Viele Hilfsorganisationen verweigern die Unterschrift unter einen Verhaltenskodex der italienischen Regierung, der die Rettung von Menschen im Mittelmeer regeln sollte. Derweil gehen die Zahlen der Migranten plötzlich extrem zurück.

Rom - Mehr als 16 000 Menschen hat das Schiff von Ärzte ohne Grenzen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres aus dem Mittelmeer gerettet. Die Helfer der Nichtregierungsorganisation (NGO) sind damit an mehr als 35 Prozent der Rettungseinsätze zwischen der nordafrikanischen Küste und Italien beteiligt. Den Verhaltenskodex, den die italienische Regierung den NGOs am Montag zur Unterschrift vorlegte, hat Ärzte ohne Grenzen nicht unterschrieben. Die Operationen im Mittelmeer sollen dennoch weitergehen wie bisher, so Garbiele Eminente, Generaldirektor der italienischen Medici Senza Frontiere. Das italienische Innenministerium erklärte, dass NOGs, die den Kodex nicht unterschrieben, aus dem „Organisationssystem der Rettung auf Hoher See ausgeschlossen“ würden. Was genau das zu bedeuten hat, wurde bisher nicht näher erläutert.

 

Auch andere NGOs verweigerten ihre Unterschrift. Denn vor allem zwei der 13 Paragrafen rufen den Widerstand der Retter hervor. Zum einen wollen sie nicht, dass bewaffnete italienische Polizisten auf ihren Booten mitfahren, da „die Präsenz von Waffen an Bord strikt gegen die humanitären Prinzipien von Neutralität und Unabhängigkeit verstößt“, wie die Organisation SOS Mediterranee mitteilte. Außerdem kritisieren die NGOs, dass der Transfer von Geretteten von ihren Booten auf größere Schiffe erschwert werden soll. Derzeit werden die Menschen auf dem Meer an Schiffe der italienischen Küstenwache oder Handelsschiffe übergeben, die diese nach Italien bringen. Der Kodex sieht vor, dass die NGOs die geretteten Menschen selbst in die Häfen bringen, was für die Organisationen einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand bedeuten würde. „Das würde die Schiffe vor Ort reduzieren, die für die Rettung benötigt werden und die Rettungen verzögern“, so Eminente. Und das „wo jede Minute den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten kann“.

Nur drei NGOs unterschreiben den Kodex

Nur drei NGOs, Save the Children, MOAS und Proactiva Open Arms haben den Kodex bisher unterschrieben. Die Diskussion um das Regelwerk heizt die Stimmung in Italien weiter an: Seit Monaten kursieren Gerüchte, die NGOs würden mit Schleppern zusammenarbeiten und so die Migration nach Italien noch befördern. Beweise für diesen Verdacht konnten bisher nicht vorgelegt werden. Matteo Salvini, der Chef der rechten Lega Nord, forderte am Dienstag, „die Boote der Schlepper zu versenken und die Schiffe der NGOs zu beschlagnahmen, die sich weigern, Polizei und Kontrollen an Bord zuzulassen“.

Salvini verknüpfte dies mit der aktuellen Diskussion um einen Einsatz der italienischen Marine in libyschen Gewässern. Der Vorsitzender der libyschen Einheitsregierung in Tripolis, Fajiz al Sarradsch, hatte kürzlich bei der italienischen Regierung per Brief um Unterstützung im Kampf gegen die Menschenhändler gebeten. Nachdem eine italienische Zeitung ein angeblich geplantes Szenario mit mehreren Marineschiffen und bis zu 1000 Soldaten prophezeite, ruderte die libysche Regierung jedoch zurück und dementierte, einen Einsatz der Marine angefordert zu haben. Der libysche Außenminister stellte später klar, es habe eine Anfrage gegeben, die sich auf „logistische, technische und operative Unterstützung der libyschen Küstenwache“ beziehe. Nicht mehr. Der italienische Premierminister Paolo Gentiloni rief daraufhin die Medien dazu auf, dabei zu helfen, „die Initiative so darzustellen, wie sie ist“. Laut der Nachrichtenagentur „Agenzia Nova“ soll es sich um ein Patrouillenboot der italienischen Marine handeln, außerdem sollen Fachleute auf libyschem Boden der Küstenwache helfen, deren Einheit herzustellen.

Experten wundern sich derweil über den starken Rückgang der Ankünfte der Migranten. Vor wenigen Wochen überstieg ihre Zahl noch bis zu 40 Prozent der Ankünfte im Vergleich zum selben Zeitraum 2016. Im Juli allerdings ging die Zahl plötzlich extrem zurück: 10 781 Migranten erreichten in dem Monat nach Angaben des italienischen Innenministeriums Italien, im Juli 2016 waren es 23 552. Damit ist die Gesamtzahl der Ankömmlinge in diesem Jahr auf 94 800 gestiegen, 2016 waren es um diese Zeit etwa gleich viele. Die Frage ist nun: Ist der Rückgang Zufall, dem Wetter geschuldet oder eine Taktik der Schleuser in der aktuellen politischen Debatte?