Seit dem US-Börsengang vor 16 Monaten ist die Aktie um 90 Prozent eingebrochen. Beim Flugtaxi-Pionier Lilium sollte Panikstimmung herrschen. Aber die Bayern glauben an sich.

Es schneit. Grau in grau tauchen die Gebäude des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen bei München im Gelände auf. Gut verborgen in einem sonst leeren Hangar steht die vermeintliche Zukunft des grünen Fliegens per Flugtaxi. „Es ist ein Modell, sieht aber fast so aus wie unsere beiden Demonstratoren in Spanien, mit denen wir täglich Testflüge machen“, sagt Klaus Roewe stolz. Seit knapp einem halben Jahr ist der frühere Airbus-Manager Chef von Lilium. Übernommen hat er in einer schwierigen Phase. Zehn Dollar kostete eine Lilium-Aktie zum US-Börsenstart im September 2021. Heute notiert sie wenig über einen Dollar. Zweifel an technischer Machbarkeit kamen auf. Es klafft eine Finanzierungslücke von einer halben Milliarde Euro bis 2025. „Das macht mir keine schlaflosen Nächte“, versichert Roewe dennoch.

 

Der Lilium-Jet soll sieben Personen transportieren können

Er trägt eine Fliegerjacke mit Lilium-Schriftzug und glaubt trotz aller Widrigkeiten an das ehrgeizige Projekt. „Unser Plan ist robust, aber natürlich nicht frei von Risiken“, sagt der 58-jährige und geht ins Detail. Der siebensitzige Lilium-Jet ist noch nicht fertig entwickelt. „Da liegt in diesem Jahr noch viel Arbeit vor uns“, stellt der Luftfahrtmanager klar. Zweifel an der technischen Machbarkeit des eigenen Ansatzes sieht er aber verstummt. Der erste bemannte Flug sei für das zweite Halbjahr 2024 geplant. Unbemannt fliegt das mit schwenkbaren Flügeln optisch wie ein Flugzeug aussehende Taxi der Lüfte bereits testweise ohne Probleme.

Elektrisch betriebene Düsen machen das Flugtaxi zum Senkrechtstarter

Es hebt sich in einigen Punkten von Konkurrenzentwicklungen ab, die meistens nur Platz für zwei oder drei Personen bieten und wie Kleinhubschrauber aussehen. Wie diese senkrecht starten und landen kann der Liliumjet dennoch. Dafür sorgen 30 in den Schwenkflügeln verbaute und elektrisch betriebene Düsen. Die eine Tonne schwere Batterie – ein Drittel des Gesamtgewichts – gibt dem Lilium-Jet 175 Kilometer Reichweite, was das Modell an die Spitze der dreistelligen Zahl weltweiter Flugtaxi-Projekte setzt.

„Wir könnten theoretisch 250 Kilometer weit fliegen mit voller Batterie, aber die Zulassungsbehörden verlangen einen großen Sicherheitspuffer“, erklärt Roewe. Die Zulassung ist eine weitere Hürde, die noch überwunden werden muss, will man wirklich abheben. Hersteller wie Zulassungsbehörden betreten mit dem innovativen Fluggerät Neuland. „Bei uns ist alles neu“, stellt Roewe klar. Seine drei Jahrzehnte Berufserfahrung, unter anderem als Programmchef des Airbus A 320 neo, helfen ihm dennoch. So haben die Behörden verfügt, dass der Lilium-Jet auf der selben Sicherheitsstufe wie Airbus oder Boeing fliegen muss, wobei die europäische Easa noch strenger ist als die FAA der USA.

„Unser Ziel ist eine Zulassung bis Ende 2025“, sagt Roewe. Erster am Markt wäre man damit wohl nicht. Konkurrenten wie Volocopter aus Bruchsal in Deutschland haben ehrgeizigere Pläne. Aus seinen Jahren bei Airbus weiß der Branchenveteran, dass Zulassungen nicht frei von Überraschungen sind. „Die Zertifizierung ist anspruchsvoll“, räumt der gebürtige Niedersachse ein. Aber er ist zuversichtlich, dass Lilium auch diese Hürde am Ende nimmt.

Finanzierungslücke von rund einer halben Milliarde Euro

Um das zu schaffen, muss mit der Finanzierung aber erst noch eine andere Frage geklärt werden. Rund eine halbe Milliarde Euro sei die Finanzierungslücke bis einschließlich 2025 noch groß, räumt Roewe ein. Das gilt trotz jüngster Kapitalerhöhung, die 112 Millionen Euro gebracht hat. Woher das fehlende Geld kommen soll, kann Roewe noch nicht genau sagen, was die Finanzierung zur wohl heikelsten Hürde macht.

Es gebe erste Einnahmen in Form von Vorauszahlungen für bestellte Lilium-Jets, sagt Roewe. Gut 600 solcher Bestellungen gibt es bereits, aber fast alle bislang ohne Anzahlung. Ausnahme ist ein Vertrag mit eVolare, einem britischen Hubschrauber- und Privatjetbetreiber, der Ende 2022 zehn Lilium-Jets geordert hat. Pro Stück kosten sie rund zehn Millionen Euro, wobei 20 bis 25 Prozent Anzahlung in der Luftfahrt branchenüblich sind. Große Summen kommen also über diesen Weg wohl nicht in die Kasse. „Wir müssen noch weiteres Kapital bekommen“, gesteht der Firmenchef und bringt dazu neue Investoren ins Spiel.

Die Geschäftsleitung bleibt trotz vieler Probleme optimistisch

Konkret wird er nicht, spricht aber von Flugtaxi-Herstellern und der Autoindustrie als potenziellen Partnern mit Synergiepotenzial. „Die Batterietechnologie, mit der wir fliegen, wird in ein paar Jahren in Elektroautos eingesetzt“, glaubt Roewe. Er verweist auf den US-Flugtaxikonkurrenten Joby und den dort eingestiegenen Autobauer Toyota als Beispiel für ein solches Bündnis.

„Wir führen intensive Gespräche in allen Kategorien“, sagt Roewe zum möglichen Einstieg eines strategischen oder auch anders gearteten Investors, der die Geldsorgen aus der Welt schaffen könnte. Klar ist auch, dass der mit Blick auf begrenzte Reichweite der derzeitigen Liquidität im Lauf 2023 gefunden sein müsste. Der Zeitplan für den deutschen Lufttaxi-Pionier ist von der Entwicklung über die Zertifizierung bis zur Finanzierung so eng wie anspruchsvoll.

Lilium

Management
Lilium ist 2015 von Daniel Wiegand und drei anderen Studenten gegründet worden. Er war bis voriges Jahr auch Firmenchef, ist dann von Klaus Roewe an der Spitze ersetzt worden, aber weiter im Vorstand für künftige Projekte zuständig. Im Management ähnelt Lilium immer mehr einem Airbus-Ableger. Neben Roewe, der einmal die Entwicklung des Airbus A 320 neo geleitet hat, war auch der soeben neu bestellte Lilium-Finanzchef Oliver Vogelsang einmal Airbus-Manager. Gleiches gilt vor allem auch für Lilium-Aufsichtsratschef Tom Enders, dem Ex-Vorstandsvorsitzenden von Airbus.

Beschäftigte Insgesamt arbeiten für Lilium heute rund 850 Beschäftigte. In Oberpfaffenhofen wird eine Fabrik zum Bau von jährlich 400 Elektrojets errichtet.

Kunden Kommerziell starten will Lilium im Bereich vermögender Privatkunden und Geschäftsreisender 2025. Ein bis zwei Jahre später sollen auch Normalkunden befördert werden. Für etwa 2030 ist zudem bereits eine zweite Generation von Lilium-Jets angedacht.

Eigner Größter Eigner mit 22 Prozent Stimmrechten ist der chinesische Technologiekonzern Tencent, dicht gefolgt vor Mitgründer Wiegand. Bis heute hat Lilium gut 800 Millionen Euro Verlust angehäuft.