Flugausfälle, Chaos und Warteschlangen So vermeidet man Stress im Urlaub

Ob mit dem Flieger, dem Auto oder der Bahn – dieses Jahr sind beim Verreisen starke Nerven gefordert. Foto: Unsplash/Jeshoots

Reisen bedeutet in diesem Jahr vor allem Chaos und Stress. Wir haben mit der Stuttgarter Psychologin Anke Kaupp über das Urlaubschaos gesprochen und wie wir damit umgehen können.

Ausfälle und Verspätungen bei der Bahn, Chaos an den Gates, Annullierungen, verschollene Koffer und lange Warteschlangen an den Flughäfen: Wer in diesem Jahr in den Urlaub will, braucht vor allem eines: starke Nerven. Im Interview spricht die Stuttgarter Psychologin Anke Kaupp über unseren Umgang mit Urlaubsstress und gibt Tipps, wie wir trotzdem entspannt verreisen können.

 

Frau Kaupp, bedeutet Urlaub in diesem Jahr Stress pur?

Offensichtlich bedeutet Urlaub dieses Jahr mehr Stress als sonst. Ich habe letztens gelesen, dass Reisen immer schon sehr anstrengend gewesen sei und wir froh sein sollen, dass wir nicht mehr mit der Postkutsche unterwegs sind. Da ist was Wahres dran. Wir sind es gewöhnt, in unter vier Stunden von zu Hause mit dem Flieger in der Ferienwohnung auf Mallorca anzukommen. Das ist – für die meisten jedenfalls – dieses Jahr anders. Reisen wird in diesem Jahr für viele sehr anstrengend werden.

Warum stressen uns annullierte Flüge, verspätete Züge und endlose Staus so sehr?

Wir haben eine Erwartung: pünktliche Züge, in denen die Klimaanlage funktioniert, Autobahnen ohne Staus oder Flieger, die dann auch fliegen und dass das Gepäck mit uns am Urlaubsort ankommt. Diese Erwartungen erfüllen sich dieses Jahr wohl eher nicht. Da gibt es riesige Schlangen am Bahnhof und Flughafen und auf der Autobahn geht nichts mehr. Es ist schwierig für uns, wenn sich Erwartungen nicht erfüllen. Das hat dann was mit Gefühlsmanagement zu tun, wir dürfen uns also in Geduld und dem Umgang mit Frustration üben.

Dazu kommt, dass große Menschenansammlungen auch nicht dazu beitragen, dass wir entspannt am Flughafen warten. Und auch die Unsicherheit, ob der Flieger überhaupt geht oder ob bei der Bahnfahrt das gebuchte Abteil überhaupt vorhanden ist, bleibt momentan bis zuletzt. Ja, Reisen ist für uns dieses Jahr wie eine Geduldsprobe. Ein Abenteuer, bei dem schlichtweg alles passieren kann. Aber nicht jeder Mensch will einen Abenteuerurlaub!

Gehört ein bisschen Stress nicht zu jedem Urlaub dazu – und ab wann ist es eindeutig zu viel?

Ein bisschen Stress ist immer gut, wir bleiben wachsam und wach. Und schließlich bedeutet Reisen ja auch, dass wir irgendwo anders hingehen. Je weiter weg, desto anders funktioniert dort, wo wir ankommen, der Alltag. Fremde Sprache, fremde Kultur, anderes Essen. Da ist von uns Anpassungsleistung gefordert. Wo das „zu viel“ ist, ist bei jedem anders.

Woran liegt das?

Das hat etwas mit unserer Komfortzone zu tun, wie groß diese ist und wie gerne wir diese verlassen. Da birgt Indien wahrscheinlich etwas mehr Herausforderungen als der Schwarzwald. Dieses Jahr ist viel Flexibilität gefordert, Geduld „sich drauf einzulassen“ – auf ungewohnte und auch ungeliebte Umstände, um zunächst mal an sein Ziel zu kommen. Und natürlich auch wieder nach Hause. Es braucht sehr viel Frustrationstoleranz, wenn man sonntagmorgens um 8 Uhr eine SMS von der Fluglinie bekommt, dass der Flieger für 11 Uhr annulliert wurde und der nächste Rückflug erst am Mittwoch möglich sei.

Warum ist Urlaub trotzdem wichtig?

Urlaub ist für uns wichtig, weil wir diesen zum Abschalten und Entspannen nutzen oder Zeit mit dem Partner oder der Partnerin, mit der Familie oder mit der Natur verbringen können. Ohne an den Job zu denken und ohne Druck, noch Aufgaben erledigen zu müssen. Wir brauchen diese Zeit, um wieder aufzutanken und Stress zu reduzieren. Natürlich funktioniert das auch zu Hause, im Freibad oder auf dem eigenen Balkon! Irgendwo hinzureisen bedeutet immer auch, dass das mit mehr Stress verbunden ist. Aber wir lernen dann eben auch ein anderes Umfeld kennen.

Welche Tipps haben Sie, damit man – trotz der Umstände – in diesem Jahr stressfrei verreisen kann?

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es für alle dieses Jahr stressfrei sein kann. Aber es gibt ein paar konkrete Dinge, die ich in meinem Denken und Verhalten ändern kann – dann wird das Reisen so stressfrei wie es nur geht.

Planen Sie sehr viel mehr Zeit ein als Sie es sonst tun würden. Zu dem gesamten Personalmangel und Missmanagement kommen nun mancherorts Streiks hinzu. Da ist Geduld gefragt. Sei es, weil der Flieger nicht geht oder vor dem Gotthard-Tunnel vier Stunden Wartezeit vorhergesagt werden. Ich denke, es ist nicht verkehrt, sich vorab zu überlegen, ob es für mich einen Plan B gibt. Wenn dann der Fall der Fälle eintritt, zum Beispiel der Flieger nicht fliegt, bringt es genau gar nichts, sich aufzuregen. Der Flieger wird – egal wie sehr Sie in die Luft gehen – nicht fliegen.

Nutzen Sie dann möglichst die Infoschalter der Fluglinien vor Ort oder noch besser: finden Sie eine digitale Lösung. Ich habe von Urlaubern gehört, die sechs Stunden in Warteschleifen verbracht haben. Das funktioniert nicht. Auch beim Reisen mit der Bahn sollten Sie viel Zeit einplanen. Reisen Sie nie ohne Getränke und Essen. In den letzten drei Zügen, die ich für Langstrecken benutzt habe, gab es keine geöffneten Bordrestaurants. Aber dafür nicht funktionierende Klimaanlagen und lange Verspätungen. Wenn Sie mit dem Auto reisen, reisen Sie nachts oder informieren Sie sich vorab über Alternativstrecken. Wir machen beispielsweise immer nach etwa fünf Stunden eine Übernachtungspause. Dann wird die Anreise zum Teil der Reise und dies macht alles viel entspannter.

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Vielleicht kommt für Sie aber auch Urlaub im Ländle in Frage und Sie verschieben große Pläne auf eine Zeit, in der die Infrastruktur wieder funktioniert. Und bei all dem Chaos gibt es natürlich auch viele Reisende, die problemlos ans Ziel kommen und wieder zurück! Es muss nicht sein, dass etwas „schief geht“. Dieses Jahr ist es nur sehr viel wahrscheinlicher als sonst, dass es mich trifft. Darauf kann ich mich einstellen!

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