München stimmt am Sonntag über eine dritte Startbahn ab. Doch damit ist noch lange nicht Schluss. Der politische Streit wird noch Jahre weitergehen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Und schon standen wieder alle da und wollten was Schlaues wissen vom Münchner OB, kaum dass er vom Pfingsturlaub auf Mykonos kommend wieder gelandet war – im Erdinger Moos und auf dem Flughafen, firmierend unter dem Namen Franz Josef Strauß. Dem Patron will Ude 2013 ja allen Ernstes als Landesvater folgen und schaut deswegen neuerdings gerne jederzeit grundentschlossen drein: Glaubt’s nur, Leidln! Nein, in Sachen Startbahn kommt der Mann nicht ins Wanken. Ude war immer für die Bahn, wie er auch stets für den Bau des Flughafens gewesen ist, Anfang der Neunziger. Dass die koalierenden Stadtratsgrünen damals wie heute gegen den Ausbau votieren und das Bürgerbegehren erst gestartet haben, bereitet ihm keine Probleme mehr, sagt Ude. Die Grünen würden den Flughafen schließlich „eifrig mitbenutzen“, spottet er stattdessen. Unlängst war der stellvertretende Bürgermeister Hep Monatzeder auf den Philippinen vom Motorroller gefallen – und da ist seine Rückkunft natürlich besonders beachtet worden.

 

In der Vergangenheit hatte Ude die Grünen schärfer angegangen. Dann aber hat sich der Rathausschef mit neuen Vertrauten beraten, die ihn zum Ministerpräsidenten coachen wollen, und entschieden, vor der Entscheidung über die dritte Startbahn halblang zu machen. Nicht, dass es nachher heißt, es war Udes Niederlage, wenn die Münchner sich am Sonntag gegen den Flughafenausbau entscheiden: Mehrheit reicht, zehn Prozent der Wahlberechtigten müssen gewählt haben. Das dürfte klappen. Immerhin haben 100 000 Münchner bereits Briefwahlunterlagen angefordert.

Man könnte dann doch noch mal die dreißig Kilometer von der Innenstadt ins Erdinger Moos strampeln und das kleine Birkenwäldchen erkunden, einen guten Kilometer nördlich versetzt gegenüber dem Flughafenhauptgebäude. Eine Stunde reicht im minütlichen Flugwerkpfeifen und Turbinenbrüllen vollkommen aus. Danach wird jeder nur noch im Sinn haben, das Weite zu suchen. Möglichst aber nicht Richtung Erding, Freising oder, näher noch, Attaching, wo, wenn der Wind jeweils schlecht steht, der Aufenthalt im Freien generell nicht mehr zu empfehlen ist.

Andererseits haben sich in all den Gemeinden um den Flughafen reichlich Menschen angesiedelt, die gekommen sind, weil es der Region – vom Lärm abgesehen – so gutgeht. Edmund Stoiber hatte, der Vollbeschäftigung wegen, immer Erding im Repertoire, wenn es darum ging, wie weit vorne Bayern ist, bis ihn sein damaliger Widersacher Gerhard Schröder beim TV-Kanzlerkandidaten-Rededuell von oben herab beschied, man wolle doch wohl nicht über die Provinz reden. Stoiber ließ sich das damals gefallen. Die Attachinger heute nicht mehr. Sie sind dem Oberbürgermeister der Stadt München letzthin sogar richtig aufs Dach gerückt, als sieben Aktivisten des Netzwerks Plane Stupid Germany die Aussichtsplattform vom Rathaus kaperten und Plakate aufhängten, auf denen stand: „Koa Dritte 17.06.“. Der Sprecher des Bündnisses, Florian Sperk, forderte hernach die Münchner auf, „sich ein Herz zu fassen und die dritte Startbahn abzuwählen“. An seiner Seite fanden sich lauter Mannsbilder, die um die fünfzig Jahre alt waren: Leute, denen anzumerken war, dass sie mit beiden Beinen im Leben stehen und an der Heimat hängen – trotz Lärm und Verdruss. Aber mehr davon bräuchten sie wirklich nicht, sagten sie. Das Bizarre ist, dass die Attachinger gar nicht erst gefragt werden, wenn es darum geht, was unter den Wolken passiert.

Weil die Stadt neben dem Freistaat und dem Bund Gesellschafterin des Flughafens ist, hat sie ein Vetorecht. Die Münchner also, die innerhalb ihrer Stadtgrenzen keinerlei Lärmbelästigungen ertragen müssen, entscheiden stellvertretend für die geplagten, sagen wir, Freisinger. Ist es ein Wunder, dass die Bündnisse der Gegner schon mal im Vorhinein klarmachen, dass sie im Nachhinein nicht daran denken, eine Entscheidung für die dritte Startbahn zu akzeptieren?

Kommt hinzu eine geradezu valentineske, also verbal hoch verschraubte Fragestellung für den Sonntag. Dann will man vom Münchner Bürger nämlich wissen, ob er wollen würde, dass die Stadt wollen soll – mit anderen Worten: Sind Sie dafür, dass wir dafür sind?

Flughafenbefürworter, zu denen so heterogene Kräfte wie Reinhold Messner oder Nina Ruge gehören, aber auch der TSV 1860 und der FC Bayern München , führen ins Feld, dass es heuer bereits 37,8 Millionen Fluggäste am FJS München waren, 2025 indes würden es hochgerechnet 58 Millionen sein. Was dagegen seien 900 Hektar versiegelte Natur und 4000 Meter Beton? Theresa Schopper, die Landesvorsitzende der Grünen, rechnet nicht hoch, sondern runter. Vom Klimawandel mal abgesehen, sagt Schopper, sei das „Endes des Wachstums längst erreicht“. Einen Vorschlag zur Güte gibt es nicht. Oder doch?

Der Sprecher der Münchner Wiesn-Wirte, Toni Roiderer, der ja vom klassischen Einschenkstreit bis hin zum Rauchverbot weiß Gott konflikterprobt ist, hat die womöglich rustikalste Position in dem ganzen Streit inne. Er findet, „je besser ein Flughafen funktioniert, desto besser funktioniert auch die Wiesn“, und wem die Heimat so unersetzlich sei, der müsse halt „gscheid abgefunden werden“.

Etwas in der Art hat auch die bayerische Staatsregierung vor. Man merkt schon auf, wenn der für gewöhnlich vorsichtige Verkehrsminister Martin Zeil von der FDP dekretiert, dass „an der Dritten kein Weg vorbei“ führe, als wären die – vorsichtig gerechneten – 1,2 Milliarden Euro für den Ausbau nichts oder allenfalls Nüsschen.

Jedenfalls sollte keiner in München und im Umland glauben, dass die Sache mit der Abstimmung am Sonntag auch nur ansatzweise geklärt ist: geht die Entscheidung für die dritte Startbahn, wird eine ordentliche Prozesslawine einsetzen. Außerdem ist der Bürgerentscheid rechtlich auch nur ein Jahr bindend, weswegen die Diskussion just vor der Landtagswahl wieder richtig virulent werden könnte. Wie verhält sich dann Christian Ude, der schon mal überlegt hat, die Flughafenfrage aus einem möglichen Koalitionsvertrag mit Grünen und Freien Wählern auszuklammern?

Horst Seehofer will als bekannter Feuerteufel die Angelegenheit am liebsten 2013 bei der Landtagswahl nach dem Muster Stuttgart 21 mitwählen lassen. Dann bestimmten zum Beispiel auch die Hunderte Kilometer entfernt lebenden Aschaffenburger über die Menschen im Moos. Wird die Startbahn abgelehnt, behält sich die Staatsregierung fürs Erste „Beratungen“ vor. Ultimatio Ratio wäre ein Bauerntrick: Die Stadt München verkauft ihren Anteil von 23 Prozent an die Flughafengesellschaft – und wäre aus dem Gröbsten raus. Die Landesregierung hätte freie Hand. Auf Mykonos könnte Christian Ude dann wohl schon noch landen. Aber in München wäre er dann nicht mehr gern gesehen.