Macht die Türkei ihre Drohung wahr, den Flüchtlingspakt aufzukündigen? Nach den Drohungen aus Ankara befürchtet Griechenland, dass es eine neue Flüchtlingswelle aus der Türkei geben wird.

Athen - Die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die aus der Türkei über die Ägäis zu den griechischen Inseln kommen, steigt seit Ende vergangener Woche stark an – wegen des milden Frühlingswetters? Oder macht die Türkei ihre Drohung wahr, den Flüchtlingspakt aufzukündigen? Von Freitagmorgen bis Montagmorgen kamen 443 Schutzsuchende über die Ägäis zu den griechischen Inseln Lesbos, Chios und Samos, so der Flüchtlingskrisenstab in Athen. Damit hat sich die Zahl der Ankömmlinge gegenüber den ersten März-Wochen verdreifacht: Kamen bisher im Schnitt 35 Menschen pro Tag, waren es seit dem vergangenen Donnerstag mehr als 100 täglich. Experten der griechischen Küstenwache und Fachleute des Ministeriums für Migrationspolitik in Athen suchen nach einer Erklärung für den unerwarteten Anstieg. Ein Grund könnte das ruhige Wetter sein. In der nordöstlichen Ägäis war es am Montag bei fast wolkenlosem Himmel 17 Grad Celsius warm, es wehte ein leichter Südwind.

 

2016 hatte Ankara die Kontrollen an der Küste verschärft

In Griechenland wächst aber die Sorge, dass die türkischen Behörden den Schleusern jetzt wieder freiere Hand lassen. Die Regierung in Ankara hatte im Streit über die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in der EU während der vergangenen Tage mehrfach gedroht, das vor einem Jahr geschlossene Flüchtlingsabkommen aufzukündigen. In dem Vertrag verpflichtete sich die Türkei, illegal nach Griechenland eingereiste Flüchtlinge und Migranten zurückzunehmen. Vergangene Woche hatte bereits Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Vereinbarung infrage gestellt: „Was für ein Rückführungsabkommen? Das könnt Ihr vergessen!“ Seit dem Inkrafttreten des Abkommens wurden allerdings ohnehin nur rund 900 Menschen aus Griechenland in die Türkei zurückgebracht. Viel brisanter wäre es, wenn die Türkei jetzt die Schleusen öffnete. 2016 hatten die türkischen Behörden die Kontrollen an der Küste verschärft. Nach Angaben der türkischen Küstenwache wurden im vergangenen Jahr 37 130 Flüchtlinge in türkischen Gewässern aufgegriffen und an der Überfahrt gehindert. Zum Vergleich: Seit Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens kamen 27 711 Menschen nach Griechenland. Vergangene Woche drohte jedoch der türkische Innenminister Süleyman Soylu der EU: „Wenn ihr wollt, schicken wir euch jeden Monat 15 000 Flüchtlinge, das wird euch umhauen!“

Auf den griechischen Inseln entspannt sich die Situation in den Flüchtlingslagern in den vergangenen Wochen etwas, nachdem Menschen aufs Festland umgesiedelt worden waren. Jetzt wird es durch die Neuankömmlinge wieder enger in den Camps. Den größten Andrang verzeichnete die Insel Chios mit 341 Ankünften seit Donnerstag. „Wir hätten nicht einmal 50 zusätzliche Schutzsuchende verkraften können“, sagte der Bürgermeister der Insel, Manolis Vournous, der griechischen Zeitung „Ethnos“. Weil die Lager belegt sind, müssen die neu ankommenden Menschen provisorisch in Zelten untergebracht werden.