Beim Ausbau der Ganztagsschulen überbieten sich die Landesregierung und die Opposition mit Forderungen. Es ist das alte Spiel: Die Länder wollen Geld, der Bund verlangt Mitsprache. Der Föderalismus könnte mal wieder auf der Strecke bleiben.

Stuttgart - Beim Ausbau der Ganztagsschulen sind die grün-rote Koalition und die oppositionelle CDU in einen Überbietungswettbewerb eingetreten. Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl stellt einen Rechtsanspruch auf Betreuung bis zum zehnten Lebensjahr in Aussicht. Finanzminister Nils Schmid (SPD) will sich zwar nicht auf einen Rechtsanspruch einlassen. Damit klappt es ja schon bei der Kleinkindbetreuung nicht so recht. Aber eine wie auch immer verbindliche Betreuungsgarantie darf es schon sein; sogar bis zum letzten Schultag. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zählt die Ganztagsschule zu den „wichtigsten sozialpolitischen Maßnahmen überhaupt“.

 

Nur das Geld dafür, das haben die Herren Strobl, Schmid und Kretschmann nicht. Deshalb soll der Bund einspringen. Nicht komplett, einen Teil der von Kretschmann allein für Baden-Württemberg auf etwa eine Milliarde Euro veranschlagten Kosten glauben sowohl die CDU wie auch die grün-rote Landesregierung mittels Einsparungen im Etat aufbringen zu können. Doch tut sich die Koalition ja schon bei der Deckung des strukturellen Defizits im Landeshaushalt schwer. 2,5 Milliarden Euro müssen bis zum Jahr 2020 raus aus dem Etat. Für mehr Ganztagsschulen ist damit leider noch gar nichts gewonnen.

Das Problem mit dem Kooperationsverbot

Also muss der Bund ran. Doch mit dem gibt es ein Problem. Es trägt den sperrigen Titel Kooperationsverbot. Die Kulturhoheit – und mit ihr die Bildungspolitik – ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“. Seit der Föderalismusreform des Jahres 2006 hat der Bund in Sachen Bildungspolitik nicht mehr viel zu melden. Damals war das als großer Erfolg für die Länder gefeiert worden, schließlich leiden die Landtage schon lange unter der Auszehrung ihrer Kompetenzen. Die Länder hatten in der Vergangenheit Zuständigkeiten an die Bundesregierung abgegeben, dafür im Gegenzug Mitspracherechte im Bundesrat erworben. Dort aber führen die Ministerpräsidenten das Wort, die Landtage sind nicht vertreten.

Auch diente die Föderalismusreform der Politikentflechtung. Die Wähler sollten endlich wieder einigermaßen durchschauen können, wer auf welcher staatlichen Ebene für welche Politik zuständig ist.

Kompetenz: keine, Dienstwagen: ja

Die Aufweichung, gar Aufhebung des Kooperationsverbots käme für den Föderalismus einem Rollback gleich. Die Föderalismusreform wäre entwertet, die Sinndebatte ginge wieder vorne los: Weshalb der Aufwand an Ministern und Staatssekretären samt Dienstlimousinen sowie wuselnden Referenten, weshalb gut dotierte Abgeordnete in reicher Zahl, wenn sie alle am Ende doch nur umsetzen, was zuvor in Berlin beschlossen wurde?

Dem Stuttgarter Regierungschef Kretschmann, der sich häufig und stets emphatisch zum Föderalismus bekennt, ist ein zum Trachtenfest und bloßen Heimatkult verkommender Föderalismus zu wenig. Er weiß auch eine Lösung: Der Bund möge den Ländern einen größeren Teil der ertragsstarken Umsatzsteuer überlassen, dann seien die Länder sehr wohl in der Lage, ihren Aufgaben in der Schulpolitik nachzukommen.

Doch da machen die Bundespolitiker, die ihr Verhältnis zur Landespolitik gern hierarchisch definieren, nicht mit. Wer zahlt, will auch bestimmen. Birgit Homburger, FDP-Landeschefin und Bundestagsabgeordnete, sagt: „Solange die Landesregierung darauf besteht, dass sie über die Richtlinienkompetenz in der Schulpolitik verfügt, muss sie selbst für die Finanzierung sorgen.“ Kretschmanns Vorschlag nach einem höheren Länderanteil an der Mehrwertsteuer hält sie für keine gute Idee. Niemand könne kontrollieren, wohin das Geld fließe – und zu welchem Zweck. „Für Gesamtschulen geben wir uns nicht her.“ In ein paar Jahren käme dann die nächste Forderung nach mehr Geld. Mischfinanzierungen in der Schulpolitik lehnt Homburger ab. Anders verhalte es sich mit der Wissenschaftsfinanzierung.

Der Bund stellt Bedingungen

Vergangenes Jahr scheiterte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) mit dem Versuch, die dauerhafte Mitfinanzierung von Hochschulprojekten durch den Bund im Grundgesetz zu verankern. Den Ländern ging das nicht weit genug, sie wollten auch Geld für die Schulen. Die Föderalismusreform habe ihnen Zuständigkeiten zugesprochen, aber die dafür erforderliche Finanzausstattung versagt.

Stefan Gläser, Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Städtetages, kann sich nur schwer vorstellen, „dass der Bund Milliarden bereit stellt, ohne dies mit Bedingungen zu verknüpfen“. Wie sich das aber „mit der Kulturhoheit der Länder und der kommunalen Selbstverwaltung verträgt, ist mir im Moment nicht geläufig.“

Der lange Arm des Bundes

CDU-Landeschef Strobl verlangt von der Landesregierung, zunächst einmal in der eigenen Kasse nach Finanzierungsquellen für den Ausbau der Ganztagsschulen Ausschau zu halten. Am Ende könne man zu dem Schluss kommen, dass die Unterstützung des Bundes hilfreich und sinnvoll sei – „aber bitte nicht gleich am Anfang des Prozesses“. Strobl, der auch Landesgruppenchef der Südwest-CDU im Bundestag ist, stellt klar: „In diesem Fall bin ich dafür, dass das Geld zweckgebunden und konkret für bestimmte Maßnahmen fließt.“ So lasse sich am Ende nachvollziehen, wer seine Hausaufgaben gemacht habe und wer nicht.

Die Schulpolitik als Kernkompetenz des Landes will jedoch Regierungschef Kretschmann „wie unsere Augäpfel hüten“. Gelegentlich schlug er vor, Bund und Länder könnten sich nach einer entsprechenden Verfassungsänderung mittels Staatsverträgen auf Umsetzung bestimmter, gemeinsam finanzierter Ziele einigen. Aber auch in diesem Fall würden die Länder den langen Arm des Bundes zu spüren bekommen – und ein Stück Föderalismus preisgeben.