Folgen der Coronakrise für den Immobilienmarkt Macht die Krise das Wohnen teurer?
Trotz der Pandemie bleiben Immobilienpreise in Großstädten stabil. Doch Experten spüren die Verunsicherung der Kunden.
Trotz der Pandemie bleiben Immobilienpreise in Großstädten stabil. Doch Experten spüren die Verunsicherung der Kunden.
Stuttgart - Bei den meisten Verbrauchern stehen in Zeiten der Coronakrise Nudeln und Toilettenpapier hoch im Kurs. Immobilienmakler, Eigentümer sowie Kauf- und Mietinteressenten hingegen dürften auch einen erheblichen Bedarf an Kristallkugeln haben. Denn für sie wäre jetzt ein Blick in die Zukunft sinnvoll, um die Krisenlage besser einschätzen zu können: Wie tief geht die Wirtschaft in die Knie, wie lange währen die Beschränkungen und die Kurzarbeit, wie viele Menschen verlieren ihren Job?
Wer sich diese Fragen stellt, überlegt nur in Ausnahmefällen, ob es sich lohnten könnte, jetzt eine Immobilie zu kaufen, oder ob man nicht eher auf Preisverfall, Schnäppchen und Zwangsvollstreckungen spekulieren sollte. Das gilt für Wohn-, aber auch für Gewerbeimmobilien, vor allem solche, die Gaststätten und Ladengeschäfte beherbergen. Bürogebäude stehen ebenfalls im Fokus: In der neuen Arbeitswelt mit Homeoffice, Videokonferenzen und geteilten Schreibtischen sinkt der Platzbedarf. Die Experten spüren, auch wegen des Kontaktverbots, eine erhebliche Verunsicherung, sehen aktuell aber nur eine Stagnation der Preise und langfristig weiteres Steigerungspotenzial.
So meint Kai Enders, Vorstandsmitglied der Engel & Völkers AG, die Pandemie führe kurzfristig zwar zu Verlagerungen von Kaufabschlüssen, langfristig werde sie die Wohnraumnachfrage aber allein schon deshalb nicht mindern, weil das Angebot in den meisten Städten und Regionen knapp bleibe und die Zinsen niedrig. Der Makler registriert nur wenig Stornierungen und rechnet mit Nachholeffekten in der Post-Corona-Ära.
Von einer Seitwärtsbewegung auf dem Markt geht hingegen der Leiter der Immobilienvermittlung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Robin Frank, aus. Der Hype der vergangenen Jahre habe sich seiner Meinung nach beruhigt. Er rechnet nun mit einer stärkeren Differenzierung: Lage und Qualität der Objekte rückten in den Vordergrund. Am Anfang der Krise habe er bei den Kunden Verunsicherung gespürt. Manche würden ihre Investition schon deshalb überdenken, weil sich das im Aktiendepot angelegte Eigenkapital teilweise verflüchtigt habe. Die LBBW habe Kunden, die jetzt nachverhandeln wollten, „weil sie denken, in der Krise könnten sie Abschläge verlangen“.
Insgesamt, so Frank, sei die Nachfrage geringer geworden – „Ich sehe aber keine Panik.“ Es gebe durchaus Kunden, die gerade jetzt kaufen wollten, weil sie Immobilien für die beste Anlageform halten oder glauben, die Bauzinsen könnten steigen. Die Verkäuferseite liefere trotz Coronavirus: „Scheidungen und Erbfälle, durch die Immobilien auf den Markt kommen, sind krisen- und konjunkturunabhängig.“ Wie es weitergehe, hänge davon ab, wie sich die Krise entwickle: „Eine zweite Welle könnte psychologisch nochmals negative Einflüsse haben.“
Dass es aktuell weniger Transaktionen gibt, lässt sich leicht erklären: Objektvermittlung und Kontaktsperren widersprechen sich. Dennoch fänden persönliche Besichtigungen unter strenger Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen statt, bestätigt der Stuttgarter Makler Julian Tolias. Er bietet seinen Kunden zudem an, die Wohnung zuerst virtuell im Internet zu besichtigen. Dass die Preise sinken, glaubt er nicht. Der Bedarf sei weiterhin hoch, die Zahl der Neubauten werde aber auch in diesem Jahr erneut rückläufig sein. Tolias erwartet eine Zurückhaltung bei Bauträgern, die das Fehlen ausländischer Arbeiterkolonnen beklagen und von längeren Bearbeitungszeiten in den Behörden ausgehen. Letzterem stimmt Felix Herrmann von Herrmann-Immobilien in Fellbach zu. Von schöpferischer Pause will der Bauträger aber nichts wissen. Bei ihm stehen unter anderem 13 Wohnungen in Winnenden vor der Fertigstellung, in Uhingen seien es acht. Herrmann ist sich sicher: „Die Menschen flüchten ins Betongold.“
Dass „Mobilitätseinschränkungen“ den Markt beeinflussen, glaubt der LBBW-Analyst Martin Güth. Die starke Nachfrage nach Wohnraum sei zum guten Teil auf das Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung zurückzuführen gewesen. Aus Sicht der Kommunen trägt die Coronakrise freilich zur Entspannung auf ihren überhitzten Mietwohnungsmärkten bei. Güth rechnet deshalb „per Saldo bei Wohnimmobilien mit etwas sinkenden Preisen“.
Harte Daten über die Entwicklung bei Gewerbeimmobilien lägen ihm bislang nicht vor, sagt Güth. Man erkenne aber anhand des Gewerbeklimaindizes der Deutschen Hypo, dass es in diesem Bereich nach unten gegangen sei. Das erscheint ihm als Indiz dafür, dass die Stimmung schlechter geworden sei. Wegen der Kursverluste an den Börsen sei ein Entzug an Liquidität am Immobilienmarkt wahrscheinlich, meint Reiner Braun, Immobilienexperte beim Forschungsinstitut Empirica. Er glaubt, dass ausländische Anleger wegen der Corona-Krise ihre Gelder aus Deutschland abziehen könnten.
Eine Prognose zur Umsatz- und Preisentwicklung auf dem Büromarkt zu wagen fällt Ulrich Nestel vom Bankhaus Ellwanger & Geiger schwer. Schließlich seien die Schäden und die Konsequenzen noch nicht absehbar. Bei den Mieten müsse mit einer Seitwärtsbewegung gerechnet werden, jedoch kein Einbruch, denn das Angebot in Stuttgart sei knapp. Bis Herbst sei mit einem Rückgang von Neuanmietungen zu rechnen, das gelte auch für Neubauprojekte. Nestel glaubt aber auch an eine rasche Erholung.