Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise führt die Bundesregierung vorübergehend Grenzkontrollen ein. Es ist ein klares Signal an die Flüchtlinge - und in Richtung Europa.

Berlin - Harter Schwenk in der deutschen Flüchtlingspolitik: Als Reaktion auf den Andrang Zehntausender Flüchtlinge hat Deutschland wieder Grenzkontrollen eingeführt. Schwerpunkt ist zunächst die Grenze zu Österreich. Zudem unterbrach die Deutsche Bahn den aus Österreich kommenden Zugverkehr bis zu diesem Montagmorgen.

 

Die Zuwanderung hatte am Wochenende noch einmal stark zugenommen. Viele Länder sehen die Belastungsgrenze erreicht. Allein nach München kamen am Samstag und Sonntag mindestens 16.500 Menschen. An diesem Montag wollen die EU-Staaten einen Plan zur Verteilung von 120.000 Flüchtlingen beraten. Einen Tag später will Ungarn die Grenze zu Serbien praktisch dicht machen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) begründete die Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu Österreich mit dem Ziel, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen und wieder zu einem geordneten Verfahren bei der Einreise zu kommen. „Das ist auch aus Sicherheitsgründen dringend erforderlich“, sagte er am Sonntagabend in Berlin. Dieser Schritt „wird nicht alle Probleme lösen, das wissen wir“, betonte er. „Aber wir brauchen einfach etwas mehr Zeit und ein gewisses Maß an Ordnung an unseren Grenzen.“

Die Kontrollen sollen nach Ministeriumsangaben an den früheren Grenzübergängen stattfinden. Die Bundespolizei werde „in vierstelliger Größenordnung“ an den Grenzen eingesetzt, ein Einsatz der Bundeswehr dort sei nicht geplant. Die Bundespolizei kündigte intensive Kontrollen über einen längeren Zeitraum an. Laut „Bild“ schickt der Bund 21 Hundertschaften seiner Bereitschaftspolizei nach Bayern, die bei der Grenzsicherung helfen sollen.

Seehofer bezeichnete Entscheidung als dringend notwendig

CSU-Chef Horst Seehofer bezeichnete die Entscheidung als dringend notwendig. „Es ist ein ganz wichtiges Signal an die ganz Welt und auch nach innen, in die Bundesrepublik Deutschland“, sagte der bayerische Ministerpräsident in München. Die Maßnahme sei auf Wunsch Bayerns in einem Telefonat zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chef Sigmar Gabriel und ihm vereinbart worden, unter Hinzuziehung des Außen- und des Innenministers. „Das war eine bayerische Initiative“, betonte Seehofer.

Die Bundesbehörden wiesen die Deutsche Bahn wegen des Flüchtlingsandrangs an, für zwölf Stunden keine Züge mehr von Österreich nach Deutschland fahren zu lassen. Der Bahnverkehr aus dem Nachbarland ist bis Montagmorgen um 6.00 Uhr eingestellt. In der Gegenrichtung fahren jedoch weiterhin Züge, wie eine Bahnsprecherin sagte. Sie korrigierte damit vorherige Angaben, wonach der Zugverkehr in beide Richtungen unterbrochen sei.

De Maizière bat um Verständnis dafür, dass es zu Einschränkungen im Reiseverkehr kommen könne. Zuvor war erstmals ein regulärer ICE der Deutschen Bahn für Flüchtlinge geräumt worden. Die Passagiere dieses Zuges von München nach Berlin mussten auf andere Züge umbuchen.

De Maizière betonte, die Hilfsbereitschaft dürfe nicht überstrapaziert werden. Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen sei auch ein Signal an Europa. Deutschland stelle sich seiner humanitären Verantwortung. Die Lasten müssten aber solidarisch verteilt werden, sagte er. Die EU-Kommission hatte zunächst keine Einwände gegen die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Deutschland.

Orban begüßt den Schritt Berlins

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban begrüßte den Schritt Berlins. „Wir haben großes Verständnis für Deutschlands Entscheidung und erklären unsere volle Solidarität“, sagte der rechtskonservative Ministerpräsident der „Bild“-Zeitung (Montag).

Ungarn wird am Dienstag seine Flüchtlingspolitik drastisch verschärfen und die Grenze praktisch schließen. Dann tritt eine Regelung im Strafgesetzbuch in Kraft, wonach illegaler Grenzübertritt als Straftat gilt, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Das dürfte das Chaos im Grenzgebiet vergrößern und die Flüchtlinge dazu bringen, sich alternative Routen zu suchen.

Vor gut einer Woche hatte die Bundesregierung angesichts der dramatischen Lage in Ungarn in Absprache mit der Regierung in Österreich beschlossen, Flüchtlinge aus Ungarn unbürokratisch und unregistriert einreisen zu lassen. Seither hatte die Zuwanderung noch einmal stark zugenommen. Allein die Stadt München hat seit Ende August 63 000 Flüchtlinge empfangen und versorgt. Das entspricht der Bevölkerung einer Kleinstadt. Und über die Balkanroute drängen immer mehr Flüchtlinge nach Westeuropa.

Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmte sich am Sonntagabend mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande über das weitere Vorgehen in der Flüchtlingskrise ab. Wie eine Regierungssprecherin in Berlin mitteilte, kamen beide überein, das Sondertreffen der EU-Innen- und Justizminister gemeinsam vorzubereiten. Die Ressortchefs beraten an diesem Montag in Brüssel über die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen. Das Vorhaben einer festen Verteilungsquote ist unter den Staaten umstritten.

Derweil haben die Regierungschefs von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, Malu Dreyer und Torsten Albig, eine Sonderkonferenz der Ministerpräsidenten zur Flüchtlingssituation gefordert.