Startup in der Coronakrise Plötzlich fehlen die Altenbetreuer aus Rumänien

Die Mecasa-Gründer Simon Spangenberg (links) und Oliver Weiss in ihrem Büro in Stuttgart Foto: Schmidt

Geschlossene Grenzen in Osteuropa verschärfen den Pflegenotstand. Das Stuttgarter Startup Mecasa kämpft dagegen an.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau: Matthias Schmidt (mas)

Stuttgart - Die großen Meilensteine für 2020 hatte das Stuttgarter Startup Mecasa längst gesetzt. Mit Fördergeld aus dem EU-Innovationsprogramm Horizon sollte das mit der Uni Heidelberg gemeinsam entwickelte Matching-System weiter ausgefeilt werden, mit dem deutsche Senioren und osteuropäische Pflegekräfte in möglichst gut harmonierenden Kombinationen zueinander finden. Im Sommer sollte die erste DIN-Norm für die Vermittlung häuslicher Pflegekräfte erscheinen, an denen Oliver Weiss, einer der Mecasa-Gründer, gemeinsam mit Wissenschaftlern und Verbraucherschützern seit fast einem Jahr arbeitet. Daneben galt es die rund 100 im Raum Stuttgart vermittelten Hausbetreuungen mit etwa 200 eingesetzten Pflegekräften zu organisieren und den eigenen Personalstamm aufzustocken. Dann kam Corona. Und noch mehr Arbeit.

 

Während in vielen Branchen von einem Tag auf den anderen Geschäft und Umsätze weggebrochen sind, ist das jüngst auf neun Mitarbeiter angewachsene Team „fast rund um die Uhr“ gefordert, wie Weiss und der Mitgründer Simon Spangenberg schildern. In den Büroräumen am Schelmenwasen in Stuttgart-Fasanenhof laufen momentan die Bruchlinien des internationalen Marktes zusammen, der sich in den vergangenen Jahren rund um die Betreuung von Senioren in ihren eigenen Wohnungen entwickelt hat.

Die Anfragen sind seit Beginn der Krise um ein Viertel gestiegen

Pflegerinnen und Pfleger aus Polen kommen nur noch ins Land, wenn sie einen ordentlichen Arbeitsvertrag und einen Passierschein haben. Rumänien und Bulgarien, von wo zuletzt ein Großteil der Betreuer kam, haben ihre Grenzen dicht gemacht. „Der Markt liegt brach“, stellt Björn Gatzer, Fachberater für Pflege bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, fest. Bei Mecasa, das seit 2017 mitmischt, häufen sich deshalb die Anfragen. Seit Beginn der Coronakrise seien sie um rund ein Viertel gestiegen, berichtet Weiss. Unter anderem suchten nun auch Familien, die bisher mit schwarz beschäftigten Pflegern sich Sozialabgaben und Steuern sparen wollten, den Weg in legale Verhältnisse.

„Viele wollen jetzt wechseln“, sagt Weiss – und hofft, dass damit ein dauerhafter Paradigmenwechsel einsetzt. Die Schätzungen zur Größe des Schwarzmarktes in der häuslichen Betreuung gehen unter Experten und Insidern weit auseinander – ein Fünftel bis weit über die Hälfte aller häuslichen Betreuer seien nicht ordentlich angemeldet, heißt es. Unter den derzeitigen Reisebeschränkungen aber können neue Pflegekräfte nur noch auf korrektem Weg rekrutieren werden, und ausschließlich in Polen.

„Polnische Pflegekräfte“ und „24-Stunden-Betreuung“ heißen die wichtigsten Schlagworte bei Google, wenn Angehörige – meist unter großem Zeitdruck – nach Betreuungsmöglichkeiten für Eltern oder Großeltern suchen. Man landet damit auch auf der Website von Mecasa, allerdings wird dort explizit erläutert, dass nach deutschem Arbeitsrecht ein Rund-um-die Uhr-Einsatz nicht zulässig ist.

Viele Pflegekräfte verzichten zurzeit auf Ruhephasen in der Heimat

Weiss’ familiäre Erfahrungen haben ihn in die Branche gebracht: Die Großmutter hatte eine polnische Betreuerin, die Mutter arbeitet in der Pflege, er selbst hat Praktika in Altenheim absolviert. Wie die meisten der rund 500 in Deutschland aktiven Vermittlungsagenturen arbeitet Mecasa mit Partnerunternehmen in den Herkunftsländern zusammen, bei denen die Betreuer angestellt und dann nach Deutschland entsandt werden. Mecasa sorgt dafür, dass die Senioren und deren Familien wie auch die Pflegekräfte im Vorfeld klären, wie die Pflegesituation und die persönlichen Erwartungen aussehen. Die Quote des vorzeitigen Abbruchs einer Betreuung konnte dadurch deutlich gesenkt werden. Eigene Pflegefachkräfte helfen, Betreuungskonzepte zu entwickeln und, wo nötig, medizinische Fachpflegedienste einzubeziehen. Mecasa fungiert außerdem als für die Kunden wie die Betreuer telefonisch immer erreichbarer Ansprechpartner.

Viele Pflegekräfte verzichten derzeit auf die turnusmäßigen Ruhephasen in der Heimat. Dem ersten Impuls, Deutschland schnell zu verlassen, ist mittlerweile das Gefühl gefolgt, im hiesigen Gesundheitssystem und ohne Reisen in öffentlichen Transportmitteln sicherer zu sein, sagt Weiss. Bisher habe man alle Betreuungsverhältnisse aufrecht erhalten können.

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