Unter den 298 Toten von Flug MH17 war auch der niederländische Mediziner Joep Lange. Er und rund 100 weitere Personen waren auf dem Weg zum Welt-Aids-Kongress in Kuala Lumpur. Lange galt als einer der herausragendsten Wissenschaftfler auf dem Gebiet der Aidsforschung.

Amsterdam - Manchmal ereignet sich ein Unglück, so dramatisch, dass es unvorstellbar scheint, es könnte sich wiederholen. Im Jahr 1998 saß der Forscher Jonathan Mann in einer Swiss-Air-Maschine, Flug 111. Er galt weltweit als Schlüsselfigur im Kampf gegen HIV. Mann war auf dem Weg zum Welt-Aids-Kongress nach Genf, als die Maschine wegen eines Kabelbrandes abstürzte. Mann starb, ebenso seine Frau, die neben ihm saß.

 

Sechzehn Jahre später ereignet sich etwas, das der Wissenschaftsszene nun wie ein böses Déjà-vu erscheinen mag. Wieder stürzt ein Flugzeug auf dem Weg zum Welt-Aids-Kongress ab, der diesmal in Melbourne stattfindet. Die Absturzursachen sind andere. Mit an Bord ist aber wieder ein herausragender Aidsforscher: Joep Lange, Medizinprofessor an der Universität Amsterdam, stirbt beim Absturz der Maschine. „Er war einer unserer herausragendsten europäischen Wissenschaftler, der früh erkannt hat, dass es sich bei Aids um eine Viruserkrankung handelt“, sagt der Münchner Internist und HIV-Experte Hans Jäger.

Ein ganz großer Kämpfer für Gerechtigkeit

In den vergangenen Jahrzehnten hat er den Niederländer Joep Lange sehr oft auf Aidskongressen rund um den Globus erlebt; er kannte ihn gut. „Er war ein ganz großer Kämpfer für Gerechtigkeit – und er war kein stiller Kämpfer“, sagt Jäger. Medikamente sollten allen zugänglich gemacht werden, so Langes Kredo – vor allem den Betroffenen in den Ländern der Dritten Welt. Damit hielt er am Leben, was auch Jonathan Mann immer gefordert hatte. Auch wenn es unbequem wurde für Lange, sei er stets seiner Linie treu geblieben. Ein „geht nicht“ habe der empathische Niederländer nicht akzeptiert. „Er hat immer nach Lösungen gesucht. Die Lücke, die er nun hinterlässt, ist nicht zu schließen“, sagt Jäger.

Der 1954 in Nieuwenhagen geborene Lange wird weltweit betrauert. Seit 1983 widmete er sich der Suche nach Therapien der Immunschwächekrankheit Aids. Sein Name ist verknüpft mit der Bekämpfung des Virus und seiner Übertragung zwischen Mutter und Kind. Von 1992 bis 1995 leitete er ein Forschungsprogramm der Weltgesundheitsorganisation, von 2002 bis 2004 war er Präsident der Internationalen Aids-Gesellschaft. 2001 gründete er dann die Stiftung Pharmaccess, die sich eine Gesundheitsversorgung auf hohem Qualitätsniveau für das Afrika südlich der Sahara auf die Fahnen geschrieben hat. Der Weg dahin führt für Lange über die uneingeschränkte Kooperation auch mit Unternehmen. 2002 sagte er salopp auf der Welt-Aids-Konferenz in Barcelona: „Wenn wir kalte Coca-Cola und Bier in die entlegensten Regionen Afrikas bringen können, sollte es nicht unmöglich sein, dasselbe mit Medikamenten zu tun.“

Ein Mann der klaren Worte

Das war wörtlich gemeint. So lobte er 2002 in einem Interview mit einem niederländischen Internetportal die Brauerei Heineken für die Gesundheitsversorgung ihrer Angestellten und deren Familien in Afrika. Mit Coca-Cola und Shell war er damals über ähnliche Initiativen im Gespräch. Auf solchen Wegen und über Nichtregierungsorganisationen kämen Medikamente viel schneller bei den Menschen an als über Regierungen, sagte er in dem Interview und fügte zwei Sätze an, mit denen er sich Kritik einhandelte: „Afrikanische Regierungen sind inkompetent oder korrupt. Die Hälfte des Geldes fließt zurück in die Schweiz.“

Den Mann der klaren Worte wird die Aidsforschung schmerzlich vermissen. „Das ist ein massiver Verlust. Wir sind am Boden zerstört“, schreibt der Direktor von Pharmaccess, Onno Schellekens. Seine Rolle in der internationalen Gemeinschaft für Weltgesundheit sei „unschätzbar“ gewesen. Bestürzt zeigt sich die Universität Amsterdam, an der er das Institut für Globale Gesundheit und Entwicklung geleitet hat. „Joep war ein Mann, der keine Barrieren kannte. Er war ein großer Inspirator für alle, die etwas gegen die Aidstragödie in Afrika und Asien unternehmen wollten“, sagt der Dekan Marcel Levi. Der australische Forscher David Cooper hat 30 Jahre mit Lange zusammengearbeitet: „Joep hatte sich uneingeschränkt der Entwicklung erschwinglicher HIV-Therapien gewidmet, besonders Kombinationstherapien für die Anwendung in ressourcenschwachen Ländern.“

Am Donnerstag saß der fünffache Vater gemeinsam mit rund 100 weiteren Konferenzteilnehmern im Flug MH17 nach Kuala Lumpur, wo er nach Melbourne umsteigen wollte. 12 000 Wissenschaftler treffen sich dort von Sonntag an zum 20. Welt-Aids-Kongress. Sie haben beschlossen zu tagen, trotz der Tragödie. Unter den Toten ist auch Jacqueline van Tongeren. Sie war die Kommunikationschefin an Langes Institut. Vermutlich saß sie neben ihm. Van Tongeren war seine Lebenspartnerin.