Die Wunschliste der Wirtschaft des Landes vor dem Flüchtlingsgipfel ist lang. Ziel ist die rasche Integration junger Asylbewerber. Doch mancher Punkt ist heikel.
Stuttgart - Die Arbeitgeberverbände haben etwas Zeit benötigt, um sich zu sortieren. Nun wollen sie der Bundesregierung zum Flüchtlingsgipfel am 24. September ihre Wunschliste präsentieren, um die drängendsten Probleme mit Asylbewerbern und Arbeitsmigranten zu bewältigen. Die (sprachliche) Qualifizierung soll beschleunigt, Ausbildungshürden sollen beseitigt werden. Für etliche Positionen muss die Wirtschaft noch hart kämpfen.
Spurwechsel
Bewerbern im Asylverfahren sowie Geduldeten, deren Antrag abgelehnt wurde, soll ein „Spurwechsel“ ermöglicht werden. Wenn er gefragte berufliche Fähigkeiten mitbringt und benötigt wird, soll er von Deutschland aus – und nicht wie bisher nur aus dem Ausland – eine Aufenthaltsgenehmigung als Arbeitsmigrant beantragen dürfen. Die Realisierungschancen dieser „Kardinalforderung“ seien unsicher, sagt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber Baden-Württemberg. Bleiberecht
Jugendliche Asylbewerber sollen trotz eines abgelehnten Asylantrags, aber nach erfolgreicher Ausbildung, für mindestens zwei Jahre eine Arbeitserlaubnis erhalten, fordert die Wirtschaft. Die momentane Begrenzung auf ein Startalter unter 21 Jahren solle beseitigt werden, weil in der Praxis auch junge Leute, die älter als 21 sind, eine Ausbildung beginnen würden. Im Fall einer Übernahme soll das Bleiberecht auch nach der Ausbildung gelten. Und wenn sie nicht übernommen werden, sollen sie ein Jahr lang die Chance zur Arbeitsplatzsuche erhalten. Vorrangprüfung
Ein Hindernis bei der Arbeitsaufnahme ist die Vorrangprüfung. Demnach checkt die Agentur für Arbeit, ob die vom Asylbewerber ins Auge gefasste Stelle von einem geeigneten Kandidaten mit deutschem oder EU-Pass besetzt werden kann – Ausnahmen gibt es nur bei Hochschulabsolventen und in Mangelberufen. Bisher entfällt die Prüfung nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland. Die Arbeitgeber fordern für Asylsuchende mit hoher Bleibeperspektive einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang ohne Vorrangprüfung schon nach sechs Monaten. Die Chancen stünden gut, meint Dick.Zeitarbeit
Bereits beschlossen hat die Koalition, das Zeitarbeitsverbot für Asylsuchende und geduldete Personen nach drei Monaten zu kippen. Die Arbeitgeber begrüßen dies. Sie halten aber eine vollständige Abschaffung des Verbots, das für alle Drittstaatenangehörigen gilt, für besser. Bundesagentur
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bietet diverse Hilfsmaßnahmen, die nach den Verwaltungsvorschriften für Asylbewerber nicht zugänglich sind. Nun plant die Regierung für geduldete Personen, den Zugang zu ausbildungsfördernden Leistungen nach 15 Monaten Aufenthalt zu ermöglichen. Aus Arbeitgebersicht sollte dies früher und umfassender geschehen. Ferner gewährt die BA Zuschüsse zu berufsqualifizierendem Deutschunterricht – ein allgemeiner Deutschunterricht mit BA-Mitteln ist derzeit unüblich, solange die Asylverfahren nicht abgeschlossen sind. Da wünschen die Arbeitgeber eine Lockerung, um die Ankömmlinge schneller an den Start zu bringen. Ob in Schule, Ausbildung oder Arbeit: Die Flüchtlinge müssten sofort beschäftigt werden, sagt Hauptgeschäftsführer Dick. Mindestlohn
„Die Arbeitgeber Baden-Württemberg treten nicht mit der Forderung an, beim gesetzlichen Mindestlohn für Asylbewerber eine Ausnahme zu erwirken“, sagt Peer-Michael Dick. Doch zeige die aktuelle Krise, wie problematisch der Mindestlohn in bestimmten Situationen sei. Praktika zum Beispiel seien sinnvoll zur Erprobung neuer Kräfte. Warum solle es nicht möglich sein, einen Syrer mit angeblicher Facharbeiterausbildung für sechs Monate unterhalb der 8,50 Euro pro Stunde zu beschäftigen? Schließlich lasse sich der Arbeitgeber dabei auf ein „Abenteuer“ ein. „An der Gesetzeslage kann man nichts mehr ändern“, sagt Dick. „Aber wir fragen, ob das unbedingt so sein muss.“ An dieser Stelle könnte eine Ausnahme sinnvoll sein. Kostenübernahme
Ein Asylberechtigter, der sich verpflichtet hat, für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufzukommen, wird bisher vom Jobcenter unter Umständen regresspflichtig gemacht, wenn die Angehörigen finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen. Speziell für Syrer, deren Anerkennung als Asylbewerber sehr wahrscheinlich ist, schlagen die Arbeitgeber eine Erleichterung vor. Demnach soll der Staat die Kosten übernehmen, um den Nachzug enger Familienangehörigen aus den Kriegsgebiet zu ermöglichen. Mit einem positiven Asylbescheid sollen die Regressansprüche der Jobcenter gelöscht werden, um unangemessene Härten zu vermeiden. „Das ist ein sehr schwieriger Punkt“, sagt Peer-Michael Dick. Einerseits will man den Angehörigen illegale Fluchtwege ersparen – andererseits soll er nicht gleich mit Schulden von einigen tausend Euro überhäuft werden. Es würde die soziale Lage sehr belasten, wenn man auf der Regressforderung bestünde.