Die Schuldenbremse setzt die Bundesländer finanziell unter Druck. Nun machen sie geltend, dass ihr Anteil am Steueraufkommen zu gering ausfalle, der Bund dagegen zu viel erhalte. Kann eine Kommission Abhilfe schaffen?

Stuttgart - Auf dem Papier sieht alles ganz gut aus, Papier ist geduldig. In seinem Finanzplan 2020 hat Landeskassenwart Nils Schmid (SPD) den Pfad angelegt, der Baden-Württemberg in eine Zukunft ohne neue Schulden führen soll – so wie es das Grundgesetz vom Jahr 2020 an von den Ländern verlangt. Schmid muss bis dahin nur Jahr für Jahr den Landesetat ein klein wenig entschlacken. Wobei das schon zu viel gesagt ist, denn der Landesetat wird weiter an Umfang zunehmen. Die Steuereingänge wachsen an, leider steigen aber auch die Ausgaben – wie etwa fürs Personal im Allgemeinen und für die Pensionen im Besonderen.

 

Schmid muss einfach ein bisschen weniger Geld ausgeben als es die bloße Fortschreibung seines gegenwärtigen Haushaltsplans verlangt. Und zwar so lange, bis die Ausgaben den Einnahmen entsprechen. Es gibt da noch eine Lücke zwischen den Ausgaben und den Einnahmen. Das ist das strukturelle Defizit, von dem in der Landespolitik seit einiger Zeit ständig die Rede ist. Für das Haushaltsjahr 2015 bedeutet dies eine Einsparauflage von fast 400 Millionen Euro. 2016 kommen nochmals 182 Millionen Euro dazu. Keine ganz großen Beträge bei einem Haushaltsvolumen von etwa 43 Milliarden Euro und 44 Milliarden Euro im Jahr darauf, wollte man meinen. Doch die Betroffen meinen das nicht.

Aufstände allerorten

Erst dieser Tage schrieben die Präsidenten der Obergerichte im Land einen Brandbrief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Darin bekunden sie „Bestürzung und Sorge“ über die insgesamt 24 Millionen Euro, die im Doppeletat 2015/2016 in der Rechtspflege gekürzt werden sollen. Sie sehen mindestens die Funktionsfähigkeit der Justiz tangiert, wenn nicht gar die Innere Sicherheit in Gefahr. Regierungschef Kretschmann kann sich schon einen dicken Aktenordner herrichten. Verbände, Gewerkschaften, Kammern und Lobbygruppen jeglicher Couleur werden sich in ganz ähnlichen Klagebriefen zu einer nachhaltigen Finanzpolitik bekennen, Einsparungen in eigener Sache jedoch aufs Schärfste brandmarken. Aufstände allerorten. Das ist für keine Regierung schön.

Die Länderchefs und ihre Finanzminister sind deshalb zu der Überzeugung gelangt, ohne eine Neuverteilung des Steuerkuchens zu Lasten des Bundes gehe es nicht weiter. „Derzeit besteht zwischen dem Bund einerseits und den Ländern andererseits bei der aktuellen Verteilung der Kosten für die Aufgabenwahrnehmung und der Verteilung der Einnahmen eine nicht länger hinnehmbare Schieflage zulasten der Länder“, heißt es in einem Positionspapier der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin.

Mit Zahlen unterlegt wird dieser Befund in einer umfangreichen Bestandsaufnahme der Länderfinanzminister zur Neugestaltung der Finanzbeziehungen. Die Studie beziffert die Ausgaben der Länder und der ihr zuzuordnenden Kommunen – Stand 2010 – auf 402 Milliarden Euro. Damit lägen sie abzüglich der Leistungen des Bundes an die Länder um 47 Milliarden Euro über den Ausgaben des Bundes. Umgekehrt sei der Anteil der Länder und Kommunen am Steueraufkommen aber geringer als der des Bundes. Jene erhielten 252 Milliarden Euro, dieser hingegen 279 Milliarden Euro.

Der Bund profitiert von der guten Beschäftigung

Nun haben Bund und Länder eine gewisse Übung darin, die andere Seite reich und sich selbst arm zu rechnen. Beide tun das mit Geschick. Die Länder aber können Folgendes mit Recht geltend machen: Der Bund profitiert seit einigen Jahren von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Das schont den Bundeshaushalt, und das kommt auch den Sozialversicherungen zu Gute, über welche die große Koalition in Berlin ihre Wohltaten in Vermeidung von Steuererhöhungen finanziert.

Die Länderhaushalte dagegen sind ziemlich starre Verwaltungs- und Personalhaushalte. 42 Prozent des baden-württembergischen Etats decken die Gehälter, Pensionen und Krankheitskosten der Landesbeschäftigten ab. Vor allem die Ausgaben für die Pension steigen rasant. Die Länder sehen sich in die Legitimationskrise rutschen, wenn sie grundlegende Aufgaben nicht mehr erfüllen können – wenn Landstraßen vor Löchern nur so strotzen oder der Schulunterricht ständig ausfällt. Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) sagt: „Theoretisch kann man immer noch mehr sparen, praktisch geht allerdings irgendwann die gesellschaftliche Akzeptanz verloren.“

Kretschmann mischt sich ein

CDU und SPD versprechen in ihrem Koalitionsvertrag eine Kommission, welche die föderalen Finanzbeziehungen neu ordnen soll – unter Einschluss des Länderfinanzausgleichs sowie des Solidaritätszuschlags. In seiner Rede zu 60 Jahren Landesverfassung verlangte der Stuttgarter Regierungschef Winfried Kretschmann unlängst, die Länder müssten „in die Lage versetzt werden, ihre Kompetenzen wahrzunehmen und ihre Aufgaben erfüllen zu können“. Kretschmann bezog sich dabei auf Artikel 106 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, dass ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt“ werde. Die Bundespolitiker betrachteten, sagte Kretschmann, das Aufkommen aus den Gemeinschaftsteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer) gerne als ihr Eigentum, von dem sie notgedrungen den gierigen Ländern etwas abgäben. Dies sei eine Fehlinterpretation: „Die Gemeinschaftsteuern heißen nicht nur so, sie sind es auch“, sagte Kretschmann. Will heißen: Die Länder hätten dasselbe Anrecht darauf, die Steueranteile seien den Aufgaben entsprechend zu verteilen. Mit ein bisschen mehr vom Umsatzsteuerkuchen wäre den Ländern schon deutlich geholfen. Die Frage ist nur, ob der Bund versucht, über Staatsverträge Einfluss darauf zu gewinnen, wie die Länder das zusätzliche Geld verwenden.

Der Solidaritätszuschlag wird neu verhandelt

Ein aufmerksames Auge richtet man in der Landesregierung auch auf den Solidaritätszuschlag. Der wurde erstmals 1991 erhoben und mit den Kosten der Deutschen Einheit begründet. Rein rechtlich gesehen unterliegt er jedoch keiner Zweckbindung. Der Solidarpakt zum Aufbau Ost läuft finanztechnisch getrennt – und 2019 aus. Es gibt also etwas zu verteilen. Klar dass sich die Länder, wenn nicht das gesamte Aufkommen, so doch die Hälfte davon gut auf ihrer Habenseite vorstellen können. Es geht um viel Geld. Der Solidaritätszuschlag spielt in diesem Jahr 14 Milliarden Euro ein. Bis 2019 steigt das Aufkommen aus dem Soli auf fast 18 Milliarden Euro. Zum Vergleich: über den Länderfinanzausgleich wurden 2012 etwa 7,9 Milliarden Euro umverteilt. Ideen, was mit dem Geld aus dem Solidaritätszuschlag anzufangen wäre, gibt es genug. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) schlägt vor, der Bund solle die Kreditmarktzinsen der Länder übernehmen. Im Gegenzug müssten die dann ihre Altschulden tilgen. Die Ministerpräsidenten haben sich in die Hand versprochen, der großen Koalition mehr Geld abzuringen – diesmal wollen sie nicht locker lassen.