Eine Flugreisende aus Stuttgart wartet seit fast einem halben Jahr auf ihren verlorenen Koffer – aber Lufthansa bleibt stumm. Verbraucherschützer geben ihr jetzt Ratschläge.

Die Reise der Firmlinge der katholischen St.-Hedwigs-Gemeinde aus Stuttgart-Möhringen in den Pfingstferien war auch für die 16-jährige Tamara L. eine schöne Sache. Der Flug mit Lufthansa führte von Stuttgart über München nach Rom – nur kam der Koffer der Jugendlichen nie an. Und ist bis heute nicht aufgetaucht. „Man verzweifelt ein bisschen, vor allem, weil Lufthansa sich nicht mehr meldet“, sagt die Passagierin unserer Zeitung.

 

Zusage zur Entschädigung kam früh

Der Verlust war unter Mitwirkung des mitgereisten Pfarrers bei der Ankunft dokumentiert worden. Der Koffer sei in München nicht mit an Bord gegangen, teilte Lufthansa in Rom mit. Verlustanzeige, Gepäcklabel, Buchungsnummer, die Kofferinhaltsliste, Foto des Koffers – all dies hatte Tamara L. der Lufthansa Mitte Juni übermittelt, und die Zusage für eine Entschädigung traf relativ „früh“ ein – einen Monat später.

Seit Mitte Juli herrscht Funkstille

„Dass das Gepäckstück Ihrer Tochter auf dem Flug von München nach Rom verloren gegangen ist, tut uns sehr leid“, teilte die Abteilung „Customer Relations“ der Lufthansa dem Vater der Betroffenen am 14. Juli mit. Man werde „umgehend entschädigen“ und hoffe sehr, „Sie trotz dieser ärgerlichen Erfahrung bald wieder an Bord begrüßen zu können.“ Wenige Tage später ein weiteres Mail von Lufthansa: Man möchte das Anliegen „vollständig bearbeiten“ und müsse noch Informationen im Unternehmen einholen: „Dies kann einige Zeit in Anspruch nehmen.“ Seit dem herrscht Funkstille.

Hotline für Kundenbeziehungen abgeschafft

Tamara L. wartet seit fast einem halben Jahr auf ihren Koffer und die Entschädigung für Verlust und Ersatzkäufe. Auf Mails antwortet die Abteilung Customs Relations nicht mehr, eine telefonische Hotline hat Customs Relations vor geraumer Zeit abgeschafft. Ein Anruf bei einer allgemeinen Hotline der Lufthansa ergab Anfang November, dass sich die Fluggesellschaft noch in einer „außergewöhnlichen Situation“ befinde.

Entschädigung bis zu 1500 Euro

„Ein halbes Jahr muss man nicht warten“, sagt Oliver Buttler, Abteilungsleiter bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Verlorenes Gepäck müsse sieben Tage nach dem Verlust schriftlich bei der Airline gemeldet werden, ist es 21 Tage nach dem Flug nicht aufgetaucht, gilt es offiziell als verloren. Verwundert zeigt sich der Verbraucherschützer, dass die Lufthansa bei Ansprüchen von Reisenden sich immer wieder in einer „außergewöhnlichen Situation“ befinde. In der Verbraucherzentrale tauchen gelegentlich Fälle auf, bei denen über den Wert des verlorenen Gepäcks gestritten werde. Sobald eine Airline Gepäckstücke angenommen habe, hafte diese für den Verlust oder die Beschädigung. Die maximale Entschädigung betrage derzeit knapp 1500 Euro je Passagier.

Der Ärger mit den Hotlines

Dass Airlines im Schadensfall schwer erreichbar sind, kann Buttler bestätigen: „Manchmal frage ich, warum die Hotlines schalten, wenn sie sowieso nicht erreichbar sind.“ Lufthansa habe nach den Überlastungen nach Corona zeitweise Hotlines und Mailkontakte abgeschaltet und Ryan-Air sei eigentlich „überhaupt nicht erreichbar“, nachdem sie ein Ticket verkauft haben.

„Das Sparen am Personal geht zulasten der Verbraucher.“ Kunden wie Tamara L. gibt der Verbraucherschützer einen Rat: Druck auf die Fluggesellschaft aufbauen, eine Frist von sieben bis 14 Tagen setzen und schriftlich eine Zahlungsaufforderung als Einwurfeinschreiben an den Geschäftssitz in Frankfurt senden. Werde der nicht nachgekommen, könne man einen Mahnbescheid veranlassen, das gehe ohne Anwalt und sei sogar online unter www.online-mahnantrag.de möglich. Eine weitere Möglichkeit sei die Anrufung der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, die sei kostenlos und Informationen finden sich unter www.soep-online.de.

Trotz Koffertracking keine Lieferung

In mehreren Wellen war Deutschlands Flughäfen dieses Jahr von einem Kofferchaos erfasst worden. Noch im Frühsommer berichtete die „Bild“ von 5000 verlorenen Koffer am Münchner Flughafen, auch in Hamburg und Frankfurt sollen Tausende Koffer gestrandet sein. Der Luftfahrtjournalist Andreas Spaeth sagte dem NDR, dass die Airlines und die Bodendienstleister den Reiseboom nach Corona unterschätzt und zu wenig Personal eingestellt hätten. Ostern 2022 sei der Wendepunkt gewesen, da hätten die Flugreisen wieder angezogen. Sowohl NDR als auch das Bayerische Fernsehen dokumentierten jüngst Fälle von Passagieren von Lufthansa, Air France und Austria Airlines, die ihre verlorenen Koffer mit Hilfe von GPS-Koffertrackern an den Flughäfen München und Hamburg orten konnten und trotzdem vier bis acht Wochen auf die Auslieferung warten mussten. Meist nur mit der Hilfe von Medien.

Gepäckabfertigung war unter Druck

Die Lufthansa erklärt zum Fall Tamara L. unserer Zeitung, dass die Gepäckabfertigung in den letzten Monaten wegen Personalmangels „unter erheblichem Druck“ gestanden habe. Wegen dieser Engpässe und weil Flugzeuge nicht unbegrenzt warten könnten, sei es häufig vorgekommen, dass Gepäck nicht rechtzeitig verladen werden konnte. Wie viele Koffer derzeit noch nicht gefunden sind, kann die Airline nicht beziffern: Bei einem ihrer Dienstleister würden noch „einige Gepäckstücke“, die nicht zugeordnet werden konnten, weil das Gepäcklabel abgerissen war, bearbeitet. In normalen Zeiten aber finde man 95 Prozent der verlorenen Gepäckstücke binnen fünf Tagen. Und eine Wartezeit von einem halben Jahr? „In der Tat sollte es zu solch einer langen Bearbeitungszeit und Wartezeit für den Fluggast nicht kommen“, teilt eine Pressesprecherin von Lufthansa mit. Sie habe mit der Abteilung Customer Relations gesprochen, die den konkreten Fall von Tamara L. „außerordentlich bedauerten“ und sich ihm nun „zeitnah annehmen“ wolle. Das war am 15. November. Tamara L. hat bisher noch nichts von Lufthansa gehört.