Der Förderverein des Pferdehofs am Schlossberg in Kernen (Rems-Murr-Kreis) organisiert ein spezielles Angebot: Geflüchtete und sozial benachteiligte Kinder dürfen an drei Terminen striegeln, streicheln sowie reiten – und dabei vergessen, was sie schon alles erlebt haben.

Rems-Murr: Simone Käser (sk)

Je länger Artem Fesenko auf dem Pferd sitzt, desto breiter wird sein Grinsen und desto gewagter werden die Aktionen. Der Achtjährige traut sich, bunte Reifen einzusammeln, mit seinem Pferd um Hütchen zu laufen und sich hoch oben auf dem Pferderücken umzudrehen. Letzteres gefällt dem ukrainischen Jungen so gut, dass er sich direkt mal hinlegt und sein Pferd lachend umarmt. So glücklich war der Junge in letzter Zeit nicht immer. Hinter ihm liegen schwere und anstrengende Erlebnisse, denn seine Familie hat die Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine hautnah miterleben müssen. „Wir haben ständig die Raketen, Bomben und die Sirenen gehört. Das hat Artem große Angst gemacht. Es war schrecklich“, sagt Mama Yuliia Fesenko.

 

Mama Yuliia kann ihrem Sohn gelöst und glücklich beim Reiten zuschauen

Um so begeisterter steht die 37-Jährige beim Ferienangebot des Fördervereins Pferdehof am Schlossberg in der Reithalle und beobachtet mit Babybauch ihren Sohn ganz losgelöst beim Reiten. „Wir haben die Flucht gut überstanden. Der Anfang war schwer, aber in der Zwischenzeit haben wir uns gut eingelebt. Artem ist hier ein ganz anderer Junge, viel ruhiger und ausgeglichener als in der Ukraine“, sagt Yuliia Fesenko, die seit zwei Jahren in Deutschland ist und mit Mann und Kind in Rommelshausen wohnt.

Mehr kann sie nicht erzählen, weil sie Artem winken muss, der mittlerweile auf dem Pferderücken auf und ab hüpft, während sein Therapiepferd Heidi am Halfter geführt im flotten Trab Runden durch die Reithalle auf dem großen grünen Gelände der Diakonie Stetten dreht.

Bereits das dritte Jahr bietet der Förderverein das Ferienangebot nun an

Bereits das dritte Jahr bietet der Förderverein das Ferienangebot nun an. Und die Plätze sind immer schnell vergriffen. Manch einer kommt auch gerne zwei- oder dreimal, um eine Stunde Spaß mit den Pferden zu haben und alles andere zu vergessen. Für die sechs- bis sechzehnjährigen Teilnehmer sind die Reitstunden auf den Therapiepferden kostenlos, dafür sorgt der Förderverein, dessen Vorsitzender Martin Frädrich ist, der ebenfalls begeistert zuschaut.

An diesem sonnigen Morgen sind insgesamt acht Kinder zu dem Ferienangebot gekommen und werden von einem selbst gebastelten Plakat begrüßt. „Auch wenn wir nicht nur Kinder aus der Ukraine hier haben, wollte ich diese in ihrer Sprache willkommen heißen“, sagt Martin Frädrich. Er ist selbst Western-Reiter und kennt den idyllischen Pferdehof, auf dem die Welt ein bisschen heiler als anderswo zu sein scheint, schon viele Jahre. Im Ruhestand hat der Jurist den Vorsitz des Fördervereins für den Pferdehof am Schlossberg übernommen, damit das dortige Angebot erhalten bleibt. „Wir wollen den Kindern etwas Gutes tun und den Pferdehof unterstützen“, sagt er.

Insgesamt dreizehn Pferde gibt es auf dem Hof auf dem Diakoniegelände in Kernen-Stetten inzwischen. Die meisten sind bereits ausgebildete „Therapeuten“. Manche befinden sich noch in der Ausbildung. Die Reittherapie ist gerade bei den Klienten der Diakonie Stetten gefragt, insgesamt 70 Teilnehmer pro Woche sind am Start. Die Pferde und natürlich auch das reitpädagogisch geschulte Fachpersonal sind meistens ziemlich ausgebucht. Die moderne Reithalle verfügt sogar über einen Lift, der von der Decke baumelt und mit dem gehbehinderten Personen aus dem Rollstuhl und auf das Pferd geholfen werden kann.

Der Pferdehof der Remstal Werkstätten hat erst Ende Juli mit einem großen Hoffest sein 50-Jahr-Jubiläum gefeiert. „Es ist einfach großartig, dass es den Pferdehof der Diakonie Stetten seit vielen Jahren gibt und dort Menschen mit und ohne Behinderung im Einklang mit Natur und Tieren zusammenfinden. Ich weiß, was Pferde bewirken können“, sagt Martin Frädrich, der den Förderverein gemeinsam mit der stellvertretenden Vorsitzenden Christine Hildenbrand-Klenk und mit der Schatzmeisterin Isabelle Eulenstein führt. „Unser großes Anliegen ist es, dass therapeutisches Reiten für niemanden eine Frage des Geldbeutels sein muss“, sagt Martin Frädrich.

Als die Zerstörung näher rückt, muss die Familie nach Deutschland fliehen

Neben ihm stehen Hanna Maslovska und Volodymyr Maslovskyi, ebenfalls aus der Ukraine und mit ihren zwei Kindern Angelina und Kyrylo zu Besuch auf dem Pferdehof. Als die Zerstörungen und das Leid immer näher rückten, musste die vierköpfige Familie im vergangenen Jahr fliehen – drei Tage lang.

Als wäre nichts gewesen, springen die Achtjährige und ihr elfjährige Bruder nun in der Reithalle umher, probieren aus, wie man auf dem Pferd Ringe fängt, um bunte Hütchen reitet und naschen nebenher noch ein paar Gummibärchen. Die gab’s von Martin Frädrich, ein bisschen Stärkung bei all der Reiterei muss sein. Wer eine Pause braucht, kann außerhalb der Reithalle die Sonne genießen, einen Besuch bei den Kaninchen machen und Hofhund Alfred den weichen Kopf kraulen. „Es ist sehr schön hier und unsere Kinder waren schon mehrmals hier beim Reiten“, sagt Hanna Maslovska.

Mitbringen mussten die Besucher nur festes Schuhwerk und Lust aufs Reiten. Die Helme hatte Martin Frädrich organisiert. „Es geht ja darum, die zu unterstützen, die es selbst nicht können, da gehört auch die Ausstattung dazu“, sagt der Vorsitzende.

Mehr zum Förderverein Pferdehof am Schlossberg unter: www.fopsev.de

Hilfe
 Der Förderverein Pferdehof am Schlossberg unterstützt den Pferdehof der Diakonie Stetten finanziell und ideell. Im Mittelpunkt steht das therapeutische Reiten. Damit dies keine Frage des Geldbeutels ist, übernimmt der Förderverein für so viele Teilnehmer wie möglich einen angemessenen Teil der Kosten.

Angebot
 Der Förderverein übernimmt die individuellen Kursgebühren für reittherapeutische Maßnahmen ganz oder teilweise. Gefördert wird vom Steigbügel bis zum Bodenbelag alles, was der Reiterhof benötigt, damit die Arbeit auf hohem Niveau geleistet werden kann. Dazu gehört auch das Ferienreitangebot für Flüchtlingskinder und sozial benachteiligte Kinder. An insgesamt drei Terminen heißt es dann immer bereits seit drei Jahren: Pferde striegeln und streicheln, führen und vor allem natürlich reiten.