sieht den Sinn des Kirchenasyls darin, dass Zeit gewonnen wird, in Härtefällen noch einmal gewissenhaft alle Umstände zu prüfen. „Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dann entscheidet, muss das eine Kirchengemeinde letztlich akzeptieren.“

Aufseiten der Landeskirche befasst sich der Asylpfarrer Joachim Schlecht mit der komplexen Materie, die für viele Pfarrer bisher nur rein theoretischer Natur war, jetzt aber an Aktualität gewinnt. „Ich bekomme täglich Anrufe von Menschen, die Kirchenasyl für jemanden beantragen wollen.“ Die Kirche könne aber nur „besondere Härtefälle“ akzeptieren, bei denen Leib und Leben bedroht oder unzumutbare Härten zu ertragen seien. Das könnte etwa auf Frauen zutreffen, die aufgrund der Dublin-Abkommen nach Italien oder andere Länder abgeschoben werden sollen, aber dort zur Prostitution gezwungen werden könnten.

Für solche Schicksale gebe es im Rahmen der Asylverfahren eine Härtefallkommission, die aber nicht für innereuropäische Abschiebungen im Rahmen der Dublin-Gesetze zuständig sei. Hier beurteile allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Fälle. Dadurch ergebe sich eine Lücke, in der Kirchenasyl sinnvoll sein kann, wenn etwa ein Einzelfall noch einmal geprüft werden müsse. Inzwischen werde in Länder wie Griechenland oder Ungarn gar nicht mehr abgeschoben, „da dort Flüchtlinge in Gefängnisse eingesperrt werden oder unter unwürdigen Verhältnissen leben müssen“.

Transparenz gegenüber Behörden

Überhaupt sei es wichtig, gegenüber den staatlichen Behörden möglichst transparent zu agieren, teilt Schlecht mit. Es bringe nichts, abgelehnte Flüchtlinge zu verstecken. „Es gibt seit dem 19. Jahrhundert kein Recht auf Kirchenasyl mehr, es ist ein Akt der Barmherzigkeit und sollte nur in Ausnahmefällen angewendet werden“, sagt Joachim Schlecht. Auf dieser Basis akzeptiere der Staat die Kirche als Partner.

Würde ein Flüchtling untergebracht, darf er laut Schlecht die Kirche, das Gemeindehaus oder das Pfarrhaus nicht verlassen. Eine Kirchengemeinde übernehme eine hohe Verantwortung, wenn sie die Person mit Nahrung, Kleidung und medizinischen Leistungen versorge sowie im Behördenverkehr unterstütze. „Manche Kirchenasyle dauern nur drei Tage, andere länger als ein Jahr.“ Es sei die Ultima Ratio, wenn alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft seien.