Die kühlen Temperaturen haben die Zahl der Flüchtlinge auf der sogenannten Balkanroute seit Anfang Dezember etwas abgesenkt. Doch der Strom in Richtung Mitteleuropa hält unvermindert an. Es ist auch die Angst vor Europas Abschottung, die viele Menschen sich mitten im Winter auf den Weg machen lässt.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Glitzernde Lichterketten künden auch im orthodoxen Serbien von nahenden Festtagsfreuden. Doch Neujahrs- oder Weihnachtsgefühle kommen bei den jungen Männern mit den Stoppelbärten, die sich in einer kleinen Zeltsiedlung unweit des Belgrader Busbahnhofs an Kaffee und Tee wärmen, keine auf. In Griechenland habe ihn die Polizei ausgeraubt und fünf Tage ins Gefängnis gesteckt, berichtet in dem von Freiwilligen und privaten Spendern getragenen Durchgangslagers „Miksaliste“ mit müdem Blick der Algerier Yakub. Danach sei er sechs Tage lang durch Mazedonien über die Eisenbahn-Schienen bis zur serbischen Grenze gelaufen. Er hoffe in Deutschland oder Polen einen Job und ein neues Leben zu finden, so der 24-Jährige. „Denn für uns Junge gibt es in meinem Land nichts, absolut nichts – egal, ob du studierst oder nicht.“ Hastig und hungrig löffelt Yakub eine Sardinenbüchse aus. „Ich bin froh um jede Hilfe, denn auf der Straße gibt dir sonst unterwegs niemand etwas, im Gegenteil“, sagt er. Länger habe er mit seiner beschwerlichen Reise nicht mehr warten wollen, antwortet der Student auf die Frage, warum er sich ausgerechnet im Winter auf den Weg gemacht habe. „Vielleicht wird sich bis zum Frühjahr alles ändern, vielleicht schließen sich für uns noch mehr Grenzen, und es wird noch schwerer, nach Europa zu kommen.“

 

Jeden Tag tausende Flüchtlinge

Von Feiertagspause kann bei dem seit Monaten anhaltenden Flüchtlingstreck auf der sogenannten Balkanroute keine Rede sein. 2131 eingereiste Flüchtlinge registrierte Sloweniens Polizei an Heiligabend, 3257 am ersten, 4274 am zweiten Weihnachtsfeiertag. Die kühleren Temperaturen haben die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute zwar etwas gesenkt, aber deren Drang in Richtung Mitteleuropa hielt im Dezember mit durchschnittlich etwas mehr als 3000 Flüchtlingen pro Tag unvermindert an. Es ist auch die Angst vor Europas Abschottung, die viele sich mitten im Winter auf den Weg machen lässt.

Erleichtert ziehen die Neuankömmlinge bei der Schuhausgabe im „Miksaliste“ sich neue Strümpfe und schwarze Winterstiefel über ihre von tagelangen Märschen durch bulgarische Wälder oder über mazedonische Schienen schwieligen Füße. Der Großteil der aus Mazedonien nach Serbien gelangenden Flüchtlinge fahre mittlerweile von Südserbien mit Bussen ohne Zwischenstopp in Belgrad direkt an die kroatische Grenze, berichtet der freiwillige Helfer Aleksandar. Nach Belgrad würden nun vor allem die von der Türkei über Bulgarien nach Serbien gelangten Grenzgänger gelangen, „vor allem Afghanen, Iraker, aber auch Somalier und Nigerianer“. Die Zahl der im „Miksaliste“ Hilfe suchenden Menschen sei seit Mitte Oktober mit 250 bis 300 pro Tag relativ stabil. „Mal kommen etwas mehr, mal etwas weniger. Aber alle wollen so schnell wie möglich nach Europa gelangen“, sagt der Helfer.

Der Exodus hält an

Ob neue Grenzzäune, vermehrte Patrouillen der türkischen Küstenpolizei oder Mazedoniens Einreiseverbot für alle Migranten, die nicht aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan kommen – die Hindernisse auf der Balkanroute haben sich für die Flüchtlinge vermehrt. Der Exodus der Menschen aus den Krisengebieten hält dennoch an. Es scheinen bislang eher die verschlechterten Wetterbedingungen zu etwas geringeren Flüchtlingszahlen zu führen.

Im Frühjahr sei wieder mit anziehenden Flüchtlingszahlen zu rechnen, prophezeit Rados Djurovic, Direktor des Belgrader Zentrums zum Schutz für Asylsuchende. „Die Leute erzählen uns, dass viele nur auf besseres Wetter für die Reise warten.“ Die türkische Küstenpolizei würde nun zwar merklich härter gegenüber den Flüchtlingen auftreten und vor allem tagsüber verstärkt kontrollieren. Doch die Schlepper hätten sich auf die neue Lage bereits eingestellt – und würden nun mit vermehrten Nachtpassagen, schnelleren Booten und höheren Tarifen operieren. Auch an der griechisch-mazedonischen und mazedonisch-serbischen Grenze seien wieder verstärkt die Schlepper aktiv. „Durch Serbien ziehen immer mehr Flüchtlinge, denen die Einreise wegen ihrer Herkunft nun eigentlich verboten ist“, sagt Rados Djurovic.