Der Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz taugt nichts – das sagen im Landtag alle Fraktionen. Sie streiten aber darüber, ob Grün-Rot das früher hätte erkennen müssen.

Stuttgart - Am Anfang war Streit, am Ende stimmten dann doch alle vier Landtagsfraktionen einem rasch aufgesetzten Antrag zu. Darin wird die Landesregierung aufgefordert, dem Luftlärm-Staatsvertrag mit der Schweiz „in seiner jetzigen Fassung im Bundesrat nicht zuzustimmen, da er die angestrebten Verbesserungen für Südbaden nicht sicherstellt“. Gleichzeitig haben die Abgeordneten ihre Forderungen an eine vertragliche Regelung mit den Eidgenossen bekräftigt. Dass diese mit dem von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bereits unterzeichneten Abkommen nicht einmal ansatzweise erfüllt seien, war unumstritten – darum am Ende auch das einstimmige Ergebnis.

 

Umstritten hingegen blieb, ob die Landesregierung nicht viel früher hätte erkennen und bei den Vertragsverhandlungen selbst hätte darauf aufmerksam machen müssen, dass mit den ausgehandelten Regelungen die Lage in Südbaden nicht befriedet werden würde. Doch – darauf verwiesen die Oppositionsparteien – zunächst hatten Vertreter des Landes die Übereinkunft begrüßt. „Nach langen und zähen Verhandlungen konnte ein für uns zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Anfang Juli erklärt.

Nach der Wahrnehmung von Felix Schreiner (CDU) kam „der Ministerpräsident aus dem Jubel über diesen Vertrag gar nicht heraus“. Jochen Haußmann (FDP) sprach gar von „Management by potatoes – rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“. Erst viel später sei etwa dem Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) eingefallen, dass es doch noch Klärungsbedarf gebe. Das gebe kein gutes Bild über das Land ab, so Haußmann.

Woher kommt der Kompromiss?

„Es würde dem Selbstbewusstsein der Regierungsfraktionen nicht schaden, wenn sie ihre Regierung kritisieren würden“, sagte Guido Wolf (CDU). „Wir schonen unseren Minister in dieser Frage nicht“, sagte er mit Blick auf den Berliner Ressortchef. „Wie kommt ein solcher Kompromiss überhaupt zustande?“ fragte CDU-Fraktionschef Peter Hauk. Hat der Bundesverkehrsminister dilettantisch verhandelt, wie Wolfgang Drexler (SPD) anklingen ließ? Oder hat der sich auf der sicheren Seite gewähnt, weil der Südwesten Zustimmung signalisierte, wie Hauk andeutete?

Der erste regierungsseitige Debattenbeitrag von der Verkehrsstaatssekretärin und Lärmschutzbeauftragten Gisela Splett (Grüne) konnte die Gemüter nicht beruhigen. Sie legte dar, dass auf Schweizer Seite „der Vertrag in wesentlichen Punkten ganz anders ausgelegt wird als es uns das Bundesverkehrsministerium erklärt hat“. „Schon im Juli“ habe man Berlin darum „kritische Fragen“ gestellt – ohne Reaktion.

Der Ministerpräsident wird deutlich

Winfried Kretschmann ergriff dann auch noch selbst das Wort. Er war mehrfach angesprochen worden, etwa weil er sich bei seinen Besuchen in der Schweiz noch ganz anders angehört habe als jetzt. Und der Regierungschef wurde deutlich. Noch vor dem 4. September – dem Datum der Vertragsunterzeichnung – habe er den Bundesminister „unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht, dass noch erheblicher Klärungsbedarf besteht“, sagte Kretschmann. Danach habe Verkehrsminister Hermann zweimal schriftlich bei Ramsauer um Klärung gebeten. Er habe dann noch persönlich dem Bundesminister dargelegt, „dass wir unverzügliche Klarheit brauchen“, sagte Kretschmann. Doch „bis heute habe ich keine Rückmeldung in der Sache“, sagte der Regierungschef. „Das Ministerium taucht ab und beantwortet die Fragen aus der Region und von uns nicht“, sagte Kretschmann. „So können Verfassungsorgane nicht miteinander umgehen.“

Er habe auch die Schweizer „nie im Unklaren gelassen“, dass es offene Fragen gebe, dass „das Kleingedruckte das Großgedruckte nicht einsammeln darf“. Sonst könne das Land nicht zustimmen. Prinzipiell habe er „immer für den Verhandlungsweg plädiert“. Es sei ihm „ein wichtiges Anliegen, dass wir ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zur Schweiz haben“, das auch nicht beeinträchtigt werde, wenn es mal Probleme gebe. Er, so sagte Kretschmann, sei sich jedenfalls sicher, „dass ich mich korrekt verhalten habe“.

„Vernehmlassung“ beendet

Dann verabschiedeten die Abgeordneten die „ziemlich machtvolle gemeinsame Erklärung“ (Drexler), hoffend, dass diese „in Berlin und in Bern auch gehört wird“ (FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke).

In Bern hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt die „Vernehmlassung“ zu dem Vertrag beendet. Dies entspricht etwa einer Anhörung im deutschen Gesetzgebungsverfahren. 60 Äußerungen seien eingegangen. „Die Kantone, aber auch die meisten Verbände sprechen sich in ihren Stellungnahmen zwar grundsätzlich für den Vertrag aus, bemängeln aber gleichzeitig, dass er in den Abendzeiten Anflüge über dicht besiedeltes Gebiet erforderlich macht“, fasst das Amt zusammen. „Im Interesse einer Beilegung des Konflikts“ sei man aber bereit, diese Nachteile hinzunehmen. Die Staatsregierung werde bis zum Jahresende „gestützt auf die Ergebnisse der Vernehmlassung“ ihre Haltung definieren.

Die Schweizer Parteien sind uneins: CVP und FDP halten den Vertrag für tragbar, SVP und Grüne lehnen ihn ab, die Sozialdemokraten sind noch nicht festgelegt. Eine Mehrheit ist also noch nicht absehbar. Mitte 2013 wird sich das Schweizer Parlament mit dem Staatsvertrag befassen.