Die Maghreb-Länder Algerien, Marokko und Tunesien sind keine Musterdemokratien. Dennoch soll Flüchtlingen von dort Asyl künftig in der Regel versagt bleiben. Menschenrechtsorganisationen schüren Zweifel an diesem Vorhaben.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es gibt 194 Staaten auf der Welt. 36 von ihnen gelten für deutsche Asylbehörden als „sicherer Herkunftsstaat“. Wer von dort kommt, hat in der Regel keine Aussicht auf Asyl. Die Liste soll bald verlängert werden, wenn es nach der CDU geht. Sie will neben den Balkanstaaten auch die nordafrikanischen Länder Algerien, Marokko und Tunesien so klassifizieren – weil neuerdings immer mehr Flüchtlinge von dort einreisen. Im Dezember vergangenen Jahres waren es schon mehr als 5000. Noch ist allerdings unklar, ob die Deklaration als sichere Herkunftsstaaten so einfach möglich ist. Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen wecken Zweifel an diesem Vorhaben.

 

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat offenbar keine grundsätzlichen Bedenken. „Ich bin dafür offen, wie ich es immer war“, sagt er am Dienstag in Stuttgart. Für die Grünen ist das ein schwieriges Thema. Kretschmann hatte im Bundesrat zweimal der Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten zugestimmt, als es um den Balkan ging, und deswegen teils heftige Kritik aus der eigenen Partei geerntet.

Union und SPD sind in der Länderkammer auf die Stimmen mindestens eines Bundeslandes angewiesen, in dem die Grünen an der Regierung beteiligt sind. Für den Grünen-Politiker Volker Beck wäre es der „Gipfel der Paradoxie“, die Maghreb-Staaten für sicher zu erklären. Die Regierung „verspielt die menschenrechtliche Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik“ so warnt er.

Berichte über Misshandlungen

Was ein sicherer Herkunftsstaat ist, regelt die sogenannte Asylverfahrens-Richtlinie der Europäischen Union. In dem Papier mit dem Aktenzeichen 2013/32/EU heißt es, dass in solchen Ländern „generell und durchgängig weder eine Verfolgung noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt“ zu befürchten sein dürften.

Die realen Verhältnisse im Maghreb sehen freilich anders aus. Das bewertet sogar das Auswärtige Amt so. In Algerien hätten Menschenrechtsverletzungen zwar abgenommen, „bestehen jedoch fort“, heißt es in den offiziellen Länderinformationen des  Ministeriums. Amnesty International schreibt in seinem Algerien-Report 2015, die Behörden in dem nordafrikanischen Staat „schikanierten Menschenrechtsverteidiger“.

Zudem würden „Migranten diskriminiert, misshandelt und willkürlich ausgewiesen“. Aus Marokko gebe es „Berichte über Folter und andere Misshandlungen“. Oppositionelle, Demonstranten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten würden „häufig festgenommen, gefoltert oder anderweitig misshandelt“. Im vergangenen Jahr wurden 173 Fälle von Folter dokumentiert. Amnesty beklagt: „Indem sie zulassen, dass Folter und andere Misshandlungen straffrei bleiben, verstoßen die marokkanischen Behörden gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen.“

Auch aus dem Nachbarland Tunesien werden „Berichte über Folter von Gefangenen in Polizeigewahrsam“ verzeichnet. Wenn Deutschland diese drei Länder in die Liste der sicherer Herkunftsstaaten aufnehmen würde, so warnt die Hilfsorganisation Pro Asyl, würde die Bundesregierung ihnen „einen Persilschein ausstellen“, obschon „grundlegende Menschenrechte verletzt“ würden. Fazit der Kritik: „Für die dortigen demokratischen Oppositionskräfte wäre dies ein Schlag ins Gesicht.“

Keine absolute Garantie für die Sicherheit

Wenn ein Land als sicheres Herkunftsland klassifiziert werde, könne dies „keine absolute Garantie für die Sicherheit von Staatsangehörigen dieses Landes bieten“, heißt es in der Asylverfahrens-Richtlinie der EU. Asylanträge von Flüchtlingen aus solchen Ländern seien „als offensichtlich unbegründet abzulehnen“, so steht es in Artikel 29a des deutschen Asylgesetzes. Eine Ausnahme ist nur vorgesehen, wenn „die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel die Annahme begründen, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht“. Die Beweislast liegt bei den Betroffenen.

Bisher hat nur ein einziger EU-Staat eines der Maghreb-Länder, nämlich Algerien, als sicheren Herkunftsstaat eingestuft. Das ist Bulgarien. Österreich hat zum Beispiel insgesamt 40 sichere Herkunftsstaaten anerkannt. Afrikanische Staaten sind nicht darunter. Frankreich verfügt traditionell über enge Beziehungen zu Maghreb-Ländern, rechnet diese aber nicht zu den sicheren Herkunftsstaaten. Für die britische Asylbürokratie gibt es mehr als 50 sichere Herkunftsstaaten, darunter etliche in Afrika, aber keine im Maghreb.